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Romina Nikolić / Jan Volker Röhnert
Die Exkursion entstand im Rahmen eines Projekts der Literarischen Gesellschaft Thüringen e.V.
Schwarzburg, so ist am Ortseingang zu lesen, bezeichnet sich heute als »Thüringer Modellgemeinde«. Modell wofür? Modell einer poetischen Empfindung ›Thüringer Wald‹, ›Schwarzatal‹, ›Natur‹, ›Schiefergebirge‹, ›Berg- und Talidylle‹? Modell einer Möglichkeit zu leben, die sich überlebt hat, Modell eines Museums der Vergangenheit – Goethe, Großkochberg, Ilmenau, Saalfeld, die romantischen Feengrotten –, Modell einer Reminiszenz, wie man aus der Metropole in die Sommerfrische fuhr, vor über achtzig Jahren wohl. Schwarzburg ist Erinnerung, in jeder Fachwerkstrebe, jedem behauenen Sandsteinquader, jeder Fensterzinne. Das Schloss, langgestreckte Gespensterburg mit Kaisersaal, von Hermann Göring zum »Reichsgästehaus« vorgesehen, halb restaurierte Vergangenheit.
Benns Quartier, der »Weiße Hirsch«, direkt an der Hauptstraße durchs Schwarzatal, im oberen Ortsteil Schwarzburgs, heute: lüsterbehangene, lederbespannte, dielenknarrende mondäne Panoramavergangenheit. Aufkleber in der Portiersloge: »Hier kannst du alemannisch schwätze«. Keine Tafel für Benn. Postkartenständer, Nippes, regionale Souvenirs, Kunstblumen. Edelstahlpersonenwaage im Eingang, wir lassen sie unerprobt – ich wöge leichter an Kilogramm als was sie an Jahren aufzuweisen hat.
Im unteren Ort herrscht Zeitentzug. Kaum Kriegs- noch Sozialismusschäden auf den ersten Blick. Varianten von Thüringer-Wald-Wintergarten-Holzveranden und Spitzgiebel, mit grauem Asbest- oder schwarzem Echtschiefer verschindelt, Pensionsquartiere, die Aufschrift »Zimmer frei« hinter den neueren Tafeln »dauerhaft geschlossen« oder »zu verkaufen« verblasst. Die Rauchfähnlein der Schornsteine blasen unisono in den Feierabend. »Goldwaschen nur an den vorgesehen Stellen erlaubt«, ist auf Schildern am Schwarzafluss vermerkt. Herbstlaub blinkt golden in den Bäumen, als wir nach Ortsdurchquerung den Steg zur Burgseite hinübergehen und den Burgberg erklimmen. Seltene Augenblicke, aus denen die Vergangenheit gewachsen ist, befreit von den Gewichten der Buchstaben und Zahlen, blitzend auf einmal der Zusammenhang von Fluss und Wald, von Tal und Berg, Sonne und Wolken am Horizont: Augenblick eines möglichen Gedichts.
Abb, 1: Foto: Jens Kirsten / Abb. 2: Foto: Romina Nikolić / Jan Volker Röhnert.
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