Samuel Glesel – Von Gotha in die Welt
5 : Von Berlin nach Engels

Person

Samuel Glesel

Ort

Gotha

Themen

Weimarer Republik

Thüringen im Nationalsozialismus

Autor

Jens Kirsten

Thüringer Literaturrat e.V.

In ihrem Tage­buch, das ihr Sohn Alex­an­der der Schrift­stel­le­rin Elfriede Brü­ning nach Erschei­nen ihrer Erin­ne­run­gen Anfang der 1990er Jahre über­gab, schreibt Eli­sa­beth Wellnitz:

So war unsere Lage, objek­tiv gese­hen, ziem­lich hoff­nungs­los, aber wir waren jung und opti­mis­tisch und lie­ßen uns nicht so rasch unter­krie­gen. Den­noch war ich glück­lich, als eines Tages in der Par­tei eine sowje­ti­sche Genos­sin erschien, die um  Lehr­kräfte  für ein Fremd­spra­chen-Insti­tut in Engels warb; man sollte dort Deutsch­un­ter­richt geben. Das war  die Chance, auf die ich immer gewar­tet hatte und die ich mit Freu­den ergriff. Über­stürzt berei­tete ich meine Über­sied­lung vor, denn mein Kind sollte nach Mög­lich­keit schon in Engels in geord­ne­ten Ver­hält­nis­sen zur Welt kom­men; ich reiste also schon 1931 ab. Sally, der noch zu eini­gen Vor­trä­gen in der Masch ver­pflich­tet war, konnte nicht sogleich mit­kom­men, er hatte sich aber eben­falls um eine Anstel­lung in Engels bemüht, wurde auch ange­nom­men und folgte mir im Som­mer 1932 nach.

Die Aus­sich­ten für den kom­mu­nis­tisch-jüdi­schen Schrift­stel­ler Samuel Gle­sel im Deutsch­land des Jah­res 1932 las­sen sich leicht aus­ma­len. Daß die Ent­schei­dung, Deutsch­land zu ver­las­sen, bei­den leicht fiel, liegt auf der Hand. Beide erhoff­ten sich von dem Leben in der Sowjet­union eine bes­sere Zukunft; die Erfül­lung ihrer Vor­stel­lun­gen von gesell­schaft­li­chem Fort­schritt. Eli­sa­beth Well­nitz trat eine Stelle als Deutsch­leh­re­rin am Deut­schen Päd­ago­gi­schen Insti­tut in Engels an, wo auch Samuel Gle­sel Arbeit fand. In der wol­ga­deut­schen Stadt Engels wur­den sie jedoch mit einem Schlag mit den rea­len sowje­ti­schen Ver­hält­nis­sen jener Jahre kon­fron­tiert. Sie muß­ten mit meh­re­ren frem­den Per­so­nen ein Zim­mer tei­len, hier lern­ten sie die kata­stro­phale Ver­sor­gungs­lage jener Jahre in der Sowjet­union ken­nen. Ihre 1932 in der UdSSR gebo­rene Toch­ter Else starb bald an Unter­ernäh­rung. Samuel Gle­sel erkrankte an Mala­ria und reiste nach Mos­kau, um dort eine Woh­nung und Arbeit zu finden.

Schließ­lich signa­li­sier­ten Freunde bes­sere Lebens­be­din­gun­gen aus Lenin­grad, wor­auf­hin sie ohne Abmel­dung in Engels und ohne Erlaub­nis der Behör­den dort­hin auf­bra­chen. Die Macht­über­nahme der Natio­nal­so­zia­lis­ten in Deutsch­land im Januar 1933 ver­hin­derte, dass sie auf­grund ihres Kon­trakt­bruchs in Engels zur Rechen­schaft gezo­gen wur­den. Als deut­sche Emi­gran­ten genos­sen sie den Schutz der sowje­ti­schen Regie­rung. Samuel Gle­sel wurde als Kan­di­dat in die deut­sche Sek­tion des Sowje­ti­schen Schrift­stel­ler­ver­ban­des aufgenommen.

Eli­sa­beth Well­nitz schreibt in ihrem Tagebuch:

Als sol­che beka­men wir, wie auch andere Emi­gran­ten, jetzt sogar eine Woh­nung, und zwar wur­den wir alle zusam­men in einem Haus unter­ge­bracht, das ein­mal für Unter­of­fi­ziers-Wit­wen des Ers­ten Welt­krie­ges gebaut wor­den war. Wir bewohn­ten zwei Räume, und da wir Arbeit hat­ten, ging es uns ver­hält­nis­mä­ßig gut. Sally arbei­tete als Schrift­stel­ler; 1935 wurde im Deut­schen Staats­ver­lag in Engels sein ers­tes Buch, eine Samm­lung von Repor­ta­gen, ver­öf­fent­licht, und ein Thea­ter­stuck sollte in naher Zukunft Pre­miere haben. Ich war an der Lenin­gra­der Hoch­schule für Fremd­spra­chen als Leh­re­rin tätig.

 Samuel Glesel – Von Gotha in die Welt:

  1. Aus der Hitzelsgasse
  2. Herkunft und Kindheit Samuel Glesels
  3. Ein Mittagessen
  4. Von Gotha nach Berlin
  5. Von Berlin nach Engels
  6. Samuel Glesels Bücher erscheinen
  7. Glesel wird als »Parteischädling« diffamiert
  8. Glesels Verhaftung und Ermordung durch den NKWD
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