Stefan Pabst/JanRöhnert (Hg.) – »In der Landschaft, mit anderen Augen. Essays zum Werk von Hanns Cibulka«

Person

Hanns Cibulka

Thema

Gelesen & Wiedergelesen

Autor

Harald Heydrich

Erstdruck in: Palmbaum 2-2022. Alle Rechte beim Autor. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Harald Heyd­rich

Hanns Cibul­kas Land­schaf­ten unter neuen Horizonten

 

 

In den ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­ten war es um das Werk Hanns Cibul­kas ruhig gewor­den. Es erging ihm nicht anders als zahl­rei­chen ande­ren Autoren der DDR-Lite­ra­tur. Mit dem Unter­gang der DDR war Vie­len nicht nur der kul­tu­relle Boden, aus dem sie ihre Nähr­stoffe bezo­gen, son­dern auch ihre bis­he­rige Leser­schaft verlorengegangen.

Die uto­pi­schen Poten­tiale einer neuen »sub­jek­ti­ven Authen­ti­zi­tät« (Christa Wolf) fan­den in der von kon­kur­rie­ren­den Lite­ra­tur­kon­zep­ten gepräg­ten Kul­tur­land­schaft der »alten« Bun­des­re­pu­blik wenig Reso­nanz, wohl auch des­halb, weil im deutsch-deut­schen Lite­ra­tur­streit der Neun­zi­ger Jahre zahl­rei­che ver­narbte Wun­den auf­ge­ris­sen und neue geschla­gen wur­den. In der Regel wur­den die Tref­fer bei ost­deut­schen Autoren gelan­det. Die Auf­de­ckung der Stasi-Ver­stri­ckun­gen eini­ger Ost­li­te­ra­ten trug dazu bei, eine unter sol­chen Bedin­gun­gen geschrie­bene Lite­ra­tur unter Gene­ral­ver­dacht zu stel­len. Gleich­zei­tig frem­delte man mit Autoren, die einem bis­lang über­wie­gend unbe­kannt geblie­ben waren: Das wird bei­spiels­weise aus den Tex­ten Cibul­kas  ersicht­lich, die Auf­nahme in die gewal­tigste Lyrik-Samm­lung deut­scher Zunge, den  Neuen Con­rady (Aus­gabe 2000) gefun­den haben: Unter den vier auf­ge­nom­me­nen Gedich­ten krei­sen drei um das Thema Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung, wäh­rend eines als Ver­such einer Gedan­ken­ly­rik zu betrach­ten ist. Der poe­ti­sche »Land­schaf­ter«, der Cibulka ja zuvör­derst war, ist auf der Stre­cke geblieben.

Immer­hin wuss­ten Andere Ande­res zu schät­zen: Die von Wulf Kirs­ten erstellte Thü­rin­ger Lyrik-Antho­lo­gie Ein­tra­gung ins Grund­buch (1996) wird von Cibul­kas Dorn­burg-Gedicht eröff­net, das der Her­aus­ge­ber sicher nicht aus­ge­wählt hatte, um dem Senior der Thü­rin­ger Poe­sie seine Reve­renz zu erwei­sen, son­dern weil es ihm taug­lich erschien, die Pro­gram­ma­tik des Ban­des wie kein ande­res sinn­fäl­lig zu ver­kör­pern: Eine alte Kul­tur­land­schaft öff­net sich kraft der lyri­schen Ver­ge­gen­wär­ti­gung dem Subjekt.

Es ist sehr zu begrü­ßen, dass im Jahr 2020 zum 100. Geburts­tag Hanns Cibul­kas nicht nur zwei Bände mit sei­ner Tage­buch­prosa (Sand­dorn­zeit in der Reihe Natur­kun­den, hgg. von Sebas­tian Klein­schmidt / Späte Jahre, neu hgg. von Heinz Puknus) erschie­nen sind, son­dern auch ihm und sei­nem Werk an sei­nem frü­he­ren Wohn- und Arbeits­ort Gotha eine Tagung gewid­met wurde. Der nun vor­lie­gende Band bün­delt die dort gehal­te­nen Bei­träge. Titel­ge­bend sind die Vers­zei­len »In der Land­schaft, mit ande­ren Augen«. Sie kön­nen ohne Wei­te­res auch auf die Sicht­wei­sen  der Ver­fas­ser der ein­zel­nen Bei­träge bezo­gen wer­den. So wen­det sich Peter Neu­mann der Tage­buch­poe­tik Cibul­kas anhand des Kriegs­ta­ge­buchs Nacht­wa­chen (1989) zu, um die beson­dere Mon­ta­ge­tech­nik sei­ner dia­ris­ti­schen Prosa zu ent­schlüs­seln. Er stellt die Rela­tion von arka­di­scher Ver­klä­rung der Land­schaft und jäher Unter­bre­chung durch die Gegen­wart des Krie­ges her­aus, wobei gleich­zei­tig zu beden­ken ist, dass auf einer drit­ten Ebene das Autor-Ich als reflek­tie­ren­der Arran­geur aktiv ist. Durch­aus kri­ti­sche Akzente setzt Neu­mann bezüg­lich der die Kon­flikte befrie­den­den Alters­weis­heit, die das Autor-Ich gel­tend macht. Die Zeit­schich­ten, die der Autor eher zuein­an­der stellt als inein­an­der setzt, erge­ben eine »geis­tige Geo­gra­phie«, wie es bei Cibulka heißt, sie führ­ten zwar zu einem Mosaik, blie­ben aber laut Neu­mann doch Bruchstücke.

Jan Urbich wid­met sich in sei­nem Bei­trag, dem ein­zi­gen im Band, der Cibul­kas Lyrik gilt, gleich­falls der Poe­tik, dies­mal der post-roman­ti­schen der Reduk­tion. Diese stehe in der Nach­folge des Roman­ti­schen und lasse es zugleich hin­ter sich. Inter­es­sant ist sein Hin­weis auf eine – bei Cibulka übri­gens allent­hal­ben zu fin­dende – Befrei­ung der ‚Idee’ eines Land­schafts­bil­des aus dem Schutt sei­ner Gegen­wär­tig­keit, die an die Ver­we­sent­li­chungs­tech­nik Eichen­dorffs erinnere.

Johanna Boh­ley unter­sucht Cibul­kas poe­to­lo­gi­sche Ent­wick­lung anhand der drei Hid­den­see-Tage­bü­cher. Ob sich hier tat­säch­lich, wie der Plu­ral im Titel sug­ge­riert, jeweils grund­le­gende Neu­an­sätze von Text zu Text erge­ben oder nicht doch eher Akzent­ver­schie­bun­gen inner­halb einer/seiner Poe­tik statt­fin­den? Gemein­sam ist die­sen Tage­bü­chern, dass in ihnen erfah­rungs­ge­sät­tigt Welt reflek­tiert und zuneh­mend kri­ti­siert wird, wobei – wie Mar­tin Straub in sei­nem Bei­trag zu Swan­tow ein­drucks­voll nach­weist, der kei­nes­wegs als Kämp­fer­na­tur agie­rende Cibulka, kraft sei­ner – mit Max Weber zu spre­chen – Ver­ant­wor­tungs­ethik in einen laten­ten Gegen­satz zur offi­zi­el­len Poli­tik der DDR in Sachen Öko­lo­gie und ato­mare Bedro­hung gerät, was zu aller­lei argu­men­ta­ti­ven Ver­ren­kun­gen von Ver­lags­lek­to­ren und Kul­tur­po­li­ti­kern führt.

Fran­ce­sca Bravi zeich­net Cibul­kas ita­lie­ni­sche Land­schaf­ten nicht nur nach, son­dern ver­weist auf die viel­fäl­ti­gen kul­tu­rel­len und lite­ra­ri­schen Bezüge, die Cibulka mit Ita­lien verbinden.

Über­haupt zeigt der in sei­ner thü­rin­gi­schen Nische als Biblio­the­kar ver­har­rende Cibulka früh­zei­tig erheb­li­chen Eigen­sinn. Das wird durch seine eigen-wil­lige Rezep­tion von Wer­ken Ernst Jün­gers, Poeta non grata in der DDR-Kul­tur­po­li­tik, und des gewiss poli­tisch höchst pro­ble­ma­ti­schen, gleich­zei­tig poe­tisch höchst inter­es­san­ten Dich­ters Ezra Pound bezeugt, wie Jan Röh­nert über­zeu­gend dar­legt. Und Ste­phan Pabst ist in die Abgründe der Ver­lags­gut­ach­ten hin­ab­ge­stie­gen, wobei er Stra­te­gie und Tak­tik der Lek­to­ren und Gut­ach­ter gegen­über den Zen­sur­be­hör­den, die sich ja meist als Geburts­hel­fer der Werke ver­stan­den, nicht ohne iro­ni­sche Lich­ter dar­stellt. Hei­ter scheide der Mensch von sei­ner Ver­gan­gen­heit (Marx) …

Ein kurz­wei­lig Lesen, wobei es mir als in die DDR Hin­ein­ge­bo­re­nem immer mal kalt den Rücken hin­un­ter­läuft. Bleibt die Frage, ob sich Cibul­kas Bücher in den neuen Kon­text der 2020er Jahre ein­fü­gen las­sen. Ein Bei­spiel gibt Peter Braun , indem er das Werk der ame­ri­ka­nisch-angel­säch­si­schen Tra­di­tion des Nature Wri­ting aus­setzt, die in Zei­ten des Kli­ma­wan­dels mehr als fröh­li­che Urständ fei­ert. Viel­leicht kommt Cibul­kas Werk das zugute, was immer wie­der, beson­ders pro­non­ciert durch Bernd Leist­ner, ein­ge­wen­det wurde: Das Insis­tie­ren auf einem an Goe­thes orga­ni­schem Natur­ver­ständ­nis geschul­ten Blicks auf die Natur­phä­no­mene en detail und en gros, gepaart mit einem Stre­ben nach anthro­po­lo­gi­scher Wesen­haf­tig­keit. Jan Röh­nert, der sich der Deu­tung der dem Band bei­gege­be­nen Fotos aus des Autors Archiv wid­met, sieht das »Bild Cibul­kas als eines ana­chro­nis­ti­schen Zeit­ge­nos­sen aus freien Stü­cken« auch in den Fotos bestä­tigt. Diese beson­dere Form des Eska­pis­mus, die ihm in der DDR ein über weite Stre­cken unge­stör­tes Arbei­ten ermög­lichte, könnte sei­nen Wer­ken nun, da die Lösung von Mensch­heits­fra­gen in der Öko­lo­gie dring­li­cher denn je ist, kraft der Zeit­lo­sig­keit sei­ner Natur­be­züge, zu einer neuen Gül­tig­keit verhelfen.

Wenn man bereit ist zu akzep­tie­ren, dass die Lek­türe der als Essays dekla­rier­ten Auf­sätze zuwei­len mit umfäng­li­chen theo­re­ti­schen Vor­spän­nen belas­tet ist, kann man dem Titel der Vor­be­mer­kung getrost ein appel­la­ti­ves Zei­chen anfü­gen: Cibulka entdecken!

 

  • Ste­fan Pabst/JanRöhnert (Hg.): In der Land­schaft, mit ande­ren Augen. Essays zum Werk von Hanns Cibulka. Mit­tel­deut­scher Ver­lag, Halle 2022.
Diesen Artikel teilen:

Literaturland Thüringen‹ ist eine gemeinsame Initiative von
Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen · Thüringer Literaturrat e. V. · MDR-Figaro · MDR Thüringen – Das Radio

Gestaltung und Umsetzung XPDT : Marken & Kommunikation © 2011-2024 [XPDT.DE]
© Thüringer Literaturrat e.V. [http://www.thueringer-literaturrat.de]

URL dieser Seite: [https://www.literaturland-thueringen.de/artikel/stefan-pabst-janroehnert-hg-in-der-landschaft-mit-anderen-augen-essays-zum-werk-von-hanns-cibulka/]