Till Sailer – »Der Krieg meines Vaters. Eine Annäherung«

Person

Jens-Fietje Dwars

Thema

Gelesen & Wiedergelesen

Autor

Jens-F. Dwars

Alle Rechte beim Autor. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors. Erstdruck in: Palmbaum, Heft 1/2024.

Jens‑F. Dwars

Krie­ger­poe­sie?

 

Bereits 2021 hat Till Sai­ler Gedichte sei­nes Vaters in der Wei­ßen Reihe des quar­tus-Ver­la­ges her­aus­ge­ge­ben: Her­bert Sai­ler. Mit­ten in der Nacht. Der Sohn tat sich schwer mit die­sem Erbe, denn sein Vater war beken­nen­der Nazi und fiel im »Volks­sturm« 1945, als der Junge drei war. Die dama­lige Aus­wahl sollte die blei­ben­den Gedichte des zwei­fel­los begab­ten Lyri­kers ver­ei­nen, sie bewah­ren, vor dem Ver­ges­sen ret­ten und auch vor der Scham und dem Zorn des Sohnes.

Zwei Jahre spä­ter nun holt er nach, was er damals noch ver­mied: die innere Aus­ein­an­der­set­zung mit dem gan­zen Erbe, auch mit unsäg­li­chen Ver­sen auf Füh­rer, Volk und Vater­land. Wie konnte ein ebenso klu­ger wie sen­si­bler Päd­agoge, Jahr­gang 1912, Schü­ler und bis 1939 Assis­tent des Jena­plan-Begrün­ders Peter Peter­sen, unter die Rat­ten­fän­ger gera­ten? Er folgte ja nicht nur den brau­nen Ver­füh­rern, er wurde selbst einer als Leh­rer an NS-Eli­te­schu­len, Mit­glied der NSDAP und des Stabs der Reichsjugendführung.

Der Sohn sucht in Gedich­ten, Tage­bü­chern und Brie­fen nach Ant­wor­ten. Aber die Fra­gen sind wich­ti­ger, allzu schnell tritt mora­li­sche Ver­dam­mung an die Stelle des Ver­ste­hens. Die Ideale, für die er und sei­nes­glei­chen star­ben, seien »nicht zu akzep­tie­ren«. Aber viel­leicht steckt genau darin das eigent­li­che Pro­blem: über­haupt für Ideale ster­ben, sich opfern zu wol­len. Das ist der eine Grund­zug in Sai­lers Dich­tung: heroi­sche Beschwö­rung des Opfer­tods. Und der andere: tiefe Melan­cho­lie, ein Emp­fin­den exis­ten­ti­el­ler Ver­lo­ren­heit, aus dem berüh­rende Natur- und Lie­bes­ge­dichte erwach­sen, solange er das Allein­sein aus­hält und mit einem Du teilt, es lie­bend überbrückt.

Schre­cken und Selbst­be­trug begin­nen dort, wo der ein­zelne glaubt, eben diese Ver­lo­ren­heit in der Anbe­tung, im Dienst und Opfer eines gemein­schafts­stif­ten­den Ide­als über­win­den zu kön­nen. Jeder Fana­tis­mus lebt von die­sem Glau­ben und seine Ästhe­ti­sie­rung macht Lite­ra­ten dafür emp­fäng­lich. Becher auf der einen Seite ebenso wie Jün­ger auf der ande­ren. Und so sehnt sich auch Sai­ler danach, end­lich wie­der Sol­dat an der Front sein zu dür­fen. Nicht nur, weil der Befehl alle inne­ren Zwei­fel erstickt und das Ich in einem grö­ße­ren Gan­zen auf­hebt: die Nähe des Todes lässt ihn das Leben­dige in sich spü­ren. Das ist der fatale Kern aller Kriegerpoesie.

 

  • Till Sai­ler: Der Krieg mei­nes Vaters. Eine Annä­he­rung, Mit­tel­deut­scher Ver­lag, Halle 2023, br., 308 S., 20,00€
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