Personen
Orte
Goethe-Nationalmuseum und Goethe-Wohnhaus
Thema
Von Goethes Tod bis zur Novemberrevolution
Otto von Taube
Stationen auf dem Weg. Erinnerungen an meine Werdezeit vor 1914, Heidelberg 1969.
Meine Arbeit im Goethehause bestand in der Mitwirkung an der großen, neu vorgenommenen Inventarisierung. Sie wurde mir leicht gemacht durch meinen Vorgesetzten, der in mir nicht den Untergebenen, sondern den jungen Standesgenossen sah, wie ich das aus meiner Heimat, aber auch vom Umgang der älteren Italiener mit der dortigen Jugend kannte. Der Obere zieht einen heran als den jungen, daher noch unerfahrenen und belehrungsbedürftigen Mitarbeiter, nicht aber als das widerspruchslose Ausführungsorgan. Und nun waren wir auch vollkommene Gesinnungsgenossen; wir waren außer Stande, Kleinliches ernst zu nehmen, und lachten uns schief über die Vorgesetztenansprüche der Ministerialräte, über Bürokratismus, Betriebszopfigkeit und alles wichtig genommene Unwichtige. Oettingen hatte den Witz seines Geschlechtes in solchem Maße, daß er anderen fast ruchlos erscheinen konnte. Auch ich galt ja für ruchlos; mein hallischer Studienfreund Oldenbourg, welcher doch selber Witz und Humor besaß, fand, ich gehe zu weit und schalt mich oft »frivol«. Alles Lächerliche, das mir auffiel, berichtete ich jetzt meinem Vorgesetzten, alles Lächerliche, das er erfuhr, brachte er zu mir.
Beim Inventarisieren kam mir z. B. in die Hand eine Stecknadeldose der Frau Rat mit so und so vielen Stecknadeln, die ich abzählte. »Soll ich nicht einige dieser heiligen Nadeln aus dem Fenster werfen? Ich fühle mich versucht«, sagte ich Oettingen beim Vortrage.
»Tun Sie’s nur«, lachte er. Natürlich tat ich es nicht. Doch hätte er mir’s wirklich nie verübelt, hätte ich’s getan.
Wir lachten über die Insektensammlung, in der noch einige Flügeldecken von Käfern über grünspanigen Nadeln vorhanden waren, den ausgestopften Baltimorevogel, dem die Motten den Kopf weggefressen hatten und den wir nicht wegwarfen, weil ein älteres Inventar ihn anführte. »Was würde der Minister sagen, wenn er ihn nicht mehr vorfände, wo er doch in den Akten verzeichnet ist?« In allem Ernste: Was hätte das Sachsen-Weimarische Ministerium in einem solchen Falle gesagt, wo doch wir beide Edelleute, gar baltische Edelleute waren?
Einst kam Oettingen zu mir, um mir – unter köstlicher Mimik zu erzählen: Ein uralter Herr mit Greisenstimme erscheint bei ihm. Er spricht weitläufig vom nahen Tode, der Pflicht, sein Haus zu bestellen, und will nun dem Goethenationalmuseum einen Gegenstand vermachen, den, wie er von seinem Vater wisse, Goethe immer habe haben wollen, doch von jenem nie bekommen habe. »Wohin anders als in das Goethehaus gehört dieser Gegenstand«, kräht der zitterige Alte und erzählt nun das Wunderbarste von der seltenen Sache, die Kostbarkeit des Kleinods preisend, das sein Vater dem Geheimrat nie habe ablassen wollen, und spricht weiter und weiter, ohne zu verraten, worum es sich handelt.
»Was ist denn das für ein Ding?« fragt Oettingen
»Eine Alraunwurzel«, flötet der Greis und entnimmt seinem Geldbeutel ein zusammengeschrumpftes Knabenkrautknöllchen, das er mit Zierlichkeit und Ehrfurcht vor Oettingen hinlegt.
Ich hatte die einlaufenden Briefe zu lesen und Wichtiges zur Entscheidung dem Direktor vorzulegen. Natürlich legte ich ihm auch alles Possierliche vor. So kam eines Tages ein Brief des Malers Professor Fleischer. Es war nämlich die Unsitte eingerissen, daß zeitgenössische Künstler ihre Goethedarstellungen in das Goethehaus stifteten, wo sie anfänglich ehrenvolle Plätze erhielten. Da gab es z. B. eine ganz abscheuliche Skulptur von Eberlein: Goethe mit Schillers Schädel in der Hand. »Goethe als Menschenfresser«, spotteten die Weimarer ob diesem ihrem Dichterfürsten, der mit grausig rollenden Augen wie gierig den Schädel in seiner Hand betrachtet. Professor Fleischer jedoch hatte ein Ölgemälde gestiftet »Mehr Licht«. Es zeigte den im Lehnstuhl sterbenden Goethe in furchtbarer Verkrampfung, neben ihm – ebenfalls krampfhaft – zusammengekauert über seiner Hand ein weinendes Frauenzimmer: wohl die Schwiegertochter Ottilie. Goethes Bett neben seinem Sterbesessel erschien, wie auch in Wirklichkeit, mit einer grünen Steppdecke bezogen, es gab auf dem Gemälde auch sonst allerlei in dieser Farbe. Und nun beschwerte sich Fleischer, Oettingen, der für dergleichen Stiftungen einen besonderen Raum als »Schreckenskammer« eingerichtet hatte, habe sein Meisterwerk durch diesen Platzwechsel entehrt und ihn selber gekränkt, der dieses Werk ja »mit seinem Herzblut gemalt« habe.
Ich ging mit der Post zu Oettingen und trug ernsthaft dieses und jenes vor. »Und nun schreibt auch Professor Fleischer«, fuhr ich, als jener Brief an der Reihe war, schmunzelnd fort, »und beschwert sich, daß Sie sein Gemälde in die Schreckenskammer gewiesen haben. Das sei ungerecht, denn er habe sein Kunstwerk mit seinem Herzblut gemalt. Was nun?« – »Daraus ergibt sich für mich nur eines«, platzte Oettingen mit vergnügtem Gelächter aus: »Professor Fleischers Herzblut ist grün.«
So ging es tagtäglich lustig zu. Und dabei wurde doch ernsthafte Arbeit geleistet.
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