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Detlef Ignasiak
Das literarische Thüringen, Bucha 2018.
Nordhausen war von 1220 bis 1802 eine freie Reichsstadt. Ihr vorangegangen war eine altthüringische Siedlung und ein karolingischer Reichshof, in dem Heinrich I. eine Burg errichtet hatte. Heute steht dort die seit 1130 erbaute Stadtpfarrkirche zum Heiligen Kreuz. 1263 veranstaltete der meißnische Markgraf und Minnesänger Heinrich der Erlauchte (1215–1288) in Nordhausen ein festliches Turnier, was den hohen Rang des Ortes, auch in der Kultur, schon im Mittelalter bezeugt. Bis zum Ende des 13. Jahrhunderts siedelten sich zudem vier Mönchs- und Nonnenorden (Franziskaner, Augustiner, Dominikaner und Zisterzienserinnen) in der Stadt an. Von den Klostergebäuden ist allein der Walkenrieder Hof bei der Waisenstraße erhalten. 1802 fiel Nordhausen an Preußen. Damals reimte ein Lokalpoet: »Weint! Das Wetter, welches wir seit Jahren/Fürchteten, bricht über uns herein./Weint, Nordhausens Bürger! Was wir waren,/Werden wir nicht fort von heut’ an sein.«. Bekannt wurde N. auch durch die Tabakverarbeitung und die Branntwein-Produktion von »Nordhäuser Doppelkorn«.
Mathilde (um 895–968) entstammte dem Geschlecht des Sachsenfürsten Widukind und wurde die zweite Gemahlin (909) König Heinrichs I. (gest. 936). Sie ist die Mutter Kaiser Ottos des Großen (912–73) und der in N. geborenen Königin Gerberga (915–69), Gemahlin des franz. Königs Ludwig IV. Schon am 13. 5. 927 übertrug Heinrich Teile seines Erbbesitzes, darunter Nordhausen (das in dieser Urkunde erstmals erwähnt wird) und Quedlinburg (späterer Witwensitz Mathildes), auf seine Gemahlin. Mathilde weilte oft in Nordhausen, wo sie ein Kanonissenstift (wohl das einzige in Thüringen) gründete, dem auch literaturgeschichtliche Bedeutung zukommt. Hier entstanden zwei Mathilde-Viten (also Lebensbeschreibungen der Stifterin), die in ihrer Frömmigkeitspanegyrik Bezug nehmen zur von Venantius verfassten Radegunde-Vita. Die Mathilde-Viten sind wie die ganze Literatur der ottonischen Zeit in lateinischer Sprache abgefasst und sind an den sächsischen Hof adressiert. Die um 973 im Auftrag Ottos II. (dessen Gemahlin Theophanu ebenfalls mit N. in Beziehung stand) geschriebene »erste Vita« (in der Mathilde als Personifikation des Glücks dargestellt wird) könnte aus der Feder einer N.er Kanonisse (vergleichbar mit der zur selben Zeit schreibenden Hrotsvith von Gandersheim, der ersten dt. Dichterin) stammen und ist der erste in Thüringen geschriebene literarische Text! Die »zweite Vita« wurde um 1002 im Auftrag Heinrichs II. verfasst. Das Königspaar befindet sich unter den 1270 für den Chor des Nordhäuser »Domes« geschaffenen Stifterfiguren, ebenso werden sie im 1370/1400 geschaffenen Chorgestühl gezeigt, Mathilde auch als Ganzfigur im barocken Hochaltar (1726) und in den farbigen Glasfenstern (1931).
Der Theologe und Reformator Justus Jonas (eig. Jodocus Koch) wurde 1493 in Nordhausen geboren. Er starb 1555 in Eisfeld. Er übersetzte Luthers und Melanchthons lateinische Schriften kongenial ins Deutsche und schrieb selbst Kirchenlieder.
Martin Luther kam 1516 nach Nordhausen, um das Augustinerkloster zu inspizieren. Er musste die Mönche mehrfach ermahnen und auf ihre Pflichten hinweisen. Schon 1522 wurde Lorenz Süße dort erster evangelischer Prediger. Zwei Jahre später nahm der Rat der Stadt die Reformation offiziell an. Luther: »Ich weiß keine Stadt am Harze oder sonst, welche sich dem Evangelio so bald unterworfen als die Stadt Nordhausen.« Am 22. 4. 25 predigte er in der St.-Blasii-Kirche über die »Zwölf Artikel«. Erst als er auf der Kanzel stand, erfuhr er von den Bauernunruhen. Deshalb reagierte er heftig, was die Nordhäuser mit einem Sturm der Entrüstung quittierten. Diese Erfahrung veranlasste ihn zum Abbruch der Reise ins thüringische Aufstandsgebiet und zum Entwurf des Pamphlets »Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern«. Als dieser harte Text am 10. 5. übereilt gedruckt wurde, hatte der Krieg längst begonnen.
Thomas Müntzer hielt sich vermutl. vom 14.7.–26.9. 1522 in Nordhausen auf. Darauf lassen zwei Briefe schließen, die an ihn abgeschickt wurden, doch nichts über eine etwaige Tätigkeit in Nordhausen aussagen.
Michael Meyenburg (genannt »König von Nordhausen), der 1555 in Nordhausen starb, wirkte in der Stadt als Bürgermeister. Freundschaftlich verbunden war er mit Justus Jonas, mit dem er sich konspirativ in der Ratsapotheke traf, Johannes Bugenhagen, Georg Spalatin und vor allem mit Philipp Melanchthon, der ihn schon 1525 in Nordhausen aufgesucht hatte und der, als Wittenberg im April 1547 von den Kaiserlichen besetzt wurde, zusammen mit Luthers Witwe Katharina und deren Kindern zu Meyenburg nach Nordhausen floh. Lucas Cranach d. J. widmete Meyenburg 1558 ein Epitaph, das in der St.-Blasii-Kirche (Original seit 1945 verschollen) in einer Kopie aus dem Jahr 1927 zu sehen ist.
Johann Spangenberg (1484–1550) wirkte als Theologe und Kopf der Nordhäuser Reformation. Er war von 1524 bis 1546 Pfarrer an der St.-Blasii-Kirche und Rektor der angesehenen Lateinschule, an der später Michael Neander, Andreas Fabricius und Johannes Clajus lehrten. Spangenberg, der mit Meyenburg und Melanchthon befreundet war, fühlte sich dem Humanismus verpflichtet und wies ihm im evangelischen Schulwesen einen festen Platz zu. Er gab Lehrbücher für den Lateinunterricht, Verslehren und Grammatiken heraus. Sein Sohn Cyriakus Spangenberg wurde 1528 geboren und studierte bei Melanchthon in Wittenberg. Im Elsass, wohin er aufgrund von theologischen Steitigkeiten an seiner ersten Wirkungsstätte in der Grafschaft Mansfeld ging, veröffentlichte er das Werk »Von der Edlen und Hochberümbden Kunst der Musica« (1598), mit dem er die bedeutendste zeitgenössische Darstellung zu diesem Thema lieferte.
Johannes Gigas, der 1514 in Nordhausen geboren wurde, wurde von Spangenberg gefördert. Er studierte bei Luther und Melanchthon in Wittenberg Theologie. Er verfasste zahlreiche theologische Werke, von denen die »Katechismus-Predigten« (1577) das ganze 17. Jh. hindurch wirkten.
Friedrich Christian Lesser wurde 1692 in Nordhausen geboren, wo er 1754 starb. Er war Theologe, Historiker und Verfasser von Gelegenheitsgedichten. Leopold Friedrich Günther von Goeckingk aus Ellrich hatte häufig in Nordhausen zu tun. Zu seinen Aufgaben gehörte die Kontrolle des unter preußischer Verwaltung stehenden Walkenrieder Hofes. 1775 vermählte er sich dort mit Sophie Marie Philippine Vopel (1745–1781), der Tochter eines ehemaligen Oberamtmanns, dem »Nantchen« in den »Liedern zweier Liebenden« (1777), mit denen Goeckingk der literarische Durchbruch gelang und die zum Vorbild für Goethes »Buch Suleika« (»Westöstlicher Divan«) wurden.
Johann Gottfried Schnabel (1692-nach 1744) ließ 1732 den 1. Band seiner »Wunderlichen FATA einiger See-Fahrer«, später kurz als »Insel Felsenburg« bezeichnet, in Nordhausen erscheinen. Ob Sch. allerdings je in der Stadt weilte, ist nicht bekannt. Doch steht diese Robinsonade, für Arno Schmidt (1914–1979) »eines der wichtigsten Werke unserer Literatur«, damit in einer Beziehung zu Nordhausen. Inzwischen sieht auch die Forschung in Schnabels Werk den »erfolgreichste(n) deutsche(n) Roman der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts«. – Friedrich August Wolf, dessen Vater Lehrer an der Nordhäuser Mädchenschule war, besuchte 1769–1776 das Nordhäuser Gymnasium. Sein Lehrer war dort Christian August Heyse (1764–1829), der Verfasser einer weit verbreiteten deutschen Schulgrammatik und Großvater von Paul Heyse. – Ludwig Storch besuchte von 1821 bis 1823 das Gymnasium in Nordhausen.
Ida Seele wurde 1825 hier geboren. Sie war eine Nichte von Ludwig Storch. Sie wirkte als Kindergärtnerin und Kinderbuchautorin. Nach Fröbels Vorbild gründete sie einen Kindergarten, der aber von den preußischen Behörden bald wieder geschlossen wurde. Später eröffnete sie Kindergärten in Darmstadt und Berlin. Ab 1879 lebte sie wieder in Nordhausen, wo sie bis zu ihrem Tod 1910 lebte. Ihre »Erzählungen für Kinder von zwei bis sieben Jahren« (1862) waren ein großer Erfolg und beeinflussten die Entstehung von Büchern für Vorschulkinder in ganz entscheidendem Maße. Ein 2007 wieder aufgestelltes Grabdenkmal beim Kindergarten in der Uferstraße 1 erinnert an sie.
Eng mit dem Kindergarten verbunden war auch Thekla Naveau, die 1871 in Nordhausen starb. Sie ist die Autorin des weithin wirksamen Buches »Fröbel-Spiele. Lieder und Verse für Kindergarten, Elementarklasse und Familie« (1870).
Der später am Weimarer Goethe-und-Schiller-Archiv wirkende Bernhard Suphan wurde 1845 in Nordhausen geboren. Seine Hauptleistung ist die Edition von Herders »Sämtliche(n) Werke(n)«, das in 33 Bänden von 1877 bis 1913 erschien.
Der Lyriker und Erzähler Hellmuth Unger wurde 1891 hier geboren und begann mit expressionistischen Gedichten in Erscheinung zu treten. Später schrieb er populäre Romane über die Ärzte Robert Koch (1929) und Rudolf Virchow (1953).
Ebenfalls aus Nordhausen stammt der Kinder- und Jugendbuchautor Herbert Kranz (1891–1973). Mit seinen Abenteuerbüchern, darunter die »Kranz-Bände« (1953–1959) um die Phantasiegesellschaft »Ubique Terrarum«, deren Mitglieder überall auf der Welt helfend eingreifen, und historischen Erzählungen (»Die Stimme der Vergangenheit«, 1960–1964) hat Kranz die Jugendliteratur des Westens entscheidend mitgeprägt.
Rudolf Hagelstange wurde 1912 in Nordhausen geboren. Er ist der bedeutendste Schriftsteller Nordhausens im 20. Jahrhundert. Er starb 1984 in Hanau.
1945 kehrte er aus dem Krieg in das zerstörte Nordhausen zurück, das am 3. und 4. April anglo-amerikanische Bomben nahezu vollständig zerstört hatten. Dabei fanden 8800 Menschen den Tod. Hagelstange betrauerte den Verlust in seinem Gedicht »Schwermütig Lied« (1946). Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gehörte er zu den Mitbegründern des Kulturbundes in Nordhausen, lehnte aber die ihm von Johannes R. Becher angebotenen größeren Aufgaben ab.
In dieser Zeit entstand sein berühmter Sonett-Zyklus »Venezianisches Credo«, der ihn als Lyriker von Rang auswies. 1946 ging er in den Westen. Am Ende seines Lebens entstanden die mit Nordhausen verbundenen Romane »Das Haus oder Balsers Aufstieg« (1981) und »Der Niedergang. Von Balsers Haus zum Käthe-Kollwitz-Heim« (1983) sowie die Autobiographie »Tränen gelacht. Steckbrief eines Steinbocks« (1977). Heute erinnert eine Gedenktafel an seinem Geburtshaus in der Oskar-Cohn-Straße 4 an ihn.
Erwähnen lässt sich noch der Kinder- und Jugendbuchautor Alexander Jesch, der seit 1969 in Nordhausen lebte, wo er 1996 starb.
Ebenso der 1938 in Nordhausen geborene Rolf Kalmuczak, der mit über 100 Pseudonymen Romane, Kinder- und Jugendbücher, Hörspiele, Drehbücher, und Groschenromane schrieb. Mit einer Gesamtauflage von 14 Millionen verkauften Exemplaren gehört er zahlenmäßig zu den erfolgreichsten deutschen Schriftstellern gehört.
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