Einer der Fruchtbringer war der damals hochprominente Dichter Philipp von Zesen (1619 bis 1689). Sein Gesellschaftsname lautete: »der Wohl Setzende«. Als Pflanze war ihm das »Ruhrkraut« zugewiesen, das damals als schnell wirkendes Abführmittel bei obstipaten Darmzuständen (Verstopfung) beliebt war, indem es den Darminhalt rasch verflüssigte. Das Reimgesetz für den Wohlsetzenden lautete folgendermaßen:
»Wohl setzend der Natur nach bin ich hier genannt,
denn, wie das Ruhrkraut pflegt die Leiber wohl zu setzen
zum Abfluss, also wird die Schrift für gut erkannt,
die flüssig ist, sie kann den Leser wohl ergötzen.
Gezwungene Neuerung sei weit von uns verbannt,
weil sie die Eigenschaft der Rede will verletzen:
wer neue Sachen setzt, der setze mit Bedacht,
und nehme die Natur der Sach und Sprach in Acht.«
Die Freude an flüssig geschriebenen Sätzen mit dem Glück zügiger Egestion zu vergleichen, verrät ohne Zweifel Sinn für Humor. Der Schriftwechsel Zesens mit Ludwig I. ist übrigens erhalten. Er zeigt, wie lebhaft, detailliert und streitbar Ludwig I. über Fragen der Sprache debattieren konnte. Das Buch, das den Briefwechsel enthält, erschien 1855 in Leipzig. Es heißt: »Urkundlicher Beitrag zur Geschichte der deutschen Sprachgesellschaften im XVII. Jahrhunderte«. G. Krause hat es herausgegeben und ich erwähne es deshalb, weil man es bei google-books kostenlos lesen kann, was ein wirkliches Vergnügen ist, selbst wenn man gelegentlich ein paar Zeilen überschlägt: Es zeigt den Glanz des damaligen sprachpflegerischen Eifers – allerdings, und das soll hier nicht verschwiegen werden, auch die Gefahren, die mit staatlicher Literaturförderung einhergehen können: Zu viel Nähe zwischen den Spären des Geistes und der Macht schadet beiden: Die Mächtigen sind in der Gefahr, Debatten allzu schnell mit Machtworten zu beenden, für Dichterinnen und Denker kann die Versuchung der, sagen wir es ruhig in der gebotenen Grobheit: Speichelleckerei, niemals ausgeschlossen werden. Es gibt aber, und dafür ist Philipp von Zesen ein gutes Beispiel, auch Künstler, die sich von den Drohungen der Mächtigen – bei aller Freundschaft im Übrigen – nicht korrumpieren lassen.
In seiner Korrespondenz (abgedruckt bei Krause a. a. O., Seite 411 ff.) mit Fürst Ludwig I. erweist sich Philipp von Zesen als ein überaus selbstbewusster Schriftsteller. »Der Wohlsetzende« legte sich mit dem »Nährenden« dermaßen an, dass der alte Fürst den widerspenstigen Dichter am liebsten aus der Gesellschaft hinausgeworfen hätte. Der Streit entzündete sich an einzelnen Worten, aber wohl auch an der Pedanterie des Fürsten und der Respektlosigkeit des Dichters. Zum Beispiel hatte Zesen in einem dem Fürsten übersandten Buch (Filip Zesens durchaus vermehrter und zum dritten und letzten Malh in dreien teilen aus gefertigter Hoch-deutscher Helikon oder Grund-richtige Anleitung zur hoch-deutschen Dicht – und Reim – Kunst, April 1649) das lateinische Wort illuster (damals als ehrendes Beiwort für Fürsten gebräuchlich) mit »durchleuchtet« (wir denken an die Bezeichung »Durchlaucht«) übersetzt, was Ludwig I. ärgerte, weil er meinte, es müsse »erleuchtet« heißen, worauf Zesen erwiderte, »erleuchtet« könnten nur Geistliche sein, nämlich vom Heiligen Geist. Außerdem war von Zesen der Meinung, dass es letztlich weder eine »Recht– noch, so wörtlich, »Übel-Schreibung« gebe, weil die Orthographie nicht integraler Bestandteil einer Sprache sei und letztlich komme es doch auf die Sprache selbst an und nicht auf ihr orthographisches Kleid in Gestalt dieser oder jener Schreibweise. Nach einigem weiteren Hin und Her bricht Zesen dann die Korrespondenz vorläufig ab mit der Begründung, er müsse jetzt nach Holland reisen. Darüber ist Ludwig I nun endgültig verstimmt und schreibt am 26. Mai 1649 an Zesen:
mehrere Verwirrung in deutscher Sprache, wie schon von seiner Genossenschaft in der Übel-Schreibung und anderen überflüssigen Klügeleien, die mehr in selbst erfundenen Einbildungen und Sonstiglichen Meinungen, nach fremden Sprachen gerichtet, als auf den rechten Grund, die Natur und eingeführten guten Gewohnheit, bestehen, hält der Nährende ganz undienlich… Von der fruchtbringenden Gesellschaft und anderen… Recht Deutschen werden sie nie gutgeheißen werden, und mag er sie… wider die angeborene deutsche Natur oder Art… nicht gebrauchen, sonst müsste ihm hier runter öffentlich widersprochen werden.… Er wird gewiss in Holland, Niederlande, Frankreich und anderen fremden Orten der deutschen Sprache Grund, Aussprache und Rechtschreibung nicht finden, noch endlich seine eingebildete Meinung behalten können. Wird demnach … vermahnet.…Damit er nicht wegen seiner ausschweifende Gedanken den Namen des wohl setzenden verliere und solches auf sich durch Eigenliebe und widrigen Verstand ziehe…
Ein von Ludwig I. als Sachverständiger herangezogener anderer Fruchtbringer resümierte schon am 12. Mai 1649 bezüglich Zesens:
mich bedeuchtet, es steckt eine nichtswürdige Eitelkeit darunter, und ekelt mir recht vor dem großen Zesen, welches, wie ich gesehen, bei Ausfertigung des Helikons abermals auf die Bahnen gebracht wird…
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