Christoph Martin Wieland – »Geschichte der Abderiten«

Person

Christoph Martin Wieland

Orte

Oßmannstedt

Wielandgut Oßmannstedt

Thema

Gelesen & Wiedergelesen

Autor

Klaus Bellin

Alle Rechte beim Autor. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors. Erstdruck in: Palmbaum, Heft 2/2025.

Klaus Bel­lin

Immer wie­der Wieland

 

Unter den Schrift­stel­lern, die in Wei­mars klas­si­schem Zeit­al­ter leb­ten, war er der Älteste, viel­sei­tig und pro­duk­tiv, gebil­det, geist­reich und wit­zig, Ver­fas­ser von Lehr­ge­dich­ten, Sing­spie­len, Dra­men, Versepen, Roma­nen, Novel­len, Mär­chen und Essays, poli­ti­scher Publi­zist und Her­aus­ge­ber des »Teut­schen Mer­kur«, der bes­ten und wich­tigs­ten Monats­schrift im 18. Jahr­hun­dert, dazu Über­set­zer Shake­speares und anti­ker Autoren. Wie­land war aber auch der, dem die Palme gebührte, der erste von allen. Wenigs­tens war er dies, Goe­the und Schil­ler zum Ver­druss, für Georg Joa­chim Göschen, den jun­gen, wage­mu­ti­gen Ver­le­ger in Leip­zig. Göschen nahm sich vor, den Meis­ter mit einer fan­tas­ti­schen Werk­aus­gabe zu ehren, einer, wie sie noch nie da war, mäch­tig und reprä­sen­ta­tiv. Es wurde die größte Unter­neh­mung die­ser Art, die je einem leben­den Schrift­stel­ler gewid­met wurde. »Jeder Kauf­manns­die­ner«, schrieb Göschen sei­nem Autor, »jeder unbe­mit­telte Stu­dent, jeder Land­pfar­rer, jeder mäßig besol­dete Offi­zier soll Ihre Werke kau­fen kön­nen. Sie sol­len dann erst von ganz Deutsch­land gele­sen wer­den und auf ganz Deutsch­land würken.«

Die Auf­gabe war nicht leicht, aber Göschen hielt unbe­irrt an ihr fest und edierte ab 1794 diese »Aus­gabe von der letz­ten Hand« in vier ver­schie­de­nen Aus­stat­tun­gen und For­ma­ten: von der preis­wer­ten Taschen- bis zur pracht­vol­len, mit Kup­fern geschmück­ten Fürs­ten­aus­gabe (die unge­fähr das halbe Jah­res­ein­kom­men eines ange­se­he­nen Pro­fes­sors kos­tete). Nie wie­der ist Wie­land grö­ßere Ehre wider­fah­ren, und noch immer ist diese Edi­tion, an der sich spä­tere Klas­si­ker­aus­ga­ben ori­en­tier­ten, ein Denk­mal deut­scher, ja euro­päi­scher Verlagsgeschichte.

Spä­tere Zei­ten haben diese Lei­den­schaft für den Alten in Wei­mar nicht mehr auf­ge­bracht. Sicher, seine Werke wur­den immer wie­der gedruckt, es gab neue, schma­lere Aus­ga­ben, aber auch der letzte Ver­such, Wie­land zu einer neuen, moder­nen Gesamt­aus­gabe zu ver­hel­fen, vom Deut­schen Klas­si­ker Ver­lag unter­nom­men, schei­terte schon nach drei Bän­den. Bes­ser erging es nur der 1963 begon­ne­nen Aka­de­mie­aus­gabe des Brief­wech­sels. Sie wurde 2007, nach zwan­zig Bän­den, fertig.

Wie­lands Glück hieß Göschen. Heute ist sein enthu­si­as­ti­scher Leser und För­de­rer Jan Phil­ipp Reem­tsma, der seit vier­zig Jah­ren alles Men­schen­mög­li­che unter­nimmt, um Wie­land wie­der zu Lesern zu brin­gen. Er hat Romane, poli­ti­sche und lite­ra­ri­sche Schrif­ten ediert, kürz­lich auch die lang­erwar­tete Bio­gra­fie vor­ge­legt, und er krönt sein Enga­ge­ment, unter­stützt von Mit­her­aus­ge­ber Hans-Peter Nowitzki, mit einer kri­ti­schen Stu­di­en­aus­gabe, so umfang­reich wie keine sei­ner bis­he­ri­gen Bemü­hun­gen ums Werk. Sie pro­fi­tiert stark von der in Jena kon­zi­pier­ten und erar­bei­te­ten his­to­risch-kri­ti­schen Oßmann­s­ted­ter Aus­gabe, die, von Reem­tsma und Klaus Man­ger her­aus­ge­ge­ben, seit Jah­ren bei de Gruy­ter erscheint und ein­mal 36 Bände umfas­sen soll. Weil sie für Nor­mal­sterb­li­che wegen ihres Prei­ses kaum erreich­bar ist, gibt es nun auch eine groß­ar­tige Edi­tion für alle, die Wie­land lesen möch­ten, ohne tief in die Tasche grei­fen zu müssen.

Die Bände, bei Wall­stein in den bes­ten Hän­den, niveau­voll aus­ge­stat­tet, im umfang­rei­chen Anhang mit Erläu­te­run­gen, Nach­wort und Edi­ti­ons­no­tiz ver­se­hen, über­neh­men die vor­lie­gen­den Texte der Oßmann­s­ted­ter Aus­gabe, was der Edi­tion einen gro­ßen Vor­teil ver­schafft: Es wird nicht ewig dau­ern, bis sie kom­plett vor­liegt. 2002 mit einem Lese­buch gestar­tet, lie­gen inzwi­schen sechs Bände vor, dar­un­ter die »Geschichte des Aga­thon« und der Alters­ro­man »Aris­tipp«. Jedes Jahr kom­men zwei Bände dazu. Jüngst erschien die »Geschichte der Abde­ri­ten«, Wie­lands popu­lärste Schöp­fung, nach und nach in sei­ner Zeit­schrift »Teut­scher Mer­kur« ver­öf­fent­licht und 1781 erst­mals als Buch ediert.

Der Roman, ein sati­ri­scher Blick auf mensch­li­che Tor­hei­ten im anti­ken Abdera, hat viel Ähn­lich­keit mit der Spieß­bür­ger­welt der Zeit, die Wie­land aus eige­nem Erle­ben kannte. »Auf ein­mal war mir«, berich­tete er, »als höre ich eine Stimme … die mir zurief: setze dich, und schreibe die Geschichte der Abde­ri­ten.« Und er erzählte mit Lust und Witz, wie der Phi­lo­soph Demo­krit, der Arzt Hip­po­kra­tes und der Dich­ter Euri­pi­des keine Chan­cen hat­ten, der Unver­nunft und Beschränkt­heit ihrer Mit­welt bei­zu­kom­men, und wie, im vier­ten Buch des Romans, ein Pro­zess klä­ren muss, ob der Mie­ter eines Esels auch für des­sen Schat­ten zah­len muss. Es ist eine Geschichte vol­ler Komik und Absur­di­tä­ten gewor­den und der gewiss ver­gnüg­lichste Ein­stieg in den Erzähl­kos­mos Wielands.

 

  • Chris­toph Mar­tin Wie­land: Geschichte der Abde­ri­ten, Wall­stein Ver­lag, Göt­tin­gen 2025, 478 S., geb., 42 EUR.
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