Erfurt
5 : Erfurt als ein Zentrum des Humanismus (1460–1570)

Personen

Crotus Rubeanus (Joh. Jäger)

Martin Luther

Orte

Erfurt

Haus »Zur Engelsburg« in Erfurt

Thema

Ortsporträts

Autor

Patrick Siebert

Detlef Ignasiak, Das literarische Thüringen, Bucha 2015.

In das Zen­trum des lite­ra­tur­ge­schicht­li­chen Inter­es­ses rückt die Uni­ver­si­tät vor allem als ein Mit­tel­punkt der huma­nis­ti­schen Dich­tung in Deutsch­land. Als Enea Sil­vio Pic­co­lomini (1405–1464), der spä­tere Pius II, in sei­ner »Ger­ma­nia« Erfurt als »volk- und schät­ze­reich«, ist die Stadt auf einem wirt­schaft­li­chen, wie poli­ti­schen Höhe­punkt ihrer Ent­wick­lung. Ein Huma­nist auf dem Petersthron war für die all­ge­meine Aner­ken­nung der Denk­rich­tung ein wich­ti­ger Schritt. In Erfurt sind es die Besu­che von Peter Luder (1415–1472) und Samuel Karoch von Lich­ten­berg (gest. nach 1485), die an der Uni­ver­si­tät die Begeis­te­rung für das neue Den­ken entfachen.

Nament­lich die ein­drucks­volle Vor­trags­kunst des Wan­der­pre­di­gers Lich­ten­berg fes­selte die Zuhö­rer bei sei­nen Besu­chen 1470/71 und 1484/85 mit latei­ni­schen Gedich­ten. Eine ungleich grö­ßere Wir­kung hatte 1486 der Besuch des Kon­rad Cel­tis (1459–1508). Er ver­sam­melte einen Freun­des­kreis um sich, in dem, neben der Arbeit an his­to­ri­schen Quel­len, vor allem das Ver­fas­sen latei­ni­scher Verse im Mit­tel­punkt stand. Mit sei­nem Poe­tik-Unter­richt beginnt sich Erfurts Ruf als Zen­trum des Huma­nis­mus zu ver­fes­ti­gen. Niko­laus Mar­schalk (1460/70–1525) gilt als ers­ter dau­er­haft in Erfurt leh­ren­der Huma­nist. Wäh­rend sei­ner Erfur­ter Jahre 1492–1502 betrieb er nicht nur eine eigene Dru­cke­rei, son­dern ver­fasste mit der »Gram­ma­tica exege­tica« von 1501 das erste deut­sche Griechisch-Lehrbuch.

Eben­falls in die­ser Zeit ent­stan­den ist die Schrift »Enchi­ri­dium poetarum cla­ris­si­morum«, die als erste Ein­füh­rung in die grie­chi­sche Dich­tung gel­ten darf. In sei­ner Lehr­zeit kam es zu einem brei­ten Neben­ein­an­der ver­schie­de­ner Denk­rich­tun­gen. Hen­ning Goede (1450–1521), ab 1489 Dok­tor der Juris­te­rei an der Uni­ver­si­tät und dort mehr­fach deren Rek­tor, machte sich aus bedeu­ten­der juris­ti­scher Autor und Rechts­bei­stand einen Namen. Als »Fürst der Scho­las­tik« war der berühm­teste Erfur­ter Pro­fes­sor um 1500 Jodo­cus Trut­fet­ter (um 1460–1519) bekannt. Trotz einer Aus­bil­dung unter dem Ein­druck der alten Scho­las­tik war er dem Huma­nis­mus auf­ge­schlos­sen und band dem Drang die Welt mit der mensch­li­chen Ver­nunft zu erfas­sen einen ent­schie­den fort­schritt­li­chen Gedan­ken in seine scho­las­ti­schen Über­le­gun­gen ein.

Die Rück­kehr des Con­ra­dus Mutia­nus Rufus (1470–1526) nach Erfurt 1502 ist eine wich­tige Weg­marke der Ent­wick­lung Erfurts zur Dich­ter­stadt. Mit der Grün­dung des »Älte­ren Mutia­ni­schen Krei­ses«, eines lite­ra­ri­schen Zir­kels, des­sen Zen­trum in Gotha lag, beför­derte er nicht nur das huma­nis­ti­sche Den­ken an der Uni­ver­si­tät, son­dern geneh­migte sich auch den Lebens­stil einer exklu­si­ven Geis­tesa­ris­to­kra­tie. Nach sei­nem Stu­dium bei Con­rad Cel­tis in Erfurt, sam­melte er in Flo­renz und Rom wei­tere Impulse für seine scharfe Kri­tik an den Insti­tu­tio­nen der Kir­che. Doch auch Johann Faust (um 1480–1541), sei­nes Zei­chens Wun­der­hei­ler und Alche­mist, wurde harsch atta­ckiert. 1513 schreibt Mutia­nus, Faust sei ein blo­ßer Prah­ler und Narr. Seine Kunst, wie die aller Wahr­sa­ger, ist eitel, und eine sol­che Phy­sio­gno­mie ist leich­ter als eine Was­ser­spinne. Die Dum­men sind vol­ler Bewunderung.

Einer der bis heute pro­fi­lier­tes­ten Namen, der bei Rufus ein und aus ging, war Eoba­nus Hes­sus (1488–1540), den Luther als »berühm­tes­ten Poe­ten der Zeit, den from­men und rei­nen Sän­ger« rühmte. An der Uni­ver­si­tät als Pro­fes­sor der latei­ni­schen Spra­che tätig, bezog er Woh­nung in der Engels­burg in der Aller­hei­li­gen­straße, die mit ihrem »Huma­nis­ten­er­ker« zu einem Tum­mel­platz der jun­gen Dich­ter wurde. Seine an den Ver­sen Ver­gils geschulte Idylle »Buco­li­con« von 1509, eine Hir­ten­dich­tung, brachte noch nicht den gewünsch­ten Durchbruch.

Erst mit dem Erfolg sei­nes Opus Magnum, der »Hero­i­des Chris­ti­a­nae«, konnte er sein aus­schwei­fen­des Leben wei­ter­füh­ren. Über soziale Gren­zen hin­weg pos­tu­liert er den Tugend­adel: »Frage nicht, was mein Fami­li­en­wap­pen oder wer meine Eltern gewe­sen sind! […] Ach, ich möchte mei­ner Tugend wegen als ade­lig gerühmt wer­den.«. Sehr eng mit Eoba­nus ver­kehrte Peter Eber­bach (1480–1531) wäh­rend sei­nes Auf­ent­hal­tes in Erfurt ab Herbst 1515.

Eoba­nus schrieb an Mutian: »Petreius und ich ver­brin­gen fast jeden Tag mit dem Schrei­ben von Epi­gram­men.«. In sei­nen huma­nis­ti­schen Schrif­ten focht er für die natio­nal­deut­sche Seite, der vor allem die Frei­heit des Lan­des am Her­zen lag. Gänz­lich ande­ren Cha­rak­ter hatte eine Zusam­men­ar­beit von Cro­tus Rubea­nus (um 1480–1545) und Ulrich von Hut­ten (1488–1523). Gemein­sam ver­fass­ten sie die »Dun­kel­män­ner­briefe«. Aus­ge­hend von einem Streit zwi­schen den Köl­ner Domi­ni­ka­nern und Johan­nes Reuch­lin (1455–1522) ob jüdi­sches Schrift­gut zu ver­bren­nen sei oder nicht ent­stand ab Okto­ber 1515 eine Samm­lung fin­gier­ter Briefe, die unter dem Titel »Epis­to­lae Obscu­ro­rum Viro­rum« für Furore sorgte.

Wähend Rubea­nus als Urhe­ber des ers­ten Teils gilt, wird Hut­ten der zweite 1517 erschie­nene Teil zuge­schrie­ben. In den angeb­lich von Domi­ni­ka­nern ver­fass­ten Schrift­stü­cken wim­melt es vor ortho­gra­fi­schen und sti­lis­ti­schen Feh­lern. Zusam­men mit sach­li­chen Schwä­chen sol­len die Briefe die Mön­che als ortho­dox und denk­faul ent­lar­ven. Auch hier hatte Eoba­nus seine Hände im Spiel und lie­ferte wich­tige Impulse für die Ent­ste­hung der Briefe:

… Ich werde hier einige Erfur­ter ansta­cheln; sie sol­len mir wie ein Schwarm von Wes­pen jene Vogel­scheu­chen, jene unge­heu­ren Mons­ter her­um­ja­gen: weder zu Was­ser noch zu Lande wer­den jene zu Atem kommen.

Zu allem Über­fluss erkann­ten viele Domi­ni­ka­ner den sati­ri­schen Cha­rak­ter des Wer­kes nicht, nah­men beson­ders über­spitzte For­de­run­gen auf und ver­foch­ten diese wei­ter. Für Luther war der unbe­kannte Ver­fas­ser ein »Hans­wurst«, da er die berech­tigte anti­rö­mi­sche Kri­tik ins Lächer­li­che zieht. Mehr Gefal­len fand daran sicher Euricius Cor­dus (1489–1535). Der viel­sei­tige gelehrte Arzt wurde mit sei­nen »Epi­gram­mata« von 1517 einem brei­te­ren Publi­kum bekannt. Bis 1520 ent­stand aus sei­ner Feder eine Samm­lung von mehr 1200 Epi­gram­men, die sei­nen Ruf als bes­ten sati­ri­schen Dich­ter des Huma­nis­mus begründeten

Der Arzt hat drei Gesichter/das des Engels, wenn er gefragt wird; bald ist er, wenn er Hilft, wie Gott selbst/danach, wenn er sein Hono­rar vom geheil­ten Kran­ken fordert/erscheint er ein wider­li­cher und schreck­li­che Teufel. 

Auch der Sohn von Euricius, Vale­rius Cor­dus (1515–1544) brachte es zu eini­gem Ruhm. Aller­dings bril­lierte er vor­ran­gig in den Dis­zi­pli­nen Bota­nik und Pharmazie.

 Erfurt:

  1. Erfurt im Mittelalter - Klöster als Zentren des literarischen Lebens
  2. Das Erfurter Mittelalter II
  3. Theater im Mittelalter
  4. Die Anfänge der Erfurter Universität
  5. Erfurt als ein Zentrum des Humanismus (1460-1570)
  6. Der Reformator
  7. Die Stadt bis zum Verlust der Unabhängigkeit (1571-1664)
  8. Unter Mainzer Statthalterschaft bis Dalberg (1665-1772)
  9. Karl Theodor von Dalberg – Der letzte Statthalter
  10. Erfurt unter Dalberg und der Kreis im Haus Dacheröden (1772-1802)
  11. Die Franzosen in der Stadt – Fürstenkongress, Napoleon und Goethe (1806-1814)
  12. Erfurt und die Preußen im 19. Jahrhundert
  13. Erfurt von 1900 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges
  14. Von der Landeshauptstadt zur Bezirksstadt zur Landeshauptstadt – Erfurt bis zur Gegenwart
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