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Ulrich Kaufmann
Erstdruck in Palmbaum 1/2019.
Gelesen von Ulrich Kaufmann
Verena Zinserling erzählt eine des Merkens würdige Geschichte: Die jung vermählte Marianne Bissing verliert am 14.Oktober 1806, gleich zu Beginn der Schlacht bei Jena, ihren Mann, den Premierlieutnant in sächsischen Diensten A. W. von Bissing. Ein Jahr später lässt sich die verwitwete Adlige aus dem Schlesischen von Zeitzeugen in Rödigen den Ort zeigen, an dem ihr Gatte niedergeritten wurde. Man zeigt ihr – als Beleg für den authentischen Sterbeort – Strümpfe, die sie selbst bestickt hatte.
Nach 51 Jahren gedenkt die, indessen Greisin gewordene Marianne, an diesen Ort zurückzukehren. Ihre Zugreise endet mit ihrem Tod in Riesa. Die Freifrau wollte an der feierlichen Einweihung des von ihr in Auftrag gegebenen Denkmals teilnehmen. Auf Veranlassung ihrer mitgereisten Kinder findet Marianne von Bissing neben ihrem Gatten die letzte Ruhestätte.
Das Büchlein eröffnet die Reihe »Jenaer Geschichten zur Geschichte«. Das Cover zeigt eine unbekannte Frau, vermutlich von Tischbein in zarten Farben gemalt, die den Betrachter nachdenklich-melancholisch ansieht. Dahinter das bis heute erhaltende graue, massive Denkmal, welches an den Freiherren von Bissing und gleichermaßen an die verheerende Schlacht von 1806 erinnert, die zehntausenden Soldaten auf beiden Seiten den Tod brachte. Die Pferdeliebhaberin Verena Paul- Zinserling lässt nicht unerwähnt, dass zu den vielen menschlichen Opfern bei Rödigen auch »30 von Kugeln zerfetzte Pferde gehörten«.
Die Autorin, das merkt der Leser bald, ist eine ausgewiesene Archäologin und Kunsthistorikerin. Jedoch steht die historische Forschung hier nicht im Zentrum ihres Interesses, sondern die ergreifende, ungewöhnliche Geschichte der Freifrau, die Verena Zinserling, wie eine Freundin, meist mit ihrem Vornamen Marianne nennt. Die Quellenlage zu Marianne, vor allen zu ihren frühen Jahren, ist dürftig. Umso mehr ist Phantasie und Einfühlung gefragt. In ihrem Essay nähert sich Zinserling ihrer Heldin vorsichtig, wertet sensibel.
In dem reichhaltig illustrierten Annäherungsversuch werden einige Quellen, die das Umfeld des Denkmals beleuchten, ausgiebig zitiert. Sie sind u.a. der »Gartenlaube« entnommen. Als Leser des Bändchens ist man hin und her gerissen. Denn leider hält die Autorin das hohe essayistische Niveau der ersten Hälfte nicht durch. Die Kunstbetrachtungen, die Liebe zum Detail, das genaue Hinsehen, die Deutungen sind hinreißend. Hingegen stören gegen Ende die angehängt wirkenden, mit Fremdwörtern überladenen, didaktischen Exkurse zur Geschichte des frühen 19. Jahrhunderts. Verena Zinserling treibt die Frage um, welche Momente der bewegten Zeitgeschichte, der Literatur und Kunst Marianne rezipiert haben könnte. Hier fällt gar der Name Büchners. Gewirkt hat dessen Werk erst Jahrzehnte später.
Die Autorin des Bändchens hat den in Cospeda lebenden und eng mit dem »Museum 1806« verbundenen Rezensenten angeregt und bereichert. Möge es vielen Lesern, auch in anderen Regionen, ähnlich ergehen.
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