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Jens-F. Dwars
Erstdruck in: Palmbaum 2/2020. Alle Rechte beim Autor. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Jens‑F. Dwars
Wortweberin
Als vor acht Jahren das Büchlein Halt dich fern von Nancy Hünger erschien, schrieb ich: »Diese vertrackte Prosa ist die kostbarste, die seit Jahrzehnten in Thüringen zu Papier gebracht wurde. Ihre Verfasserin, eine wirkliche Verdichterin der Sprache, deren Gedichte so durchsichtig und gegenständlich materialhaft sind wie Röntgenbilder, unternimmt in dem Band nichts geringeres, als die Suche nach dem Nullpunkt des Erzählens: Wo beginnt die Geschichte, die des Erzählens wert ist? Unverbraucht, kein Flickwerk aus Phrasen … Ohne das Rettungsseil ›Handlung‹, an das wir uns klammern, um uns über die Leerstellen im Text, die Abgründe in uns hinweg zu helfen. … weil sie dem eignen Erzählen misstraut, läuft das Erzählen über das Erzählenwollen ins Leere. Und doch ist dieser Leerlauf substantieller als Dutzende Bestseller-Geschichten. Ich wünsche ihr und uns, dass sie den Gegenstand findet, der ihr gemäß ist, dessen Geschichte sie uns erzählen kann.«
Jedes dieser Worte gilt ebenso für den neuen Band, den Nancy Hünger selbst im Untertitel »ein unglückliches Sprechen« nennt. Nur dass sie jetzt noch einen Schritt weiter geht, ein Sprechen vom Zu-Grunde-Gehen des Ichs, bis an Grenzen des Sagbaren. Und dies doppelt: sie will eine Geschichte erzählen, ohne in Klischees zu verfallen, ohne die Logik von Anfang und Ende, die das Gelebte verdinglicht. Und noch dazu eine Liebesgeschichte: »ich sterbe an liebe so ein elendes missversständnis sage ich wir sterben am klischee sage ich schaut nur ich klischiere bei lebendigem bewusstein«.
So wird die Geschichte im Erzählen zugleich nicht erzählt, bleibt sie im Ungewissen, um nicht verfälscht zu werden, kommt sie nur in der Negation ihrer selbst zur Sprache, in der mehrfachen Um-Schreibung von Beschreibungen: ein Ich erzählt von seinem Ein- und Ausgeliefertsein durch eine verzehrende Liebe zu einem »hans«. Von »kitteln« ist die Rede, was eine Klinik nahelegt. Und von der täglichen Wiederkehr eines »hundes«, den man als Depression deuten kann. Das Geschehene klingt nur in Andeutungen an, deren ver- störendste: »die nähe wird immer der ort sein an dem wirt uns verfehlen sagt meine mutter zu dem fünfjäh- rigen mädchen das ich bin«.
War das der Gegenstand, der ihr gemäß ist? Oder wird Nancy Hünger uns noch eine Geschichte erzählen?
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