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Ulrich Kaufmann
Alle Rechte beim Autor. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors. Erstdruck in: Palmbaum 1/2023.
Ulrich Kaufmann
Der Wortarbeiter
In seinem Online-Tagebuch spricht Biskupek immer wieder vom »TLQ«, dem »Thüringer Literaturquintett«, zu dem er mit dem gleichfalls verstorbenen Hans-Jürgen Döring gehörte. Ihre Lesehonorare gingen als Spende an soziale Brennpunkte. Biskupeks Diarium wurde nun von seinen Freunden und Mitstreitern, dem verbliebenen Terzett Frank Quilitzsch, Martin Straub und Landolf Scherzer, herausgegeben. So stehen zu Beginn des Buches drei Vorworte. Abgerundet wird die Edition durch den ergreifenden Nachruf Steffen Menschings, des Intendanten des Rudolstädter Theaters, an dem Biskupek lange gearbeitet hatte.
Ein Tagebuch ist in der Regel nichts Öffentliches, eher etwas Privates, das mitunter für die Nachwelt von Interesse sein kann. Biskupek nutzt seinen Blog, der ganz Privates ausklammert, um direkt zum Leser zu sprechen. Mancher Biskupek-Verehrer, der etliche seiner zahlreichen Bücher gelesen hat oder sich an den Sound des Palmbaum-Autors erinnert, wird Teile der neuen Publikation vielleicht kennen. Aus 3000 Eintragungen haben die drei Lektoren eine Auswahl getroffen.
Ein Teil der Auflage ist für Thüringer Schulen vorgesehen – gratis. Der Autor war ein politischer Kopf, ein scharfer Beobachter der Zeitgeschichte und Gegenwart vor bzw. nach dem Umbruch von 1989. Vor allem hatte er verschiedene Medien im Visier. Ihn interessierte, wie Einheimische mit Migranten umgehen, wie sie sich zu jüdischen Mitbürgern und ihrer Kultur verhalten. Ohne DDR-Nostalgiker gewesen zu sein, entgeht dem Tagebuchschreiber nichts, was Ostdeutsche herabsetzt. Vor allem können junge Leser bei dem Wortarbeiter und Satiriker lernen, wie er Übertreibungen in der Gendersprache und Reglementierungen für politisch »korrektes« Sprechen auf die Schippe nimmt. Was, fragt Biskupek, passiert mit unserer Sprache, wenn sie täglich mit vermeidbaren Anglizismen überhäuft wird: »Die deutsche Sprache schöpft gerade in letzter Zeit wunderbare deutsche Begriffe, vom Homeoffice bis chillen. Leider nutzen manche Menschen immer noch ein unverständliches Kauderwelsch.« (S. 282) Keine Gnade kennt der Schriftsteller bei sprachlichen Entgleisungen der AfD, die er auf Straßen und in Medien wahrnimmt. Unbedingt hätte man interessierten Schülern und jungen Lehrern, sage ich als alter Pauker, Anmerkungen anbieten müssen.
Zu großen Teilen besteht das lesenswerte Buch des Literaten aus Notaten für Literaten, für Literaturund Kunstfreunde. Erschrocken war Biskupek selbst, als er bemerkte, wie viele Nekrologe sich in seinen Blog »eingeschlichen« hatten. Auslöser für seine morgendlichen Eintragungen waren verschiedene Kalender, Informationen aus dem Netz sowie immer wieder Texte aus der Tagespresse. Das Buch nutzt dabei eine ganze Palette literarischer Möglichkeiten: Schriftstellerporträts, Szenen, Briefe, Träume, Witze, Reiseprosa, Wortsammlungen, Alltagsschilderungen, gar ein Kloßrezept und immer wieder unterhaltsame Lyrikparodien (etwa zu Goethe und Mörike), durch die er die alten Texte und Formen in die Gegenwart holt.
Biskupek war ein unermüdlicher Rezensent mit einem sicheren, mitunter scharfen Urteil. Über gut gemachte Bücher, wie beispielweise die 15 Jahre alte »Edition Ornament« aus dem Jenaer quartus Verlag konnte er sich (im Eintrag vom 20. Dezember 2020) freuen.
In Chemnitz, dem vormaligen Karl-Marx-Stadt, wurde der »Quotensachse« Biskupek geboren, in Mittweida wuchs er auf. Seit den siebziger Jahren war das thüringische Rudolstadt seine Wahlheimat. Zum Biskupek-Sound gehört, dass er in seinen Texten fast durchgehend Mundartliches aus dem Sächsischen & Thüringischen aufnimmt. Dem Volk wollte er so genau wie möglich aufs Maul schauen. Auch hat der Autor, der sich namentlich in slawischen Sprachen auskannte und einen Namen slawischen Ursprungs trug, ein immer wieder durchscheinendes Interesse an der Geschichte von Wörtern.
Oft kommt Biskupek auf Selbsterlebtes zu sprechen, so auch auf Lebensabschnitte, die er im Krankenhaus oder in der Nationalen Volksarmee – während seines »Ehrendienstes« – zubringen musste. »… die Genossen Soldaten sollten sich zu irgendetwas verpflichten. Ein Kamerad schrieb: Ich verpflichte mich, die Kampfkraft der NVA um 7,33 % zu erhöhen. Armeen sind immer humorlos; die NVA war es in besonderem Maße. Der Kampfkrafterhöher bekam zwei Tage Bau.« (S. 281)
Durch wunderbare Fotografien in Schwarz-Weiß wird jedes Jahr des Diariums »eingeläutet«. Fast alle Fotos – das vorzügliche Coverportät eingeschlossen – sind von Sigrid Biskupek, der Ehefrau des Autors. Immer wieder sieht uns der schelmisch lachende Autor an. Die letzten Bildnisse zeigen, wie der Schriftsteller von der Krebserkrankung aufgezehrt wurde. Die Beigabe der Bildnisse ist eine gute Gestaltungsidee. Die an den Rand gedrückten Seitenzahlen indessen wirken befremdlich.
Der Schreiber dieser Zeilen hat 1984 Meldestelle für Bedenken, Biskupeks Debüt, rezensiert. Für den Palmbaum durfte er sein letztes Buch Das literarische Rudolstadt besprechen. In seiner Widmung nennt Biskupek mich einen »Kenner der Weltliteratur«. Schon diese Bemerkung zeigt den geborenen Satiriker, den herzensguten Spötter Matthias Biskupek. Sein »Witz«, sagte Freund Mensching am Grabe, »reichte bis auf die letzten Meter.«
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