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Preller-Wohnhaus in der Belvederer Allee
Thema
Von Goethes Tod bis zur Novemberrevolution
Edwin Redslob
Von Weimar nach Europa, Jena 1998.
Ludwig von Hofmann und Ernst Hardt waren mit dem jungen Weimaraner Buchgestalter und Illustrator Markus Behmer befreundet. Behmer war eine äußerst eigenartige, von der Kunst Beardsleys her bestimmte Persönlichkeit, und noch als Schüler begriff ich den Wert seiner Kunst, der in einer von ihm illustrierten und ausgestatteten Ausgabe von Oskar Wildes Salome zum Ausdruck gekommen war. Ich bewahre noch die Probedrucke, die er mir »zum Dank für ein tröstendes Verständnis«, wie die Widmung hieß, geschenkt hat. Sein Schaffen habe ich später auch in Berlin begleitet und als Juror dafür sorgen können, daß er einen Kunstpreis für Graphik bekam.
Weimaraner geworden war der aus Schlesien stammende Alexander Olbricht, der nahe der Belvederer Allee wohnte. Das war eine absonderliche Welt von Haus und Garten, gefüllt mit Raritäten, die Spielzeug waren oder zu seiner Spielzeugsammlung paßten. Olbricht hat, ähnlich wie Behmer, reizvolle ornamentale Scherenschnitte gefertigt, aber es ist mir nur in einem Fall geglückt, einen Verleger zu finden, der die liebenswerte Eigenart des versonnenen Talentes dieses kleinen, ein wenig verwachsenen Malers und Graphikers begriff. Ich konnte ein Werk mit Blumenbildern herausgeben, dem ich ein Motto des Dichters aus Olbrichts schlesischer Heimat, Angelus Silesius, gab, das zu der Kunst des mit Unrecht verkannten Meisters paßt:
Die Ros’ ist ohn’ Warum, fragt nicht,
ob man sie siehet,
Sie acht’ nicht ihrer selbst, weiß nicht,
für wen sie blühet.
Noch lebte in Weimar Max Liebermanns Freund, der Landschaftsmaler Theodor Hagen, der auch Lehrer von Olbricht gewesen war. Mit ihm wirkte an der Kunstschule der besonders auch als Graphiker geschätzte Walter Klemm. Klemm war und ist noch nach seinem Tod als Tierbildner bekannt. Die Illustrationen zu Goethes Reineke Fuchs, die herauszugeben ich die Freude hatte, bilden einen Höhepunkt seiner Kunst. An ihm lernte ich begreifen, was das Bildgedächtnis für den Künstler bedeuten kann. Klemm hatte ein derartiges Gefühl für Bewegung und Form, daß er es nicht nötig hatte, den Sprung einer Katze oder den Lauf eines Pferdes oder was immer für den Tiermaler in Frage kommt, im Augenblick der Beobachtung festzuhalten. Seine Begabung ermöglichte es ihm, Erschautes als bleibenden Bildeindruck im geistigen Auge zu bewahren, und wohl gerade daraus erklärt sich die Einprägsamkeit seiner Darstellungen. Der aus Karlsbad Stammende war zugleich ein begnadeter Geiger, den späterhin, in den zwanziger Jahren, gemeinsam mit Paul Klee spielen zu hören, ein Genuß war. Das entsprach so ganz dem, was zum Wesen Weimars gehörte.
Natürlich lebten auch einige Dichter in Weimar. Aber während die Maler, sofern sie verschiedene Domänen haben, untereinander verträglich sind, pflegen die Dichter ihren Kollegen gegenüber oft sehr viel mehr ablehnend zu sein. So stand Wildenbruch, der sich hoch über dem Park seine Villa »Ithaka« erbaut hatte und sich als ein preußischer Shakespeare fühlte, den von der Sage verklärten Dichtungen des wenig Schritte von ihm entfernt wohnenden Ernst Hardt – dem Dichter des Tantris und der Gudrun – völlig fremd gegenüber. Wilhelm Scholz, der 1905 sein wohl bekanntestes Drama, den »Juden von Konstanz«, in Weimar auf die Bühne gebracht hatte, erklärte wiederum das mystische Motiv als den wahren Urgrund aller Poesie. Bei ihm, der selbst einen ausgeprägten Sinn für das Anekdotische hatte, erlebte ich eine köstliche Szene: Ich war gemeinsam mit dem kurz vorher nach Weimar gezogenen Johannes Schlaf – dem bis zur Agressivität den unbedingten Naturalismus in der Dichtung vertretenden Freund des bekannteren Berliners Arno Holz – und mit dem aus dem Baltikum stammenden Otto von Taube am Abend in das Prellerhaus in der Belvederer Allee eingeladen, wo Scholzens ihre Wohnung hatten. Kurz ehe der erwartete Johannes Schlaf eintreffen mußte, sagte Scholz, nicht ohne spürbares Vergnügen über die zu erwartende schwierige Situation, eben noch habe sich vom Bahnhof aus Arthur Holitscher, der Vertreter des Symbolismus, gemeldet, und er hätte es nicht vermeiden können, auch ihn zu diesem Abend zu bitten, obwohl er und Schlaf literarische Gegner seien. Und nun kamen die beiden, die schon auf der Treppe zusammengeprallt waren, in spürbar feindseliger Stimmung herein. Da es ein schöner Sommerabend war, gingen wir erst auf die Loggia, von der aus man über die Allee hinüber in den Park zu der tempelartigen Fassade des Römischen Hauses blickte. Der italienischen Bauart des Prellerhauses entsprechend, flankierten die Balustrade des Balkons zwei große Vasen antikischen Stiles, aus denen schwertartige Agavenblätter herausragten. Schlaf, neben Holitscher stehend, fragte mit seiner harten Stimme: »Ist das Natur?« Holitscher, ein Blatt befühlend, sagte mit der ihm eigenen Zartheit: »Nein, Kunst.« »Also Blech«, lautete des Naturalisten Antwort. Und Scholz, der Anekdotenjäger, schlug sich vor Begeisterung auf die Schenkel und freute sich so sehr, daß die Gereiztheit sich in eine fröhliche Stimmung wandelte. Das ist nur ein kleines Beispiel für den Austrag literarischer Gegensätze, wie sie nun einmal zu Weimar gehörten.
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