Moritz Gause – »Meditationen hinterm Supermarkt«

Personen

Moritz Anton Gause

Dietmar Ebert

Ort

Jena

Thema

Gelesen & Wiedergelesen

Autor

Dietmar Ebert

Reihe »Gelesen & Wiedergelesen« / Thüringer Literaturrat e.V.

Gele­sen von Diet­mar Ebert

In der Ebene zwi­schen den Ber­gen, den Fahr­ten und den Versen

 

Mit »Medi­ta­tio­nen hin­term Super­markt« hat Moritz Gause sein Lyrik-Debüt im Dresd­ner Ver­lag edi­tion Azur vor­ge­legt. In Thü­rin­gen ist er gut bekannt durch seine Lite­ra­tur­pro­jekte, Lese­rei­hen, lite­ra­ri­schen Werk­stät­ten, Aus­stel­lun­gen und Inter­ven­tio­nen. Vor allem die von ihm im Jenaer Kunst­hof orga­ni­sier­ten Lesun­gen besa­ßen Kult­sta­tus und sind in guter Erin­ne­rung geblie­ben. Heute ist seine Geburts­stadt Ber­lin wie­der der Mit­tel­punkt sei­nes Daseins, nach­dem er die letz­ten bei­den Jahre im kir­gi­si­schen Bish­kek gelebt hat.

Wäh­rend es andere Dich­ter nach Ita­lien, Frank­reich oder in die USA gezo­gen hat und sie dort ihre Sehn­suchts­orte fan­den, war es mit Moritz Gause etwas anders.

Seine Sehn­suchts­orte lagen im Osten, »in der Ebene zwi­schen den Ber­gen«. Bereits im ers­ten Gedicht sei­nes Ban­des Ashina heißt es, alles in ihm habe ihn nach Osten gezo­gen, so lang schon, und viel­leicht fühle ich darum/ich sei angekommen/in der Ebene zwi­schen den Bergen/die aus­se­hen, als habe jemand das viel­fach geflickte und doch so ruhige Tuch der Steppe/mit Zelt­stan­gen angehoben/als sei ich/sei etwas in mir/von hier gekom­men. Aus die­sen Ber­gen, von denen kei­ner weiß/wo geht die Erde zuende/wo fan­gen die Geschich­ten an.

In die­sem Gedicht ver­birgt sich Moritz Gau­ses lyri­sches Credo: Der offene, freie Blick für den Osten, die poe­ti­sche Wahr­neh­mung des Step­pen­lan­des in der Ebene zwi­schen den Ber­gen, der Blick zwi­schen Neu­gier und Empa­thie, mit denen er den Men­schen in Kyr­gyzstan begeg­net, prä­gen seine Gedichte. Es sind die Bli­cke in die Land­schaft, auf die Men­schen und ihren All­tag, auf die ihm unbe­kann­ten sozia­len und phan­tas­ti­schen Räume, die sei­nen Gedich­ten ihren Reiz ver­lei­hen. Und es ist sein lyri­sches Credo, das sich die Form der Gedichte sucht, die nicht sel­ten etwas zwi­schen Blues, Jazz und Tom Waits Chan­gie­ren­des haben. Die Gedichte kön­nen knapp sein wie Der Taxist hält, Die Refle­xion der Sonne und Im Taxi nach Tash­kent  oder sie kön­nen weit aus­schwin­gen, an Pau­lus Böh­mer erin­nernd und die­sem auch gewid­met wie das Jour­nal aus Bish­kek, in dem Moritz Gause seine Poe­tik ent­fal­tet. Hier gelingt ihm der Sprung aus der All­tags­er­fah­rung in die Mär­chen und Mythen des Lan­des, hier öff­net sich der Dich­ter im wahrs­ten Sinne des Wor­tes, und die uralten kir­gi­si­schen Wei­sen wer­den ihm zum »gro­ßen Gesang«.

Doch bleibt der »große Gesang« die Aus­nahme in den sechs Kurz-Zyklen, die der Gedicht­band ent­hält. Die Zyklen hei­ßen: »In der Ebene zwi­schen den Ber­gen«, »Alte Liebe«, »Zwi­schen den Fahr­ten«, »Wald­ster­ben«, »Medi­ta­tio­nen hin­term Super­markt«  und »In der Ebene zwi­schen den Ver­sen«. Der erste und der letzte Zyklus deu­ten es an: Hier wird eine Ring­struk­tur oder musi­ka­lisch gespro­chen ein Rondo kom­po­niert. Doch was zwi­schen den Ber­gen, zwi­schen den Fahr­ten und zwi­schen den Ver­sen geschieht, darin liegt die poe­ti­sche Welt Moritz Gau­ses beschlos­sen. Auch wenn wir uns am Bahn­hof Wann­see, im Bahn­hofs­vier­tel Mosel­eck, in Uhl­städt, Oppurg oder an der Wie­ner Mari­en­brü­cke befin­den, schaut der Lyri­ker, den die Kamele sehn­süch­tig machen, mit selt­sam öst­li­chem Blick auf die deut­schen Orte. Dann liegt der Bahn­hof Wann­see plötz­lich in der kir­gi­si­schen Steppe, und die Limou­si­nen wer­den so stark beschleu­nigt, dass wir die Pneus bis an die Elbe sau­sen hören. Ja, und um die Pro­vi­ni­enz des Sei­fen­stücks im Abfluss­sieb des Her­ren-WC im Bahn­hofs­vier­tel Mosel­eck weiß nur Gott allein.

In den Gedich­ten Bella Ita­lia, Bish­kek, Als der Voll­mond, Jour­nal aus Bish­kek, Die Kamele machen mich sehn­süch­tig und An den stei­len Ufern der Assá leuch­ten die Land­schaft Kyr­gyzstans, ihre Bewoh­ner und ihre Kul­tur, in ein­drucks­vol­len Bil­dern, Gesän­gen und Rhyth­men auf. Sie sind Lie­bes­er­klä­run­gen des Lyri­kers Moritz Gause an ein uns fer­nes Land. Als Leser folgt man ihm gern, und die Älte­ren wer­den sich fra­gen: Woher kenne ich diese Bil­der und Wort­klänge? Sie erin­nern ein wenig an die frü­hen Erzäh­lun­gen von Tschin­gis Ait­ma­tow, an Dja­mila und Abschied von Gülsari.

Das Ein­ma­lige an Moritz Gau­ses Debüt­band ist, wie er Men­schen, Land­schaf­ten und Bege­ben­hei­ten ins lyri­sche Bild setzt, wie dar­aus Lang-und Kurz­ge­dichte oder lite­ra­ri­sche Split­ter ent­ste­hen. In den Gedich­ten begeg­nen wir einem Lyri­ker, der den Men­schen in Kyr­gyzstan auf Augen­höhe begeg­net. Seine »Rei­se­bil­der« prä­sen­tiert er der Leser­schaft mit einer sel­ten zu fin­den­den natür­li­chen Gelassenheit.

Bis­wei­len regen ihn sogar absurde Situa­tio­nen, wie die Begeg­nung mit einem Kron­kor­ken­ge­spenst im Kur­ort Ejsk zu phan­tas­ti­schen Ver­sen an. In die­sem Chris­tian Wöl­le­cke gewid­me­ten Gedicht heißt es über einen Matro­sen der Bal­ti­schen Flotte.

Und plötz­lich saß er auf den Papirossi
gera­de­mal serviettengroß
die Mütze fesch, schräg aufgesetzt
und Bel­o­mor stak ihm im Mund.

Er sagte, dass er Vasya heiße
und er habe lang gedient
doch mehr noch habe er getrunken
und geraucht von Belomor.

Auch in die­sem klei­nen Gedicht scheint der öst­li­che Blick auf, und wer weiß: Vasya kann uns über­all begeg­nen: am Bahn­hof Wann­see, an der Wie­ner Mari­en­brü­cke oder am Bahn­hof Mexi­ko­platz. Die ein­zige Bedin­gung ist, dass Moritz Gause uns von ihm erzählt. »Medi­ta­tio­nen hin­term Super­markt« sind ein star­ker Lyrik-Debüt-Band und ein Ver­spre­chen auf Künftiges.

  • Moritz Gause: Medi­ta­tio­nen hin­term Super­markt. Gedichte, edi­tion Azur, Dres­den 2018.
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