Romina Nicolić – Dankrede zur Verleihung des Anke-Bennholdt-Thomsen-Förderpreises 2024

Person

Romina W. Nikolić

Ort

Jena

Thema

Aktuelles

Autor

Romina Nicolić

Alle Rechte bei der Autorin. Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Autorin.

Dass ich heute hier vor Ihnen ste­hen und die­sen Preis ent­ge­gen­neh­men darf, ver­danke ich nicht nur mei­ner Fami­lie, mei­nen Freund*innen, der Unter­stüt­zung mei­ner Kolleg*innen und mei­nem sehr gedul­di­gen Lek­tor und Her­aus­ge­ber, es ist für mich viel­mehr auch ein klei­nes Wun­der. Viel­leicht erin­nern Sie sich an Handke und sei­nen Aus­bruch nach der Kri­tik von Saša Sta­nišić, als er rief: »Ich bin ein Schrift­stel­ler, komme von Tol­stoi, ich komme von Homer, ich komme von Cervantes!«

Ich darf Ihnen heute mit­tei­len: Ich komme vom Dorf. Ich bin eine Frau. Und ich rede meist ziem­lich viel. Jeder, der schon­mal mit mir Auto gefah­ren ist oder Zeit mit mir im Büro ver­brin­gen musste, kann wahr­schein­lich ein Lied davon singen.

»Ich komm’ vom Dorf«, das wird oft ent­schul­di­gend gesagt: Wenn jemand nicht weiß, mit wel­cher Stra­ßen­bahn­li­nie er in Jena von A nach B kommt. Oder ob man den Fahr­schein auch noch in der Bahn lösen kann. Oder wann der rich­tige Moment ist, den Hal­te­knopf zu drü­cken – vor­zei­ti­ges, ner­vö­ses Drü­cken ent­tarnt einen immer gleich, da kann man auch direkt pro­kla­mie­ren: »Ver­zei­hung, Ver­zei­hung, ich komm’ vom Dorf!«

Wir alle ken­nen sol­che drol­li­gen Cha­rak­tere. Aus der Stra­ßen­bahn, aus Fil­men und Geschich­ten. Das Dorf und seine manch­mal etwas ein­fäl­ti­gen Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­ner haben ihren Platz in der Lite­ra­tur. Das Dorf ist oft eine will­kom­mene Kulisse, wenn es um ver­klär­tes Idyll und Natur­ver­bun­den­heit geht. Es ist ein Ort der Tra­di­tion und des Ursprungs. Kul­tu­relle und his­to­ri­sche Kon­ti­nui­tät las­sen sich hier bele­gen und besin­gen. Die Nähe zu Mythen, Mär­chen und Sagen lässt das Dorf als roman­ti­schen Gegen­ent­wurf zu urba­nen Gebil­den erschei­nen. Es bie­tet sich aber auch her­vor­ra­gend an als Kon­flikt­raum, in dem gesell­schaft­li­che Span­nun­gen, Iso­la­tion, soziale Kon­trolle und der­glei­chen ver­han­delt wer­den. Es ist ein wun­der­ba­res Expe­ri­men­tier­feld mit gro­ßem poe­ti­schen Poten­zial, auf dem sich neben Goe­the, Annette von Droste-Hüls­hoff, Georg Trakl, Ber­tolt Brecht, Sarah Kirsch, Franz Füh­mann, Wulf Kirs­ten durch die Jahr­hun­derte hin­weg unzäh­lige Schrift­stel­le­rin­nen und Schrift­stel­ler in allen Gen­res aus­ge­tobt haben.

Das Dorf hat also sei­nen Platz in der Lite­ra­tur. Aber wie sieht es aus mit den Lite­ra­tin­nen und Lite­ra­ten im Dorf? Wir bewe­gen uns natür­lich im Bereich der anek­do­ti­schen Evi­denz, wenn ich Ihnen sage: In mei­nem Dorf galt das Schrei­ben höchs­tens als Haus­auf­gabe, die man aus der Schule mit nach Hause brachte. Als klei­nes Werk­zeug, wenn man sich auf die Bütt zur nächs­ten Kar­ne­vals­sit­zung vor­be­rei­tete. Oder der Tante Gerda eine gereimte Freude zum 80. machen wollte. Oder wenn es einen Finanz­be­am­ten davon zu über­zeu­gen galt, dass man wirk­lich trif­tige Gründe hatte, die Steu­er­erklä­rung vom vor-vori­gen Jahr noch nicht ein­ge­reicht zu haben. Das Schrei­ben, ja, das gab es, das hatte schon sei­nen Zweck, aber es war kei­nes­wegs etwas, mit dem man zu viel Zeit ver­brin­gen sollte. Effek­tiv und nütz­lich sollte es sein. Und am bes­ten – vor allem, wenn man sich im Schrei­ben eher zweck­freien For­men wie etwa der Poe­sie wid­mete – sollte man es aus­schließ­lich dann tun, wenn man mit der rich­ti­gen Arbeit fer­tig war. Rich­tige Arbeit war natür­lich etwas Hand­fes­tes, Hand­werk­li­ches. Selbst meine Mut­ter, als Leh­re­rin, machte sich regel­mä­ßig der Bil­dungs­snob­be­rie und Fau­len­ze­rei ver­däch­tig und musste sich trotz Voll­zeit­ar­beit mit Unter­richt an zwei Schu­len noch im elter­li­chen Bäcke­rei­be­trieb nütz­lich machen. Schrei­ben also galt bes­ten­falls als Hobby. Damit konnte man kei­nen Blu­men­topf gewin­nen und schon gar nicht konnte man damit Geld ver­die­nen. Belus­ti­gen bes­ten­falls, aber das wars. Schrei­ben als ernst­zu­neh­mende Beschäf­ti­gung: absurd.

Ich denke an Lutz Sei­lers Satz: »Es gibt keine ver­nünf­ti­gen Gründe, Gedichte zu schrei­ben, eher einige ver­nünf­tige Gründe, das nicht zu tun.« Mein Dorf nahm dies als Dik­tum – Punkt! – und hielt es hoch. In mei­ner Erin­ne­rung hätte es kei­nen schreib­feind­li­che­ren Ort geben kön­nen. Der eine Schrift­stel­ler in mei­nem dörf­li­chen Dunst­kreis, das war eine Pla­kette an einem Haus in der Neu­städ­ter Straße, die einen alten Mann zeigte, der 1881 das Zeit­li­che geseg­net hatte. Und die ein­zige lebende Schrift­stel­le­rin in mei­nem Dorf, das war eine Deutsch- und Kunst­leh­re­rin, die auch heute noch Gedichte und Rei­se­be­richte schreibt. Und von der ich die Leute sagen hörte, hin­ter mehr oder weni­ger vor­ge­hal­te­ner Hand: »Wenn die amoal stirbt, müss’n sa die Gusch’ noch amoal da’schloa, äss end­lich ruh is.«

Ich komm’ auch aus die­sem Dorf. Ich bin auch eine Frau. Ich rede gern viel und ich schreibe Gedichte. Und ich wuchs in der Gewiss­heit auf, dass Frauen, die zu viel rede­ten oder sich dem unnüt­zen Rumg’schreibsel ver­schrie­ben hat­ten, läs­tig sind. Vor allem und am meis­ten, wenn sie mit ihren zu Papier gebrach­ten Frau­en­gedan­ken und ‑ansich­ten dann auch noch eine Bühne bean­spru­chen woll­ten. Als wäre es nicht genug, dass man sonn­tag­vor­mit­tags der Kate­che­tin »a drei­viertla stunn’ bei da Gottesdienstve’traatung zu müss’ hör, da lösst die a noch die Kunst­leh­re­rin drei Gedicht’ läs! Un dahemm stenn die Aadöpfl uffm Herd un koch’n sich ned vo salwats!!!«

Der »Tor­ten­ring als Denk­scha­blone« in mei­nem »Unter­holz«… Ich wünschte, das wäre eine Übertreibung.

Nancy Hün­ger schrieb 2016 für und über Pau­lus Böh­mer: »Wer das Glück an sei­ner Seite weiß, beginnt mit nichts wie wenig an der Hand ein paar lose Worte wie Plau­der­ta­schen, ein Rau­nen unter der Schä­del­de­cke, ein Takt oder Tick in den Fin­ger­spit­zen, ein ner­vö­ses Zie­hen: so ein auf­fah­ren­des, ohren­be­täu­ben­des Gefühl – bes­ser noch: eine Ahnung, dass die Dinge und was immer um einen herum plötz­lich in Spra­che zur Spra­che drän­gen, in Spra­che auf­ge­hen, benannt wer­den wol­len, wie­der und wie­der umbe­nannt, auch umge­wid­met, schlicht: über­setzt in Zungenrede.«

Wer nun einen sol­chen kör­per­lich drän­gen­den Aus­drucks­wil­len ver­spürt, ein Schrei­ben­müs­sen über das Zweck­mä­ßige hin­aus, der tut das. Gegen die Wider­stände und gegen das Dorf, das einem Nutz­lo­sig­keit und Faul­heit unterstellt.

Nun könnte ich sagen, zum Glück ist das Dorf ein Ort, den man ver­las­sen kann. In Gedan­ken kann man schließ­lich zurück­ge­hen, die Erleb­nisse, Gescheh­nisse, Gesprä­che, Prä­gun­gen, Ein­drü­cke, Brü­che, Wun­den nach­voll­zie­hen und ‑füh­len, ihr poe­ti­sches Poten­zial abschöp­fen, sie be- und umbe­nen­nen und vari­ie­ren und im Gedicht arrangieren.

Ich könnte sagen, ich bin froh, dass ich das Dorf ver­las­sen habe. Dass ich in Gisela Krü­ger eine Deutsch­leh­re­rin hatte, die mich bestärkt hat, bei der Lite­ra­tur zu blei­ben. Froh, dass ich in Jena, Wei­mar, Erfurt so inspi­rie­rende und tat­kräf­tige Ver­bün­dete gefun­den habe, die mich in mei­nem Schrei­ben ernst genom­men, geför­dert, beglei­tet und ihm eine Bühne gege­ben haben: Mar­tin Straub ist hier an ers­ter Stelle zu nen­nen. Ich bin froh, dass ich in ver­schie­de­nen Rol­len seit vie­len Jah­ren das lite­ra­ri­sche Leben Thü­rin­gens mit­ge­stal­ten, Teil eines frucht­ba­ren Netz­werks sein darf, an der Seite von so wun­der­ba­ren Men­schen wie Sig­run Lüdde, Uta Utzel­mann, Nancy Hün­ger, Daniela Danz, Chris­tine Hans­mann, Ralf Schön­fel­der, Mario Oster­land, Robert Sorg, Andreas Ber­ner und André Schin­kel. Ich bin froh, dass ich eine Fami­lie habe, einen ver­ständ­nis­vol­len Mann, der mich unter­stützt, mir für meine Arbeit nach Kräf­ten den Rücken frei­hält und mir auch mal einen Tel­ler Essen vor die Nase stellt, wenn ich zu lange im Hyper­fo­kus auf den Bild­schirm starre und ver­gesse, dass man irgend­wann auch mal Nah­rung zu sich neh­men muss.

Ich komm vom Dorf, ich bin eine Frau, die gern viel redet, und ich bin sehr froh dar­über, dass es Men­schen gibt, die in dem, was ich bin und tue, einen Wert sehen. Ich bin sehr froh dar­über und dank­bar für all das und emp­finde es als gro­ßes Pri­vi­leg. Ich könnte mich eigent­lich nur freuen.

Aber: Ich könnte das tun und das Dorf hin­ter mir las­sen, doch ange­sichts der poli­ti­schen Lage fällt es mir schwer. Thü­rin­gen ist größ­ten­teils länd­lich, dörf­lich. Mich besorgt eine kul­tur- und bil­dungs­feind­li­che Hal­tung, die ich aus mei­nem Dorf noch kenne. Sie schreibt sich fort und spielt denen in die Hände, die sich wei­ter und wei­ter von der demo­kra­ti­schen Grund­ord­nung unse­rer Gesell­schaft ent­fer­nen wol­len. Die Wahl­er­geb­nisse bele­gen, dass ein erheb­li­cher Teil der Men­schen hier in Thü­rin­gen kein Pro­blem darin sieht. Ich sehe uns Schrei­bende, Redende, Lesende in der Ver­ant­wor­tung und Pflicht, mit unse­ren Mit­teln ent­ge­gen­zu­wir­ken. Es ist eine große Auf­gabe, die sich nicht ein­fach fas­sen lässt und viel­leicht gerade des­halb des Instru­men­ta­ri­ums, des Poten­zi­als, der Per­spek­ti­ven und nicht zuletzt der Stim­men der Kunst und Lite­ra­tur bedarf.

Ich danke auch des­halb der Anke Ben­n­holdt-Thom­sen-Stif­tung für die­sen Preis, herz­li­chen Dank der Jury für die Wert­schät­zung und die Ermu­ti­gung zum Wei­ter­ma­chen! Und mei­nen Wegbegleiter*innen und Mitstreiter*innen: Dank auch euch, aufs Herz­lichste, für das immer wie­der neu Den­ken, für eure Ideen und den Mut, nicht die Waf­fen zu stre­cken, vor den Her­aus­for­de­run­gen, vor denen wir ste­hen. Vie­len herz­li­chen Dank! Auch Ihnen, fürs Zuhören.

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