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Hubert Schirneck
Erstdruck: Thüringer Allgemeine, 13.02.2016.
O des heil’gen Jugendmutes!
Oh, wie schnell bist du gebändigt.
Und du hast dich, kühlern Blutes.
Mit den lieben Herrn verständigt.
Und du bist zu Kreuz gekrochen,
Zu dem Kreuz, das du verachtest,
Das du noch vor wenigen Wochen
In den Staub zu treten dachtest!
Oh, das tut das viele Lesen
Jener Schlegel, Haller, Burke –
Gestern noch ein Held gewesen,
Ist man heute schon ein Schurke.
aus: Heines Werke in fünf Bänden, Berlin und Weimar 1976, Bd. 1, S. 81.
Heinrich Heine gehört zu den wenigen deutschen Dichtern, deren Namen jeder kennt, zumindest aus dem Deutschunterricht und zuallererst durch sein Versepos »Deutschland, ein Wintermärchen«. Selbst literaturfernen, doch sportaffinen Menschen ist dieser Begriff nicht fremd, durch die Umdeutung zum fussballerischen »Sommermärchen« im Jahre 2006.
Nun wird sich der geneigte Leser fragen, was der Düsseldorfer Dichter Heinrich Heine eigentlich mit Thüringen zu tun hat und weshalb er in dieser Anthologie auftaucht. Die Antwort ist sehr einfach: Heine wurde in Heiligenstadt getauft, und diese Tatsache korrespondiert auf das Trefflichste mit dem hier abgedruckten Gedicht.
Nach offizieller Lesart entstand das Gedicht als Reaktion auf den Übertritt von Eduard Gans zum Christentum. Der einer jüdischen Bankiersfamilie entstammende Gans, der sich mit Heine nicht nur das Geburtsjahr teilte, war ein Jurist und Rechtsphilosoph, in dessen Vorlesungen auch Karl Marx saß. Er scheint also dieser »Abtrünnige« zu sein, doch eigentlich ist der Angriff Heines (so es denn wirklich einer war) paradox, denn Heine ließ sich im selben Jahr ebenfalls protestantisch taufen, und aus denselben Gründen: Ohne Taufe war es zu jener Zeit unmöglich, eine staatliche Anstellung zu bekommen. Heine wollte die Taufe geheimhalten, weshalb diese nicht in der Kirche stattfand, sondern in der Wohnung des Pfarrers.
Ob das hier vorliegende Gedicht sich also wirklich gegen den »Oberhegelianer« Gans richtet, lässt sich nicht eindeutig nachvollziehen. Heine war schließlich ein Satiriker, und so mag man den Text als Persiflage lesen oder als eine selbstironische Anspielung, als Frustbewältigung angesichts der nicht erfüllten eigenen Erwartungen. Im Januar 1826 jedenfalls schrieb Heine an seinen Freund Moses Moser: »Ich bereue sehr daß ich mich getauft hab; ich seh noch gar nicht ein, daß es mir seitdem besser gegangen sey, im Gegentheil, ich habe seitdem nichts als Unglück.«
Das Heilbad Heiligenstadt jedenfalls ehrt heute neben Theodor Storm noch einen zweiten berühmten Dichter: sein Denkmal findet sich im Heinrich-Heine-Kurpark.
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