Matthias Biskupek – »Der schönste Platz ist an der Theke oder Die einsame Geselligkeit«

Person

Matthias Biskupek

Ort

Rudolstadt

Thema

Dichters Wort an Dichters Ort

Autor

Matthias Biskupek

Reihe »Dichters Wort an Dichters Ort« / Thüringer Literaturrat e.V.

Unter den Dich­tern, die was wer­den woll­ten, ging ein Gerücht um: Der Horst Bas­tian kann seine Texte aus­wen­dig und schreibt in einem Café. Bas­tian, ein heute wenig bekann­ter Autor, hatte mit »Die Moral der Ban­di­ten« in den Sech­zi­gern einen Auf­la­gen­er­folg. Auch Rudi Strahl soll in einem Cafe geschrie­ben haben; Strahl war erfolg­rei­cher Lustspieldichter.

Es war damals eine lap­top­lose Zeit, in der Men­schen ohne ita­lie­ni­sche Kaf­fee­ma­schi­nen leb­ten. Man schrieb von Hand oder klap­perte mit einer Schreib­ma­schine; es war nicht üblich, dies öffent­lich zu tun.

Doch wer im Staat DDR auf­wuchs und sich zur Kunst hin­ge­zo­gen fühlte, wusste wohl, dass frü­her im Roma­ni­schen Cafe zu Ber­lin Dich­ter und ihre Lehr­linge sich tra­fen. Meine Eulen­spie­gel-Kol­le­gin Renate Hol­land-Moritz erzählte mir, dass jenes Cafe einst das »Werk II« ihres kom­mu­nis­tisch gesinn­ten Vaters war. Ihre Lust am Klatsch mochte von daher rüh­ren. Sie selbst trai­nierte diese Lust im Ber­li­ner Nuschke-Klub. Zu der­lei Klubs später.

Ein beflis­se­ner Schrift­stel­ler­lehr­ling aus der ver­schwun­de­nen klei­nen Repu­blik wusste in den Sech­zi­gern und Sieb­zi­gern des vori­gen Jahr­hun­derts viel­leicht auch, dass Wien ein Cafe­h­aus­do­rado war: Alfred Pol­gar und Anton Kuh, Egon Frie­dell und Joseph Roth, Arthur Schnitz­ler und Karl Kraus. Jeder Name duf­tete nach Kaf­fee und roch alko­ho­lisch. Oder das Wort »Paris«. Es rief Asso­zia­tio­nen her­vor: der skur­rile Autor in der Ecke beim Absinth, schrei­ende Leserun­den, Skan­dale, Sur­rea­lis­mus, Avant­garde, Exil … Doch eine erwünschte Welt­an­schau­ung for­derte, sich die Welt nim­mer anzu­schauen. Und damals gegen­wär­tige Bas­tian-Strahl-Geschich­ten kannte man meist nur vom Hörensagen.

Denn das Gast­stät­ten­we­sen in der DDR war wenig ent­wi­ckelt, wenn auch dif­fe­ren­ziert. Es gab, gemes­sen an heute, erstaun­lich viele Dorf­knei­pen und es gab Stamm­knei­pen mit Stamm­plät­zen. Und es exis­tier­ten soge­nannte I‑Klubs, wie jener bei Hol­land-Moritz eine große Rolle spie­len­der Ber­li­ner Nuschke-Klub; Intel­li­genz-Klubs, die spä­ter lan­des­weit »Klub des Kul­tur­bun­des« hießen.

Einen sol­chen gab es in Mag­de­burg in der Hegel­straße, ers­ter Ort, den ich ken­nen­lernte, in dem sich Schrift­stel­ler tra­fen. Am bes­ten, man ging mit einem bekann­ten Mit­glied des Schrift­stel­ler­ver­ban­des dort­hin; die Gefahr eines sofor­ti­gen Raus­schmis­ses (»Alles reser­viert!!«) war dadurch gebannt.

War Mag­de­burg ver­gleichs­weise wüst und groß, war in der Thü­rin­ger Pro­vinz, die ich mir spä­ter erobern musste, alles nied­lich und klein. Der Rudol­städ­ter I‑Klub: eine edel getä­felte Kneipe in der Pusch­kin-Straße. Dort fan­den gele­gent­lich Lesun­gen statt, spe­zi­ell des orts­an­säs­si­gen Grei­fen­ver­la­ges. Ein wach­sa­mes Auge dar­auf hatte die Kon­takt­per­son »Irene«, die im angren­zen­den Kul­tur­bund-Büro ihrer Ämter waltete.

Um ange­hende Schrift­stel­ler in mei­ner Wahl­hei­mat Thü­rin­gen zu tref­fen, fuhr ich zwi­schen 1973 und 1975 lie­ber nach Jena. Im rie­si­gen Kul­tur­haus zu Neu­lo­beda gab es karge Räume, in denen man wöchent­lich, ich denke, es war immer mon­tags, lite­ra­risch plau­derte, sprich: ein­an­der vor­las, kri­ti­sierte, die Ohren spitzte oder auch spit­zelte. Der rüh­rige Lutz Rathe­now ver­suchte, lite­ra­ri­sches Leben in die Platte zu brin­gen, gewal­tige Wol­ken, die sich um den viele Jahre spä­ter auf­ge­deck­ten »OV Pega­sus« bil­de­ten, schla­gen sich bis heute in den Schrif­ten der Wah­ren und Ein­zi­gen Auf-Arbei­ter nieder.

Ganz offi­zi­ell tra­fen sich die im Geraer Bezirks­ver­band ein­ge­schrie­be­nen Schrift­stel­ler in der Rudol­städ­ter Lud­wigs­burg. Eine rosa­far­ben getünchte Kul­tur­aka­de­mie, die Künst­ler­ver­bän­den Obdach, Speis und Trank bot. Dort gab es auch Kri­ti­ker­se­mi­nare der Uni­ver­si­tät Jena, alles hoch­of­fi­zi­ell, abge­si­chert, finan­ziert, auf DDR-typi­sche Weise »durch­ge­stellt«. Weit ent­fernt etwa von jenen Stamm­tisch­run­den, in denen der lokale Rudol­städ­ter Mund­art­dich­ter Anton Som­mer die Resi­denz­stadtho­no­ra­tio­ren im 19. Jahr­hun­dert unterhielt.

Einige Thü­rin­ger Autoren tra­fen sich, als die Knei­pen­preise teu­rer und das wohl­feile Wort bil­li­ger gewor­den waren, bei einem Wei­ma­rer Stamm­tisch. Nach ver­schie­de­nen Ver­su­chen bis in die Neun­zi­ger hin­ein, wurde er dank der aus Ber­lin zuge­zo­ge­nen Gisela Kraft ab 1997 zur fes­ten Ein­rich­tung: Gisela ver­schickte Ein­la­dun­gen – nach Abspra­che mit Wulf Kirs­ten, die beide sich um Ein­heit und Rein­heit ver­dient mach­ten. Es gehör­ten auch eine Opern­sän­ge­rin, ein Kom­po­nist, ein Bild­hauer zu die­ser Monats­runde mit fes­tem Pro­gramm: Einer gab zunächst etwas aus sei­ner Arbeit zum Bes­ten, ein ande­rer lie­ferte das kurze Des­sert, jeder berich­tete, woran er gerade schaffte und schuf­tete. Der Ort war eine asia­ti­sche Gast­stätte im Kirms-Krac­kow-Haus, man tagte auch mal im Ver­eins­zim­mer des Cafe »Resi« oder an Orten, die jetzt INDIA oder »Club Havanna« hei­ßen; wir wech­sel­ten spä­ter ins »Sie­chen­bräu«, vor dem sich das stei­nerne Objekt von Wal­ter Sachs, eines unse­rer Stamm­tisch­brü­der, fläzte. Von den Wort-Mäch­ti­gen kamen neben den Grün­dern regel­mä­ßig Mar­tin Straub und Lothar Ehr­lich, Marie-Eli­sa­beth Lüdde und Chris­toph Schmitz-Schole­mann, Wolf­gang Haak und gele­gent­lich Nancy Hün­ger oder Jens-Fietje Dwars, sehr sel­ten Frank Qui­litzsch oder Lan­dolf Scherzer.

Inzwi­schen gibt es in Erfurt, im »Wein­stein Le Bar« einen Stamm­tisch, denen Ingrid und Ulf Annel, Olaf Trunschke und wei­tere Erfur­ter Lite­ra­ten vor­sit­zen – wobei Erfurt auch mal bis Stadt­ilm, Rudol­stadt oder gar Lie­ben­grün reicht.

Zum ein­sa­men Schrei­ben waren und sind all diese Orte wenig geeig­net, obwohl das elek­tro­ni­sche Brett vorm Kopf dies vor­täuscht. Zu Lite­ra­ten-Stamm­häu­sern wer­den Restau­ra­ti­ons­be­triebe mit ihrem ita­lie­nisch-indisch-gut­bür­ger­li­chen Tapas-Ange­bot wohl nie. Doch wer mit sei­nem Ort eini­ger­ma­ßen im Rei­nen ist, fin­det seine Stammkneipe.

Zu mei­ner muss ich nur über die Straße, das »Kie­dorf« in der Rudol­städ­ter Schil­ler­straße ist ein Vier­tel­jahr­hun­dert alt. Gegrün­det zum Folk­fest unter dem Namen »bogart«, beher­bergte es einst ein Kla­vier. Man nennt es auch Pub, also »dor Babb«. Seit gut zehn Jah­ren steht »Der Böse Wirt« hin­ter der Theke, nie­mals böse, aber Gäste gele­gent­lich zurecht­wei­send, was bei denen als Anschnau­zen ankommt.

Ein ande­rer laut­star­ker Zurecht­wei­ser schlug eines Tages beim Wirt auf, der Mit­schöp­fer von »Rococo en minia­ture«, jener Minia­tur-Welt einer »Geprie­se­nen Insel« oben auf der Hei­decks­burg. Die­ser Man­fred Kie­dorf, einst auch Dige­dag-Zeich­ner, kra­keelte, wurde raus­ge­schmis­sen, kam wie­der, hielt Gäste frei, und schickte dem Wirt schließ­lich fast täg­lich aus Ber­lin Briefe mit gezeich­ne­ten Wit­zen, Sprü­chen und Poli­tik-Beob­ach­tun­gen der fein­sin­nig-schwarz­hu­mo­ri­gen Art. Der Wirt rahmte die Kar­ten. Alle Wände, selbst die Decke wur­den nach und nach damit bestückt – der Name »Kie­dorf« war fällig.

Der Namens­ge­ber starb am 1. Januar 2015. Wenn die Kneipe geöff­net hat – Betrieb ist sel­ten vor zehn Uhr abends – ist des Meis­ters Bild von Lich­tern und Rose gerahmt. Und was an Theke und Tischen erzählt wird, ist nim­mer ernst zu neh­men, meint Mat­thias Biskupek.

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