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Matthias Biskupek
Erstdruck in Palmbaum - literarisches Journal aus Thüringen 1-2018 / Thüringer Literaturrat e.V.
Hanfried und die Misere Sachsens
Gelesen von Matthias Biskupek
Johann Friedrich I, Kurfürst von Sachsen war jener Herrscher, der durch Luther Weltgeltung erlangte und sein Kurfürstentum in damals großer Ausdehnung – von Franken bis zum Harz, von Böhmen bis zu den brandenburgischen Orten kurz vor Berlin – im Schmalkaldischen Krieg verspielte. Die Schlacht von Mühlberg 1547 bedeutete das Ende dieses Reiches. Moritz von Sachsen wurde Kurfürst, Dresden das neue sächsische Zentrum und der gewesene Kurfürst ging knapp am Todesurteil vorbei und fünf Jahre in Gefangenschaft. Weimar wurde neue Residenz; daraus entwickelten sich später die zahlreichen thüringischen Hauptstädtchen mit Sachsen im Vornamen, von Eisenberg bis Gotha, von Hildburghausen bis Altenburg.
Sylvia Weigelt, Germanistin und Historikerin, hat in kompakter Weise diesen Mann porträtiert, der als »Hanfried« auf dem Jenaer Markt steht, der Universitätsgründer. Es gibt umfangreiche Untersuchungen, die Sylvia Weigelt zur Grundlage nahm, aber sie hat auch das Umfeld beleuchtet: Wie wurden Ehen im Hochadel gestiftet, welche Intrigen spannen Fürsten, was wurde gegessen, wann war »Polizeistunde«, was besagte die Fischereiordnung, was schrieb man sich? Sie zitiert viel aus den Briefen zwischen Johann Friedrich und der – gewesenen – Kurfürstin; so bekommt man authentische Einblicke, kann auch sehr genau jene Stationen kennenlernen, auf denen der Wettiner dem Kaiser in Gefangenschaft nachfolgen musste.
Man hört Urteile über den heimischen Wein – »In Kahla und Jena wächst der Essig am Stock« – und die Personalausstattung eines Fürstenhofes. Seltener erfahren wir etwas von den Lebensbedingungen des Volkes, auch erotische oder sexuelle Ausschweifungen bleiben im Wortsinne unter der Decke – in einer männerzentrierten Gesellschaft, in der morganatische Verbindungen üblich, aber nicht öffentlich waren, vielleicht kein Wunder. Laut ursprünglichem Universitätsgründungsplan sollten arme und kinderreiche Familien aus dem Umland 300 Gulden für Brot erhalten, zuvor aber wurden sie auf Glaubensfestigkeit geprüft – die lutherische Kirche hatte ja der Oberflächlichkeitder»papistischenTeufel«den Kampf angesagt.
Gewiss war die Teilung Sachsens 1485 in den ernestinischen und den albertinischen Teil jene dynastische Fehlentscheidung, die den Anfang vom Ende Sachsens als europäische Großmacht bedeutete. Die zahlreichen Irrtümer des Johann Friedrich I, besonders auch die militärischen im Vorfeld der Schlacht von Mühlberg, auf die Sylvia Weigelt ausführlich eingeht, kann man als zentrale sächsische Misere ansehen: man wählt immer die falschen Bündnispartner. Dabei erholten sich sowohl die ernestinischen, als auch die albertinischen Lande vor allem dank ihrer Wirtschaftskraft meist erstaunlich schnell. Das Königreich Sachsen schließlich, das zur Napoleon-Zeit verheerende Entscheidungen traf, wurde vom Wiener Kongress mit dem Verlust von drei Fünftel seines Staatsgebietes und fast zwei Millionen Einwohnern bestraft. Das eigentliche Kulturgebiet Sachsen, zu dem sprachlich die thüringisch-obersächsischen Mundarten gehören, hat erst im Rundfunkgebiet des MDR wieder zu einer gewissen Einheit gefunden – wenn man dieser kühnen Volte folgen mag.
Sylvia Weigelt hat eine zentrale Renaissance-Figur, die auch eine im übertragenen Sinne barocke war – seine Leibesfülle wird oft, sehr oft erwähnt – in ihrem Buch näher gebracht. Eine belletristische Annäherung, wie dies Sigrid Damm oder Heinz Knobloch mit ihren Helden gelang, ist dies weniger. Vielleicht stand die Wissenschaftlerin der Erzählerin im Wege. Wir haben aber ein gediegenes Buch mit vielen klug ausgewählten zeitgenössischen Abbildungen zu registrieren, deren gelegentliche Druckfehler – eine Geißel ist kein widerrechtlich festgehaltenes Opfer und »ebenbürdig« gibt es in der neueren deutschen Sprache auch nicht – bei einer Neuauflage verschwinden sollten.
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