Vor 400 Jahren in Weimar gegründet: Deutschlands erste literarische Gesellschaft
5 : Eine Lanze für die Rechtschreibung und eine wider die Übelschreibung

Thema

Schriftsteller der Frühen Neuzeit

Autor

Christoph Schmitz-Scholemann

Thüringer Literaturrat e.V.

Einer der Frucht­brin­ger war der damals hoch­pro­mi­nente Dich­ter Phil­ipp von Zesen (1619 bis 1689). Sein Gesell­schafts­name lau­tete: »der Wohl Set­zende«. Als Pflanze war ihm das »Ruhr­kraut« zuge­wie­sen, das damals als schnell wir­ken­des Abführ­mit­tel bei obs­ti­pa­ten Darm­zu­stän­den (Ver­stop­fung) beliebt war, indem es den Dar­m­in­halt rasch ver­flüs­sigte. Das Reim­ge­setz für den Wohl­set­zen­den lau­tete folgendermaßen:

»Wohl set­zend der Natur nach bin ich hier genannt,
denn, wie das Ruhr­kraut pflegt die Lei­ber wohl zu setzen
zum Abfluss, also wird die Schrift für gut erkannt,
die flüs­sig ist, sie kann den Leser wohl ergötzen.
Gezwun­gene Neue­rung sei weit von uns verbannt,
weil sie die Eigen­schaft der Rede will verletzen:
wer neue Sachen setzt, der setze mit Bedacht,
und nehme die Natur der Sach und Sprach in Acht.«

Die Freude an flüs­sig geschrie­be­nen Sät­zen mit dem Glück zügi­ger Eges­tion zu ver­glei­chen, ver­rät ohne Zwei­fel Sinn für Humor. Der Schrift­wech­sel Zesens mit Lud­wig I. ist übri­gens erhal­ten. Er zeigt, wie leb­haft, detail­liert und  streit­bar Lud­wig I. über Fra­gen der Spra­che debat­tie­ren konnte. Das Buch, das den Brief­wech­sel ent­hält, erschien 1855 in Leip­zig. Es heißt: »Urkund­li­cher Bei­trag zur Geschichte der deut­schen Sprach­ge­sell­schaf­ten im XVII. Jahr­hun­derte«. G. Krause hat es her­aus­ge­ge­ben und ich erwähne es des­halb, weil man es bei google-books kos­ten­los lesen kann, was ein wirk­li­ches Ver­gnü­gen ist, selbst wenn man gele­gent­lich ein paar Zei­len über­schlägt:  Es zeigt den Glanz des dama­li­gen sprach­pfle­ge­ri­schen  Eifers – aller­dings, und das soll hier nicht ver­schwie­gen wer­den, auch die Gefah­ren, die mit staat­li­cher Lite­ra­tur­för­de­rung ein­her­ge­hen kön­nen: Zu viel Nähe zwi­schen den Spä­ren des Geis­tes und der Macht scha­det bei­den: Die Mäch­ti­gen sind in der Gefahr, Debat­ten allzu schnell mit Macht­wor­ten zu been­den, für Dich­te­rin­nen und Den­ker kann die Ver­su­chung der, sagen wir es ruhig in der gebo­te­nen Grob­heit: Spei­chel­le­cke­rei, nie­mals aus­ge­schlos­sen wer­den. Es gibt aber, und dafür ist Phil­ipp von Zesen ein gutes Bei­spiel, auch Künst­ler, die sich von den Dro­hun­gen der Mäch­ti­gen – bei aller Freund­schaft im Übri­gen – nicht kor­rum­pie­ren lassen.

In sei­ner Kor­re­spon­denz (abge­druckt bei Krause a. a. O., Seite 411 ff.) mit Fürst Lud­wig I. erweist sich Phil­ipp von Zesen als ein über­aus selbst­be­wuss­ter Schrift­stel­ler. »Der Wohl­set­zende« legte sich mit dem »Näh­ren­den« der­ma­ßen an, dass der alte Fürst den wider­spens­ti­gen Dich­ter am liebs­ten aus der Gesell­schaft hin­aus­ge­wor­fen hätte. Der Streit ent­zün­dete sich an ein­zel­nen Wor­ten, aber wohl auch an der Pedan­te­rie des Fürs­ten und der Respekt­lo­sig­keit des Dich­ters. Zum Bei­spiel hatte Zesen in einem dem Fürs­ten über­sand­ten Buch (Filip Zesens durch­aus ver­mehr­ter und zum drit­ten und letz­ten Malh in dreien tei­len aus gefer­tig­ter Hoch-deut­scher Heli­kon oder Grund-rich­tige Anlei­tung zur hoch-deut­schen  Dicht – und Reim – Kunst, April 1649)  das latei­ni­sche Wort illus­ter (damals als ehren­des Bei­wort für Fürs­ten gebräuch­lich) mit »durch­leuch­tet« (wir den­ken an die Bezei­chung »Durch­laucht«) über­setzt, was Lud­wig I. ärgerte, weil er meinte, es müsse »erleuch­tet« hei­ßen, wor­auf Zesen erwi­derte, »erleuch­tet« könn­ten nur Geist­li­che sein, näm­lich vom Hei­li­gen Geist. Außer­dem war von Zesen der Mei­nung, dass es letzt­lich weder eine »Recht–  noch, so wört­lich, »Übel-Schrei­bung« gebe, weil die Ortho­gra­phie nicht inte­gra­ler Bestand­teil einer Spra­che sei und letzt­lich komme es doch auf die Spra­che selbst an und nicht auf ihr ortho­gra­phi­sches Kleid in Gestalt die­ser oder jener Schreib­weise. Nach eini­gem wei­te­ren Hin und Her bricht Zesen dann die Kor­re­spon­denz vor­läu­fig ab mit der Begrün­dung, er müsse jetzt nach Hol­land rei­sen. Dar­über ist Lud­wig I nun end­gül­tig ver­stimmt und schreibt am 26. Mai 1649 an Zesen:

meh­rere Ver­wir­rung in deut­scher Spra­che, wie schon von sei­ner Genos­sen­schaft in der Übel-Schrei­bung und ande­ren über­flüs­si­gen Klü­ge­leien, die mehr in selbst erfun­de­nen Ein­bil­dun­gen und Sons­tig­li­chen Mei­nun­gen, nach frem­den Spra­chen gerich­tet, als auf den rech­ten Grund, die Natur und ein­ge­führ­ten guten Gewohn­heit, bestehen, hält der Näh­rende ganz undien­lich… Von der frucht­brin­gen­den Gesell­schaft und ande­ren… Recht Deut­schen wer­den sie nie gut­ge­hei­ßen wer­den, und mag er sie… wider die ange­bo­rene deut­sche Natur oder Art… nicht gebrau­chen, sonst müsste ihm hier run­ter öffent­lich wider­spro­chen wer­den.… Er wird gewiss in Hol­land, Nie­der­lande, Frank­reich und ande­ren frem­den Orten der deut­schen Spra­che Grund, Aus­spra­che und Recht­schrei­bung nicht fin­den, noch end­lich seine ein­ge­bil­dete Mei­nung behal­ten kön­nen. Wird dem­nach … vermahnet.…Damit er nicht wegen sei­ner aus­schwei­fende Gedan­ken den Namen des wohl set­zen­den ver­liere und sol­ches auf sich durch Eigen­liebe und wid­ri­gen Ver­stand ziehe…

Ein von Lud­wig I. als Sach­ver­stän­di­ger her­an­ge­zo­ge­ner ande­rer Frucht­brin­ger resü­mierte schon am 12. Mai 1649 bezüg­lich Zesens:

mich bedeuch­tet, es steckt eine nichts­wür­dige Eitel­keit dar­un­ter, und ekelt mir recht vor dem gro­ßen Zesen, wel­ches, wie ich gese­hen, bei Aus­fer­ti­gung des Heli­kons aber­mals auf die Bah­nen gebracht wird…

 Vor 400 Jahren in Weimar gegründet: Deutschlands erste literarische Gesellschaft:

  1. Gründung der »Fruchtbringenden Gesellschaft«
  2. Nach dem Vorbild der »Accademia de la crusca« in Italien
  3. Gleichheit unter dem Zeichen der Palme
  4. Würde, Schönheit und Geist des Deutschen
  5. Eine Lanze für die Rechtschreibung und eine wider die Übelschreibung
  6. Sprache und Literatur als identitätsstiftende Kraft
  7. Literatur und Politik
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