Stefano Zangrando – »Kleiner Bruder. Leben, Liebe und Werke des Peter B.«

Person

Dietmar Ebert

Ort

Jena

Thema

Gelesen & Wiedergelesen

Autor

Dietmar Ebert

Alle Rechte beim Autor. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors.

»Klei­ner Bru­der« – Ste­fano Zan­gran­dos Zeit­reise lässt Peter Braschs Leben, Lie­ben und Schrei­ben leben­dig werden

Gele­sen von Diet­mar Ebert

Man schreibt zual­ler­erst für die, die man liebt,
mögen sie nun tot oder leben­dig sein.

Ste­fano Zangrando

 

Ste­fano  Zan­grando, 1973 in Bozen gebo­ren, wuchs in einer ita­lie­nisch-spra­chi­gen Fami­lie auf. Nach dem Abitur stu­dierte er in Tri­ent moderne Lite­ra­tur. Mitt­ler­weile pro­mo­viert, arbei­tete er als Lite­ra­tur­ver­mitt­ler und Über­set­zer deutsch­spra­chi­ger Lite­ra­tur. 2006 war er Mit­be­grün­der des Inter­na­tio­na­len Semi­nars zur Roman­kunst an der Uni­ver­si­tät Tri­ent und im Jahr 2008  Sti­pen­diat der »Jun­gen Aka­de­mie« der Ber­li­ner Aka­de­mie der Künste. 2013 nahm er an einem Inter­na­tio­na­len Über­set­zer­tref­fen des Lite­ra­ri­schen Col­lo­qui­ums Ber­lin teil, und 2016 wurde er Mit­glied der Süd­ti­ro­ler Autor*innen-Vereinigung. Gegen­wär­tig arbei­tet er als Dozent und Über­set­zer in Rovereto (Region Tren­tino-Süd­ti­rol) und ist häu­fig  zu Gast in Ber­lin. Sein Buch Fratello minore erschien 2018 bei Arka­dia Edi­tore und 2020 in der  deut­schen Über­set­zung von Michaela Heis­sen­ber­ger unter dem Titel Klei­ner Bru­der im Eulen­spie­gel Ver­lag Berlin.

Ingo Schulze schreibt in sei­nem Vor­wort Ein ita­lie­ni­scher Enthu­si­ast in Ber­lin, Peter Brasch habe in Ste­fano Zan­grando jeman­den gefun­den, der von sei­nen sich über­la­gern­den Bega­bun­gen und Wider­sprü­chen fas­zi­niert sei und diese sicht­bar und sag­bar mache. Ste­fano Zan­grando gelinge es, in sei­nem Buch so unter­schied­li­che Text­ar­ten wie Erzäh­lung, Drama, Tra­gö­die, Repor­tage, Inter­view, Werk­aus­züge und bio­gra­fi­sche Sequen­zen zu kom­bi­nie­ren. Ja, er führt sich sogar als lite­ra­ri­sche Figur ein, selbst, wenn er keine »gute Figur« macht. Die­ses sym­pa­thi­sche »Sich-nicht-wich­tig-Neh­men« als Autor ver­bin­det ihn mit Peter Brasch. Ste­fano Zan­grando gelingt es, mit den wech­seln­den, sich gegen­sei­tig erhel­len­den Text­ar­ten eine Form zu fin­den, in der der »hohe Ton«, den wir aus der klas­si­schen deut­schen Lite­ra­tur ken­nen, nur sehr sel­ten ange­stimmt wird.

Ingo Schulze attes­tiert Ste­fano Zan­grando einen seine Recher­che besee­len­den Enthu­si­as­mus, der Lesen und Schrei­ben, Schrei­ben und Lesen als eine Exis­tenz­form begreift, die täg­lich neu erobert und ver­tei­digt wer­den muss, eine Exis­tenz­form, für die man Gleich­ge­sinnte braucht, was nicht ohne Ein­fluss auf das all­täg­li­che Leben zu haben ist.

Zan­grando ist gerade in sein vier­tes Lebens­jahr­zehnt ein­ge­tre­ten, als er von sei­ner Ber­li­ner Zim­mer­wir­tin Rose­ma­rie Lebin­sky immer mehr Geschich­ten über einen Schrift­stel­ler hört, der 2001 gestor­ben ist. Er beginnt in des­sen Buch Schön hau­sen zu lesen und stößt auf einen See­len­ver­wand­ten, einen Weg­ge­fähr­ten, auf einen, der aus der­sel­ben Welt zu mir sprach, in der auch meine Träume und meine Ernüch­te­rung zu Hause waren, und den ich daher nicht dem Ver­ges­sen über­las­sen konnte und wollte, zu dem das Schick­sal ihn ver­ur­teilt zu haben schien. So wird ihm seine dritte Reise nach Ber­lin nicht allein zum Orts­wech­sel, son­dern zu einer Zeit­reise, auf der Peter Brasch ihm zum »fratello mag­giore«, zum älte­ren Bru­der, wer­den wird. Um ihn, der seit nun­mehr 20 Jah­ren nicht mehr am Leben ist, leben­dig dar­stel­len zu kön­nen, dazu reicht es nicht, so viel wie mög­lich über ihn her­aus­zu­fin­den, Fund­stü­cke aus sei­nen Wer­ken zu prä­sen­tie­ren und Frauen zu befra­gen, die ihm nahe stan­den, das wäre ein blo­ßes Nach­zeich­nen sei­nes Lebens und Schaf­fens gewe­sen, nein, er muss selbst erfin­den, ima­gi­nie­ren, er muss Gefun­de­nes und Erfun­de­nes lite­ra­risch verschmelzen.

Der erste Teil sei­nes Buches ist mit Du über­schrie­ben. Ste­fano Zan­grando tritt in Dia­log mit Peter Brasch und erzählt in fünf Kapi­teln aus sei­nem Leben von der Geburt in der sozia­lis­ti­schen Pro­vinz­be­zirks­stadt Cott­bus über die Kind­heit in der elter­li­chen Fami­lie, den Tod der Mut­ter, den Ärger mit dem Vater, die Bewun­de­rung und das schwie­rige Ver­hält­nis zum älte­ren Bru­der Tho­mas, Stu­dium und Exma­tri­ku­la­tion an der Leip­zi­ger Uni­ver­si­tät bis zur Aus­reise von Tho­mas Brasch nach West-Ber­lin und Peters Exis­tenz am Rande der Kul­tur­szene im Prenz­lauer Berg. Der Erzäh­ler spricht Peter Brasch mit »Du« an, erzeugt Nähe und sucht des­sen Gedan­ken und Gefüh­len auf die Spur zu kom­men. Geschickt mon­tiert er zwi­schen die Abschnitte sei­ner Erzäh­lung ver­schie­dene Texte, die von Peters außer­or­dent­li­chem Talent als Prosa-Autor und Dra­ma­ti­ker zeu­gen, u.a. Der Wolf und Rot­käpp­chen in der Stadt, ein Mär­chen, das viele Kin­der in der DDR durch die Amiga-Schall­platte kann­ten. Zwi­schen die bio­gra­phi­schen Kapi­tel sind eben­falls Prosa-Texte und Aus­schnitte aus sei­nem Stück San­terre ein­ge­streut, die Ger­hard Wolf im Auf­bau-Ver­lag  1991 unter dem Titel rück­blen­den an mor­gen her­aus­ge­ge­ben hat. Geplant war der Band in den letz­ten Jah­ren der DDR, erschie­nen ist er in einem Jahr, das für ein Debüt als Dra­ma­ti­ker, Pro­sa­au­tor und Lyri­ker denk­bar ungüns­tig war.

Ste­fano Zan­grando weiß sehr genau, dass es ihm nicht gelin­gen wird, ein lebens­na­hes Bild von Peter Brasch zu ent­wer­fen,  wenn er »nur« über ihn schreibt. So führt er sich selbst als Roman­fi­gur ein und erhält Besuch von einer Krähe, die ihm einen Umschlag mit einer illus­trier­ten Post­karte und einem bedruck­ten Blatt über­reicht, das mit Selbst­dar­stel­lung in drit­ter Per­son drei Wochen vor Ende des 2. Jahr­tau­sends über­schrie­ben ist. Auf der Rück­seite des Umschlags steht in schö­ner Hand­schrift geschrie­ben: Und du, lie­ber Zank­acko, weißt von mir gar nichts.

Ein Rät­sel­spruch! Über­bracht von einer Krähe! Wotan hatte im Ring des Nibe­lun­gen wenigs­tens einen Raben bei sich, und Mephisto in Goe­thes Faust gar ihrer zwei. Las­sen wir die Krähe, und wen­den uns dem zwei­ten Teil zu, der mit Sie über­schrie­ben ist. Sie, das sind die Frauen,  die in Peter Braschs Leben eine Rolle gespielt haben. Ort des Gesche­hens ist ein Thea­ter, in dem Peters Nichte Lena  eine Art Erin­ne­rungs-Col­lage an ihren Onkel auf­füh­ren möchte. Im Thea­ter tref­fen sich Katja, eine lang­jäh­rige Freun­din Peter Braschs und mitt­ler­weile eine aner­kannte Schrift­stel­le­rin, Peters Schwes­ter Marion, Rose­ma­rie, eine gute Freun­din von Mar­git, der berühm­ten Schau­spie­le­rin, mit der Peter ver­hei­ra­tet war, und Rose­ma­ries Toch­ter Anne. Sie alle wer­den von einem Kell­ner bedient, der auf der Bühne in Peters Eck nicht ita­lie­ni­schen exzel­len­ten Mazer­mino wie in Mozarts Don Gio­vanni aus­schenkt, son­dern spa­ni­schen Rioja. Der stumme Kell­ner ist natür­lich nie­mand ande­res als der Erzäh­ler selbst. Es mutet sehr wit­zig an, dass Zan­grando in das Büh­nen­bild die ers­ten bei­den Verse aus dem Gedicht Bier und Burg­krone ein­ge­fügt hat: Die Kell­ner kom­men und gehen/Wir bleiben.

Im ers­ten Akt wirkt das Gespräch der Frauen zufäl­lig und etwas rat­los. Das liegt daran, dass die Haupt­per­son, Mar­git, fehlt. Die Schau­spie­le­rin, Mar­git B., war Peters große Liebe, und vor allem sie sollte über ihn erzäh­len. Allein, sie erscheint nicht. Wäh­rend alle auf sie war­ten und Rioja trin­ken, ver­su­chen sie zu impro­vi­sie­ren. Anne berich­tet, wie gut Peter Brasch Kin­der und Jugend­li­che moti­vie­ren und das Beste aus ihnen her­aus­ho­len konnte, Katja erzählt  Anek­do­ten aus der Zeit ihrer Freund­schaft, und Marion steu­ert Details von einer ihrer Geburts­tags­fei­ern bei. Das alles wirkt wie eine Dia­log-Folge im Par­lando-Stil, die zuneh­mend ins Sto­cken gerät. Als sie eine Pause ein­le­gen, betritt eine ein­same Frau die Bühne. Es ist Mar­git, die ihre Liebe und Ehe mit Peter in einem gro­ßen Mono­log Revue pas­sie­ren lässt. Das kann sie nicht öffent­lich, sie kann es nur vor lee­rem Saal, weil Peter nicht nur ihr Ehe­mann und Gelieb­ter war, son­dern sie für ihn die ganz große Liebe sei­nes Lebens war. So ist die­ser Solo-Mono­log für eine geal­terte Schau­spie­le­rin Lebens­beichte und Erin­ne­rung an einen Part­ner, der für sie und ihre Töch­ter da war, ihnen wun­der­bar hei­tere Stun­den bescherte und dann urplötz­lich wie­der in einen Alko­hol-Exzess abstürzte, solange, bis es Mar­git nicht mehr aus­hal­ten konnte und die Tren­nung vollzog.

Die­sem Inter­mezzo beti­tel­ten Teil folgt der zweite Akt, in dem Lena, Katja, Anne, Rose­ma­rie und Marion über Peter erzäh­len. Zu ihnen gesellt sich noch Anna, die Toch­ter Mar­gits aus ihrer ers­ten Ehe mit dem Regis­seur Jür­gen Gosch. Im Gespräch umkrei­sen die Frauen nun nicht mehr die Künst­ler-Szene und die letz­ten Jahre der DDR, son­dern die frü­hen 1990er Jahre. In Mari­ons Sicht  war Peter ein guter Pro­vo­ka­teur. Er stand auf kei­ner der bei­den Sei­ten, weder der des Sys­tems noch der des Anschlus­ses an den Wes­ten. Auch ihm ging der Begriff  >Wie­der­ver­ei­ni­gung< gegen den Strich. […] Wir waren eine interne, weit­ver­brei­tete Oppo­si­tion, die das Alte los­wer­den wollte, ohne sich der Markt­wirt­schaft in die Arme zu wer­fen. Wir sind die, die die offi­zi­elle Geschichts­schrei­bung ver­ges­sen will. Und nun tut man alles, um die letz­ten Spu­ren zu ver­wi­schen, die bezeu­gen, dass es uns gab.

Das Gespräch kreist um gelun­gene und weni­ger gelun­gene Arbei­ten Peter Braschs in sei­nem letz­ten Lebens­jahr­zehnt, um Regie-Arbei­ten, Feuil­le­tons, Gedichte und kleine Prosa. Für Katja liegt Peters Stärke im Dra­ma­tur­gi­schen. Auf den Ver­gleich zwi­schen ihm und sei­nem Bru­der Tho­mas ange­spro­chen, sagt Katja mit gro­ßer Ent­schie­den­heit: Peter wollte nicht wie Tho­mas sein. […] Peter hatte seine eigene Sub­stanz als Schrift­stel­ler, nur dass die nicht über­all zu fin­den ist. Nicht in den Gedich­ten, zum Bei­spiel, in denen Tho­mas‘ Vor­bild zu sehr deut­lich wird. Aber über­all sonst war Peter Peter. Und er hatte einen fre­chen und unnach­ahm­li­chen Humor, von dem Tho­mas nur träu­men konnte. Das ein­zige Hin­der­nis für Peter war er selbst.

So steu­ert jede der Frau­en­fi­gu­ren, je nach­dem, wie nahe sie Peter Brasch stand, wich­tige Puz­zle­stück­chen zu sei­nem Leben bei, ohne dass es wirk­lich gelingt, ein Bild von ihm zusam­men­zu­set­zen. Plötz­lich kracht und don­nert es, die Hin­ter­grund­wand, auf der »PETERS ECK« zu lesen war, kippt nach hin­ten, und es erscheint aus den Kulis­sen, immer hel­ler wer­dend, ein Bett, auf dem ein Mann liegt, nackt, bäuch­lings hin­ge­streckt, die Glie­der etwas ver­dreht, den Kopf im Kis­sen ver­gra­ben.  So fand Petra Schramm, Peter Braschs letzte Lebens­ge­fähr­tin, ihn am 28. Juni des Jah­res 2001. Und aus den Laut­spre­chern dringt Mari­ons Stimme. Sie trägt Petras Bericht vor, wie sie Peter, der mit fünf­und­vier­zig Jah­ren gestor­ben war, in sei­ner Woh­nung tot auf­ge­fun­den hatte. Er endet mit den Wor­ten: Und ich glaube nicht, dass er ster­ben wollte. Er wollte noch ein biss­chen leben, viel­leicht wusste er nicht genau wie. Er hatte keine Vision von einem neuen Leben.

Der dritte Teil des Buches ist mit Wir über­schrie­ben. Er ent­hält vier Kapi­tel, in denen der Erzäh­ler von einem Gang an einem hei­ßen Som­mer­tag durch den Prenz­lauer Berg hin zum Fried­hof in Wei­ßen­see berich­tet. Immer wie­der zie­hen ihm Fet­zen von Peters Tex­ten durch den Kopf. Sehr Unter­schied­li­ches hat Peter Brasch in sei­nen letz­ten Lebens­jah­ren geschrie­ben: Feuil­le­tons über Künst­ler, Ber­lin-Repor­ta­gen, Essay­is­ti­sches über Anto­nin Artaud und Fer­nando Pes­soa und natür­lich sei­nen wun­der­bar humor­vol­len Roman Schön hau­sen, einen der schöns­ten deut­schen Schel­men­ro­mane  des 20. Jahr­hun­derts. Immer wie­der kom­bi­niert Zan­grando Namen von Stra­ßen und Plät­zen im Prenz­lauer Berg mit den ers­ten, noch im sizi­lia­ni­schen Che­co­sa­bello spie­len­den Pas­sa­gen aus Schön hau­sen. Immer wei­ter läuft der Erzäh­ler durch Peters Kiez und immer mehr erfah­ren wir über den sizi­lia­ni­schen Glöck­ner Gian­luca Car­di­nale, der auf ein­mal Höhen­angst bekom­men hat und sei­nen Beruf nicht mehr aus­üben kann. Gian­luca steigt mit einer Taube ein letz­tes Mal auf den Kirch­turm und wird in einer Wolke in Rich­tung Nor­den ent­führt. Ste­fano Zan­grando  ver­schmilzt  die Erzäh­lung über sei­nen Weg  durch Ber­lin mit dem Beginn von  Schön hau­sen bis zu der Szene, in der sich Gian­luca und seine Beglei­te­rin Gior­gina, ein sau­fen­des und spre­chen­des Rot­kehl­chen, auf dem Ber­li­ner Alex­an­der­platz wie­der­fin­den. So wird der Ber­li­ner Osten in der Mitte der 1990er Jahre mit sizi­lia­ni­schen Augen gesehen.

Wie schade und wie unver­ständ­lich, dass Schön hau­sen in sei­nem Erschei­nungs­jahr 1999 kaum wahr­ge­nom­men wurde; viel­leicht war der Roman »nicht rea­lis­tisch«, nicht »deutsch« genug, eher phan­tas­tisch und magisch. Kein Erfolg war auch der eben­falls 1999 erschie­nene Roman Mäd­chen­mör­der Brunke von Tho­mas Brasch.

Zu den bewe­gends­ten Pas­sa­gen von Klei­ner Bru­der gehö­ren Aus­züge aus dem Brief­wech­sel zwi­schen Peter und Tho­mas Brasch. Auf herz­zer­rei­ßende Weise doku­men­tie­ren sie die kras­sen Mei­nungs­ver­schie­den­hei­ten zwi­schen ihnen und zugleich das Nicht-Ohne-Ein­an­der-Sein-Kön­nen der bei­den Brüder.

Ste­fano Zan­grando  ent­deckt in Peter Braschs Roman, in sei­ner Beschäf­ti­gung mit Pes­soa und sei­nen lite­ra­ri­schen Expe­ri­men­ten eine die Rea­li­tät mit gro­ßer Leich­tig­keit über­schrei­tende Phan­ta­sie. Sie ist auch dem Text Nacht­mahr in Rheins­berg (1998) ein­ge­schrie­ben. Auf dem Weg zum Fried­hof in Ber­lin-Wei­ßen­see ver­mi­schen sich für den Erzäh­ler eben­falls Rea­li­tät und Phan­ta­sie. Er glaubt, auf dem Grab­stein »Klaus und Peter B.« zu lesen. Das ist aller­dings eine opti­sche Täu­schung. Auf dem Grab­stein steht nur »Klaus B.« Obwohl der Erzäh­ler, der zwar Züge des Autors trägt, aber zugleich des­sen Erfin­dung ist,  alles in sei­nen Kräf­ten Ste­hende tut, um Peter Brasch so nahe wie mög­lich zu kom­men, ist er mit sei­nen Annä­he­run­gen an Peters Leben, Lie­ben und Schrei­ben unzu­frie­den. Zwar gibt es am 18. Sep­tem­ber 2015 in der Rum­ba­lotte con­ti­nua einen Abend zu Ehren des 60. Geburts­tags von Peter Brasch, bei dem auch er einen Aus­schnitt aus sei­ner Über­set­zung von Schön hau­sen ins Ita­lie­ni­sche liest, aber trotz allen Zuspruchs wächst sein Unbe­ha­gen. Er ver­lässt die Höhle der Alter­na­tiv­kul­tur, er beginnt den Geruch von Koh­le­öfen wahr­zu­neh­men und läuft durch die Stra­ßen des Prenz­lauer Bergs. Es hat zu reg­nen begon­nen, aber es ist ein Regen aus Krä­hen­scheiße. Als er schließ­lich Peters Woh­nung in der Wis­byer Straße 73 erreicht, ist er von oben bis unten mit Vogel­kot bedeckt. Er springt die Trep­pen zu des­sen Woh­nung hoch, fin­det ihn nackt, bäuch­lings aus­ge­streckt auf dem Bett lie­gend, schüt­telt ihn und ver­sucht, ihn zu wecken. Irgend­wie gelingt es ihm, und Peter fin­det, es stinke grau­en­haft. Kein Wun­der, denn – so der Erzäh­ler Ste­fano Zan­grando – : deine Krähe und ihre Freunde haben heute Nacht das ganze Vier­tel mit Scheiße zuge­deckt. Und dann? Erst da sah mir Peter in die Augen. Und lachte.

Ste­fano Zan­grando hat nicht nur einen See­len­ver­wand­ten und Weg­ge­fähr­ten gefun­den. Er hat Peters ein­zi­gen Roman ins Ita­lie­ni­sche über­setzt und sein Leben dem ita­lie­ni­schen Lese-Publi­kum nahe gebracht.  Er hat sich einer anstren­gen­den Orts-und Zeit­reise aus­ge­setzt und auch den deut­schen Lesern mit Nach­druck  vor Augen geführt, was sie an Peter Brasch haben.  Dabei ist er selbst für Peter zum KLEINEN BRUDER geworden!

 

  • Ste­fano Zan­grando: Klei­ner Bru­der. Leben, Liebe und Werke des Peter B. Mit einem Vor­wort von Ingo Schulze. Aus dem Ita­lie­ni­schen von Michaela Heis­sen­ber­ger, Eulen­spie­gel Ver­lag Ber­lin 2020, 218 Seiten.
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