Sigrid Damm – »Alle Wege offen«

Personen

Sigrid Damm

Ulrich Kaufmann

Ort

Gotha

Thema

Gelesen & Wiedergelesen

Autor

Ulrich Kaufmann

Alle Rechte beim Autor. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors. Erstdruck in: Palmbaum 2/2023.

Ulrich Kauf­mann

Erneu­ter Rückblick

 

2010, aus Anlass eines run­den Geburts­ta­ges, for­mu­lierte Damm frei nach Rin­gel­natz: Ein­mal nur blick ich zurück. Nun liegt ihr bis­lang umfang­reichs­ter Essay­band in vier Abtei­lun­gen vor, der überraschenderweise nicht chro­no­lo­gisch ange­legt ist. Er blickt von heute aus auf das Geschaf­fene zurück, setzt mit den jüngsten Arbei­ten von 2022 ein und endet mit ihrem grund­le­gen­den Text über Caro­line Schle­gel- Schel­ling von 1979. Schon anfangs zeigt die in Thüringen gebo­rene und in Jena aus­ge­bil­dete Autorin, dass sie über den Tel­ler­rand der Lite­ra­tur hin­aus­blickt: So stellt sie den Zyklus Toten­tanz des Maler­freun­des Lutz Frie­del vor. Vom Kino spricht Damm 2022, von dem sowje­ti­schen Film Leuchte, mein Stern, leuchte, der sie über Jahr­zehnte nicht los­ließ. Mit 31 Jah­ren erlebte sie 1972 die Pre­miere. „… als ich das Kino ver­ließ, schien alles um mich herum ver­än­dert, unter mei­nen Fü.en war 20 cm Luft, ich lief nicht, ich schwebte, ich flog.“ Am Ende erin­nert die Film­be­su­che­rin an große sowje­ti­sche Lite­ra­tur­ver­fil­mun­gen, auch an Die Kra­ni­che zie­hen, an Andrej Rubljow und Stal­ker. Wer an Damms Werk denkt, dem fal­len die Namen Mörike und Hesse wohl nicht zu aller­erst ein. Preise bzw. Sti­pen­dien boten Anlässe, über diese Autoren zu schrei­ben. Bei Hesse ver­folgt Damm unter ande­rem, in wel­cher Weise sich ihr Ver­le­ger Sig­fried Unseld über Jahr­zehnte um das Werk des Nobel­preis­trä­gers gekümmert hat. Man lese auch, wie feinfühlend die Autorin über das Thema Mörike und die Frauen nach­denkt. Der Band bil­det genau das Gesamt­werk Sig­rid Damms ab. Nur an zwei Autoren wird mehr­fach erin­nert: an Lenz und an Goe­the. Bei Lenz ent­schied sich Damm für ihre frühe, viel beach­tete Rede Lenz – eine geheime Lern­fi­gur sowie für eine gekürzte Fas­sung des Nach­worts zu ihrer Lenz-Aus­gabe, die gleich­falls 1987 erschien. Jahr­zehnte hatte Damm Goe­thes Umfeld erkun­det, über Lenz, Schil­ler, Goe­thes Schwes­ter und die spä­tere Ehe­frau geschrie­ben, bis sie in Goe­thes letzte Reise (2008) den Dich­ter und Geheim­rat selbst in den Mit­tel­punkt ihres Schaf­fens stellte. Goe­the erhält im vor­lie­gen­den Buch inso­fern einen Ehren­platz, als die vier Essays über ihn das gesamte dritte Kapi­tel aus­ma­chen. Dem län­ge­ren Text Das Ilmen­auer Berg­werk: Goe­the als geschei­ter­ter Unter­neh­mer fol­gen drei kürzere, weni­ger bekannte Arbei­ten, die dem pri­va­ten Goe­the vor­be­hal­ten sind. An den 200. Hoch­zeits­tag von Chris­tiane und Goe­the (2006) wird erin­nert und die Ehe­briefe wer­den betrach­tet. Am wenigs­ten bekannt dürfte der Auf­satz Der Zeit­ver­lust, das schöne Geschlecht und Goe­thes Werk – Über Goe­the und die Frauen sein, der 1999 zum Euro­päi­schen Kul­tur­stadt­jahr ent­stand. Unter den zeit­ge­nös­si­schen deut­schen Dich­tern hat Sig­rid Damm kei­nen Kol­le­gen so genau gekannt wie den 1984 ver­stor­be­nen Franz Fühmann. Auch für ihre Söhne war er emi­nent wich­tig. Sie beschreibt, wie der schwerst­kranke väter­li­che Freund noch in der Kli­nik ver­sucht, sein letz­tes Werk Im Berg zu been­den. Es blieb Frag­ment. In dem Essay-Band, für den sich Damm den Titel bei der sor­bi­schen Dich­te­rin Róža Domaš­cyna lieh, hat mich – auch nach mehr­ma­li­ger Lektüre – kein Text so aufgewühlt, wie der über Fühmann, der den Titel trägt: Am liebs­ten tät ich auf die Straße gehn und brüllen.

 

  • Sig­rid Damm Alle Wege offen – Essays. Mit einem Nach­wort von Hein­rich Dete­ring. Insel-Ver­lag Ber­lin 2023, 343 S., 20 EUR
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