Michelle Marly – »Die Villa in Weimar«

Personen

Dietmar Jacobsen

Marie Seebach

Ort

Weimar

Thema

Gelesen & Wiedergelesen

Autor

Dietmar Jacobsen

Alle Rechte beim Autor. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors. Erstdruck in: Palmbaum, Heft 2/2025.

Diet­mar Jacobsen

Noch eine Lotte in Weimar
 

In einer von Groß­her­zog Carl Alex­an­der und sei­ner Gat­tin Sophie kos­ten­los zur Ver­fü­gung gestell­ten Villa in der Tie­fur­ter Allee 9 wurde am 2. Okto­ber 1895 das Grün­dungs­haus der Marie-See­bach-Stif­tung ein­ge­weiht. Die bis heute ein­zig­ar­tige Ein­rich­tung für alternde Künst­ler star­tete mit Goe­the-Wor­ten (»ein herz­lich Aner­ken­nen ist des Alters zweite Jugend«) in eine Zukunft, von der die Stif­te­rin Marie See­bach, die ein nicht unbe­trächt­li­ches Ver­mö­gen in das Unter­neh­men ein­ge­bracht hatte, hoffte, dass sie lange wäh­ren würde. Allein die ers­ten Tur­bu­len­zen datie­ren noch in die kurze Lebens­zeit, die der berühm­ten Schau­spie­le­rin bis zu ihrem Tod im Alter von 63 Jah­ren am 3. August 1897 verblieb.

Hier knüpft auf ebenso freie wie unter­halt­same Weise der neue Roman der Best­sel­ler­au­torin Michelle Marly – hin­ter der sich Micaela Jary, die Toch­ter des Kom­po­nis­ten Michael Jary ver­birgt – an. Sie habe von Marie See­bach vor ihrer Recher­che nichts gewusst, bekennt  die Autorin frei­mü­tig in ihrem kur­zen Nach­wort, zeigt sich frei­lich beein­druckt von dem »Welt­star […], vor dem sich Kai­ser und Könige ver­neig­ten« und stellt die See­bach auf eine Stufe mit der legen­dä­ren Sarah Bern­hardt, auch wenn ihr Name heute nicht mehr den­sel­ben Glanz aus­strahle wie jener ihrer fran­zö­si­schen Bühnenkollegin.

Die Villa in Wei­mar beginnt mit drei Brie­fen, in denen ein anony­mer Ver­eh­rer der im schwei­ze­ri­schen Sankt Moritz kuren­den Marie See­bach im Mai ihres Todes­jah­res von Unre­gel­mä­ßig­kei­ten rund um das von ihr gestif­tete Heim berich­tet. Sowohl das Haus­meis­ter­ehe­paar Schil­ling als auch einige der Gäste der Villa wür­den dafür sor­gen, dass der Ruf des Eta­blis­se­ments in der Wei­ma­rer Öffent­lich­keit all­mäh­lich in Mit­lei­den­schaft gezo­gen werde. Vor allem weil sie ihrer zwei Jahre jün­ge­ren Schwes­ter Wil­hel­mine nicht zutraut, mit der pre­kä­ren Situa­tion fer­tig zu wer­den, schickt Marie See­bach dar­auf­hin die 25-jäh­rige Kran­ken­schwes­ter Lotte Wer­nitz aus Sankt Moritz nach Wei­mar, um sich vor Ort ein Bild von den Zustän­den im Stift zu machen. Wer­nitz hat die gele­gent­lich etwas anstren­gende alte Dame in ihrem Schwei­zer Domi­zil betreut, stammt eigent­lich aus dem Preu­ßi­schen und geht ihre neue Auf­gabe, nach­dem sie das anfäng­li­che Wider­stre­ben über­wun­den hat, reso­lut an.

Mar­lys sich aus die­ser erzäh­le­ri­schen Grund­si­tua­tion her­aus ent­wi­ckelnde Geschichte ver­knüpft geschickt His­to­ri­sches mit Erfun­de­nem, besitzt Züge sowohl eines Gesell­schafts- als auch eines Detek­tiv­ro­mans und prä­sen­tiert in ihrem Zen­trum eine tat­kräf­tige und nicht auf den Mund gefal­lene junge Frau, die der ihr über­tra­ge­nen Auf­gabe, inco­gnito nach dem Rech­ten zu sehen, mehr als gewach­sen scheint. Dass ihr von Beginn ihres Aben­teu­ers an der junge Rechts­an­walt Bern­hard Gas­pari zur Seite steht, erleich­tert nicht nur Lot­tes Ein­le­ben in der Klas­si­ker­stadt, son­dern sorgt auch für einige Ner­vo­si­tät unter jenen jun­gen Damen der bes­se­ren Wei­ma­rer Gesell­schaft, die sich in Zukunft bereits an der Seite des auf­stre­ben­den Beam­ten sahen. Und weil die sechs Insas­sen des Alten­heims die ebenso flei­ßige wie um das Wohl aller besorgte junge Frau schnell zu schät­zen ler­nen, emp­fin­det Lotte die Fremde schon nach kur­zer Zeit als eine zweite Heimat.

Mit viel Humor schafft es die Autorin, die Marot­ten und Schrul­lig­kei­ten der einst auf den Büh­nen der Welt ihren wohl­ver­dien­ten Applaus ent­ge­gen­neh­men­den Thea­ter- und Opern­stars, ihre klei­nen Kaba­len, Eifer­süch­te­leien und Kon­kur­renz­kämpfe leben­dig wer­den zu las­sen. Und ihr Roman ver­weist nicht zuletzt auf die pre­kä­ren Lebens­ver­hält­nisse von Män­nern und Frauen, die vor nicht allzu lan­ger Zeit noch umju­belt im Ram­pen­licht stan­den und jetzt, nach ihrem Büh­nen­ab­schied, plötz­lich auf die Wohl­tä­tig­keit ande­rer ange­wie­sen sind, wol­len sie ihre letz­ten Lebens­jahre in Würde ver­brin­gen und vor Armen­spi­tal und Gemein­de­grab geschützt sein.

Alles in allem ist Die Villa in Wei­mar ein gut les­ba­rer Unter­hal­tungs­ro­man, dem es gelingt, seine Lese­rin­nen und Leser mit­zu­neh­men in eine Zeit und zu einer Per­sön­lich­keit, die Michelle Marly mit erzäh­le­ri­schem Charme und eini­gem Witz dem Ver­ges­sen entreißt.

  • Michelle Marly: Die Villa in Wei­mar. Roman. Ham­burg: Har­per­Col­lins 2025, 304 Sei­ten, 17 Euro.
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