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Ulrich Kaufmann
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Seit 1954 engagierte sich Louis Fürnberg für junge Dichter, namentlich für thüringische. Diese hatten vor dem Ende des Weltkrieges meist andere Urerlebnisse gehabt als er. Einer seiner »Schützlinge« war der später namhafte Lyriker und Prosaschriftsteller Walter Werner. Der aus dem Landproletariat kommende, uneheliche Sohn einer Häuslerin wurde 1922 im thüringischen Vachdorf geboren. Nach seiner Volksschulzeit schloss sich eine Ausbildung zum Maler an. Schreckliche »Lehrjahre« im Reichsarbeitsdienst, in der Wehrmacht und schließlich in amerikanischer Kriegsgefangenschaft, die er im Hessischen verbrachte, folgten nach 1941.
Nach Kriegsende schloss sich der Rückkehrer der KPD an, wurde bald darauf SED-Mitglied. Man schickte den jungen Werner 1946 auf die Landesparteischule nach Bad Berka. In den ersten Jahren nach 1945 arbeitete Werner vor allem in verschiedenen Kulturfunktionen. So war er als Kreissekretär des Meininger Kulturbundes tätig. Von 1948 bis zu seinem Tode 1995 lebte er in Untermaßfeld bei Meiningen. Im Jahre 1953 war er Mitbegründer der »Arbeitsgemeinschaft junger Autoren« in Suhl. Auf einer Veranstaltung junger Autoren wurde Louis Fürnberg, seit 1954 in Weimar ansässig, auf Walter Werner aufmerksam. Wenig später schickte der durch die thüringisch-fränkische Landschaft geprägte angehende Poet erste Gedichte in die Goethe-Stadt. Bald erkannte Fürnberg, dass er es mit einer besonderen Begabung zu tun hatte. Später, 1956, sprach er von einem Hochbegabten«, gar von einem »Genie«. (Louis Fürnberg: Briefe, Bd. 2, Berlin u. Weimar 1986, S. 313.)
Werner war schüchtern, traute sich kaum in größere Künstler-Kreise, in denen Fürnberg gerade ihn gern gesehen hätte. Gelegentlich merkte der Weimarer Mentor an, sein Zögling möge in die Briefe kein Rückporto mehr legen. Gerade weil Fürnberg viele Verse Werners schätzte, hat er ihn intensiv gefördert und ermutigt, ihn indessen gleichermaßen hart gefordert. Zu Sommerbeginn 1955 schreibt der Mentor nach Untermaßfeld. »Ihr Manuskript habe ich mit großem Interesse gelesen, es ist aber leider so, dass es nicht eigentlich einen Fortschritt gegenüber den früheren verrät. Immer sind es die Landschafts- und Naturgedichte, in denen Sie den reinsten Ausdruck finden und immer wieder durch poetische Zeilen und Verse überraschen. Wo Sie sich aber mit den großen Ereignissen unserer Gegenwart auseinandersetzen, verlieren Sie an Kraft oder verlaufen Sie sich allzu stark ins rein Rhetorische.« (L. F.: Briefe, Bd. 2, Berlin u. Weimar 1986, S. 145)
Fürnberg erkannte 1956 die Stärken des jungen Autors. Der gestandene Poet Fürnberg war seit seiner frühen Agit-Prop-Zeit in der Gruppe »Echo von links« ein politischer Autor, der auch das Mittel der Satire zu nutzen wusste. Zugleich war der von Rilke kommende sensible Poet ein Naturlyriker, ein Poet des Herbstes, Verfasser wunderbarer Kinder- und Liebesgedichte. Im Geiste der fünfziger Jahre wollte Fürnberg vor allem den politischen Dichter Walter Werner voranbringen. Dabei war Werner keineswegs unpolitisch. Sein erster Gedichtband »Licht in der Nacht« zeigt, dass der lyrische Sprecher seine soziale Stellung reflektiert und über seine gestohlenen Jugendjahre während des Krieges nachzudenken beginnt.
Knapp ein Jahr vor dem ersten Lyrik-Buch Walter Werners schrieb Fürnberg: »Ich kann nicht anders, als Ihnen herzlich zu gratulieren und zu erklären, dass Sie in der kurzen Zeit unserer Bekanntschaft ein überzeugendes künstlerisches Wachstum nahmen.« (L. F.: Briefe, Bd. 2, Berlin u. Weimar 1986, S. 316) Merkwürdigerweise sprachen sich Fürnberg und Werner mit »Sie« an, obgleich sie Genossen einer Partei waren.
Es gab nichts, worum sich Fürnberg im Vorfeld der Arbeit an dem Lyrikbändchens nicht gekümmert hätte: Er ebnete Werner den Weg zur »Neuen deutschen Literatur« (NDL), der Zeitschrift des DDR-Schriftstellerverbandes. Bei dem Redakteur und Dichter Günther Deicke mahnte er mehr Sorgsamkeit und Geduld mit den Nachwuchsdichtern an. Jüngeren gab Fürnberg immer wieder Lektüretipps, verschenkte großzügig Bücher, half mit Geld aus. Vor allem war Fürnberg auf der Suche nach einem geeigneten Verlag für Walter Werners Debütband »Licht in der Nacht«. Er klopfte in dieser Angelegenheit beim Verlag Volk und Welt an, versuchte es bei »seinem« Dietz Verlag und startete – mit Hilfe seines Freundes Franz Fühmann – einen Versuch beim Verlag der Nation. Letztendlich erschien das mit einem knappen Text Fürnbergs versehene Bändchen »Licht in der Nacht« 1957 im Weimarer Volksverlag. Der Mentor hatte die Gedichtauswahl des 45 Seiten umfassenden Büchleins getroffen. Werners Debüt sollte Fürnbergs geplante, mehrbändige Reihe »Erbe und Gegenwart« eröffnen.
Das Buchdebüt seines Schützlings konnte Fürnberg, der im Juni 1957 überraschend starb, nicht mehr erleben. Einer der ersten Rezensenten des Bändchens war übrigens Günther Deicke, der Werners Begabung nunmehr in der NDL zu würdigen wusste.
Fürnberg hatte Werner 1956 (wie auch seinen zweiten »Lehrling« Eckart Krumbholz) an das Leipziger Literaturinstitut zu Alfred Kurella geschickt. Wie sich Fürnberg um diesen jungen jungen Autor bemühte, hat der damals in Weimar lebende Krumbholz (1937–1994) selbst geschildert. Eine gekürzte Fassung seiner »Nachhilfestunden bei Louis Fürnberg – Aufzeichnungen eines Lehrlings« kann man im jüngsten Buch über Fürnberg nachlesen. (Louis Fürnberg. Texte zu Leben und Werk, (Hg.) Ulrich Kaufmann / Harald Heydrich, quartus Verlag, Bucha 2021.) Nach seinen drei Leipziger Studienjahren wurde Werner Gründer des Schriftstellerverbandes im Bezirk Suhl. Über Jahrzehnte fungierte er als dessen Vorsitzender.
Der Weimarer Lyriker Wulf Kirsten, Anthologist und gleichermaßen Förderer anderer Dichter, gehört wohl zu den wenigen, die Werners Erstling von 1957 noch heute in ihrem Bücherregal stehen haben. In sein Exemplar hatte Kirsten vor Jahrzehnten drei Gedichte als besonders gelungen angestrichen: »Werkstatt«, »Kräutermutter« und »Dorfzirkus«. Der lyrische Text »Dorfzirkus« lebt davon, dass der Poet, wie angemerkt, vormals Malerlehrling, einen ausgeprägten Sinn für alles Farbige hat. »Graugelackte Zirkuswagen / Sind am Markt zur Schau gestellt, / dürre Esel, müd vom Tragen, / führt man in ein kleines Zelt« / Schwarzgelockte Zirkuskinder / Schwärmen wie die Bienen aus, / und die Alten tun’s nicht minder / betteln Stroh im Bauernhaus.«
Über Jahrzehnte hat Gerhard Wolf, der 1961 die erste Biographie über Louis Fürnberg geschrieben hatte, als Lektor den Weg Walter Werners weiter begleitet. Der Poet hat ihn als seinen »Regisseur« anerkannt.
Werner hat 18 Lyrik- und einige Prosabände hinterlassen. Geehrt wurde er unter anderem mit dem Heinrich-Heine-Preis und dem Nationalpreis der DDR. 1975 erhielt er den Louis-Fürnberg-Preis, der an seinen früheren Lehrer erinnert. Im Jahre 1989, in dem Louis Fürnberg 80 Jahre alt geworden wäre, griffen einige der Preisträger aus diesem Anlass zur Feder, etwa Wulf Kirsten und Harald Gerlach, ebenso Walter Werner. Letzterer spricht bei dieser Gelegenheit nicht über Fürnbergs Patronat am Anfang seiner frühen Dichterjahre.
Zum 80. Geburtstag Werners erschien 2002 postum der Auswahlband »Gewöhnliche Landschaft«. Im Nachwort des Herausgebers der »Thüringischen Gedichte« merkt Wulf Kirsten an, dass es nach Walter Werners Tod 1995 »rasch bedrückend still um ihn geworden« sei. Dabei ist er, so Kirsten, einer der »großen Landschaftsdichter des 20. Jahrhunderts«. In den sechziger Jahren sei ihm der »große Sprung zum Unverwechselbaren« gelungen. Des Dichters Geburtstag jährt sich am 22. Januar 2022 zum hundertsten Mal. Seit einigen Jahren gibt es in Untermaßfeld, wo Walter Werner fast sein ganzes Leben wohnte, einen Walter-Werner-Steig, der durch seine Landschaft und an Werners bescheidener Schreibhütte im Grünen vorüberführt. Eine gute Gelegenheit, diesen Weg auf des Dichters Spuren einmal zu gehen. Wer, wenn nicht wir, können etwas dafür tun, dass er nicht völlig in Vergessenheit gerät?
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