Rede der Schriftstellerin Annerose Kirchner zur Stolpersteinverlegung für den Schriftsteller Herz Wolff Katz und seine Familie in der Altenburger Straße 7 in Gera am 6. Mai 2025

Person

H. W. Katz

Orte

Gera

Altenburger Straße 7

Thema

Aktuelles

Autor

Annerose Kirchner

Alle Rechte bei der Autorin. Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Autorin

Mein Name ist Anne­rose Kirch­ner, ich lebe seit fast 46 Jah­ren in Gera und wirke als Schrift­stel­le­rin. Der Stol­per­stein e. V. Gera hat mich gebe­ten, etwas zum heu­ti­gen Tag zu sagen.

Am 3. April 1991 schrieb mir der Schrift­stel­ler Henry Wil­liam Katz, kurz H. W., auch Bill genannt, aber eigent­lich Herz Wolff, in einem Brief:

»Ich weiß, dass Sie 40 Jahre alt sind und ich bin mehr als 2x so alt. Aber Kol­le­gen igno­rie­ren das Alter. Wir inter­es­sie­ren uns weni­ger für Geburts­scheine und mehr für Gedichte und Geschich­ten, die wir schreiben.

Ich komme mit mei­ner Frau Frie­del (gebo­ren in Heil­bronn) und mit mei­ner Toch­ter Eve (gebo­ren in Paris). Hof­fent­lich gibt’s in Gera anstän­dige Hotels. … Wir freuen uns schon sehr, Sie bald in Gera ken­nen­zu­ler­nen. Ich sah Gera zum letz­ten Mal genau vor 58 Jahren.«

Anlass für die­sen Brief war die Ein­la­dung der Fried­rich-Ebert-Stif­tung in Bonn für eine Lese­reise von H. W. Katz, nun im wie­der­ver­ei­nig­ten Deutschland.

Über mei­nen För­de­rer und Freund, den Schrift­stel­ler Wulf Kirs­ten in Wei­mar, der mit Katz kor­re­spon­dierte, kam auch unser Kon­takt zustande. In Gera blieb nur für 2 Tage Zeit, lei­der und schade. Doch es gelang mit Unter­stüt­zung der Geraer Biblio­thek eine unver­gess­li­che Ver­an­stal­tung. Am Nach­mit­tag vor der Lesung bekam ich einen Anruf von Wer­ner Sim­sohn. »Herr Katz ist da. Kom­men Sie zu uns in die Was­ser­straße in Untermhaus.« H. W. Katz emp­fing mich mit Freude und umarmte mich. Wir hat­ten ein inten­si­ves Gespräch bei Kaf­fee und Kuchen, was viel zu schnell zu Ende ging.

Nach der Lesung ver­ab­schie­de­ten wir uns etwas trau­rig, aber unser Brief­wech­sel ging wei­ter, den ich nach dem Tod des Schrift­stel­lers mit sei­ner Witwe Frie­del bis 1999 fort­füh­ren konnte. Sie redete mich immer mit »Liebe Anne­rose« an – was für ein Ver­trauen, was für eine Zuwen­dung. Danach kam lei­der kein Lebens­zei­chen mehr.

H. W. Katz kam schon schwer­krank nach Gera, ein Jahr spä­ter, am 6. 6. 1992, starb er zuhause in Deer­field Beach, in Flo­rida, im Alter von 85 Jah­ren. Ein Schock, denn er wollte unbe­dingt ein zwei­tes Mal und damit für län­gere Zeit nach Gera kommen.

H. W. war Jude, Jour­na­list und Sozi­al­de­mo­krat und bezeich­nete sich zuletzt als Kom­mu­nist. Als Schrift­stel­ler sah er sich wohl nicht, da er in den USA nie als Autor und Jour­na­list Fuß fas­sen konnte. Die Wur­zeln sei­nes Schrei­bens lie­gen in Gera. Davon zeu­gen seine bei­den Romane »Die Fisch­manns« und »Schloß­gasse 21«, deren Lek­türe ich Ihnen wärms­tens ans Herz legen möchte. Er schrieb sie im Exil 1933–1937 und ver­ar­bei­tete darin das Schick­sal der nach Deutsch­land ein­ge­wan­der­ten Ost­ju­den, auf der Flucht vor Pogro­men. 1914 kam er als Acht­jäh­ri­ger – aus West­ga­li­zien, aus dem Schtetl in Rudky, süd­lich von Lem­berg, damals Öster­reich, dann Polen – mit Vater, Mut­ter und Bru­der Michael nach Gera. In Gera leb­ten bereits einige Ver­wandte, andere kamen noch hinzu. Sie wohn­ten haupt­säch­lich im Bereich des Zscho­ch­ern­plat­zes – Bau­ver­eins­straße, Arndt­straße, Alten­bur­ger Straße und auch Mar­ga­re­ten­straße, als Händ­ler mit ver­schie­de­nen Geschäften.

H. W., der sich früh in jüdi­schen Ver­ei­nen enga­gierte und über die Heim­volks­hoch­schule Tinz zur Sozi­al­de­mo­kra­tie fand, schrieb für renom­mierte Zei­tun­gen. Ab 1932 war er in Ber­lin und arbei­tete für die »Welt am Mon­tag«. Nach der Bücher­ver­bren­nung 1933 in Ber­lin ent­schloss er sich umge­hend zur Flucht nach Frankreich.

Sei­nen Roman »Die Fisch­manns« reichte er 1937 für ein lite­ra­ri­sches Preis­aus­schrei­ben ein. Unter 80 ein­ge­sand­ten Tex­ten wählte die Jury, der u. a. Anna Seg­hers ange­hörte, das Manu­skript zur Aus­zeich­nung mit dem Hein­rich-Heine-Preis aus. Der Roman erschien im bedeu­ten­den Exil­ver­lag Allert de Lange in Ams­ter­dam und trat danach einen Sie­ges­zug mit zahl­rei­chen Ver­öf­fent­li­chun­gen, u. a. in New York, an. Hoch­ge­lobt von Schrift­stel­lern wie Bruno Frank. »Schloß­gasse 21« erschien 1940. Beide Bücher erschie­nen erst Mitte der 1980er Jahre in der BRD.

H. W. Katz konnte mit sei­ner Frau und der klei­nen Toch­ter 1941 in die USA emi­grie­ren. Er hielt immer Kontakt/Briefwechsel mit bedeu­ten­den Schrift­stel­lern, viel­fach mit Her­mann Kes­ten, Alfred Döblin, auch in den 1980er Jah­ren mit Ste­fan Heym und Wal­ter Janka.

H. W. Katz plä­dierte sein Leben lang für Tole­ranz. »Nicht has­sen dürft ihr«, sagte er ein­mal zu Schü­lern. »Nach­den­ken müsst ihr. Und nie ver­ges­sen dürft ihr: In euren Hän­den liegt die Zukunft Deutsch­lands«. Er blieb immer ein Geg­ner des Nazis­mus und inter­es­sierte sich nach 1989 für das wei­tere Schick­sal Deutsch­lands. Er bezeich­nete Gera als seine Hei­mat. Und man hörte auch etwas »Gersch« noch in sei­ner Stimme… Er sah sich immer als Hei­mat­ver­trie­be­ner, als Flüchtling.

Heute fin­det in Gera mit der Stol­per­stein­ver­le­gung die erste offi­zi­elle Wür­di­gung von Henry Wil­liam Katz und sei­ner Fami­lie statt. Wür­dig wäre es auch, ihm in der Stadt noch eine Gedenk­ta­fel zu set­zen. Mein Wunsch, ihm einen Stol­per­stein zu set­zen, geht nun in Erfül­lung. Es ist eine kleine, wür­dige Ehrung – eigent­lich ein Sieg über das Unfass­bare, was die eins­ti­gen jüdi­schen Mit­bür­ger, nicht nur in Gera erlei­den, muss­ten. Mit der »Polen­ak­tion« 1938 wur­den auch Aron, seine Ehe­frau und Sohn Saul nach Polen abge­scho­ben und in Lem­berg und Bel­zec ermor­det. H. W. über­lebte und sein Bru­der Michael, letz­te­rer floh nach Paläs­tina und kam spä­ter auch in die USA.

Ich danke der Stadt Gera, dem Stol­per­stein e. V., Gun­ter Dem­nig, der hier ver­legt – und allen Betei­lig­ten für diese wich­tige Ehrung, die nun eine sicht­bare, längst über­fäl­lige Erin­ne­rung ist. So wer­den Steine zu Denk­mä­lern, als Rufer, Mah­ner und Erin­ne­rer. Diese Steine soll­ten zum Den­ken, zum Andenken und Nach-Den­ken anre­gen. Ver­ges­sen wir sie nicht, wenn wir hier in den Stra­ßen unter­wegs sind.

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