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Martin Straub
Erstdruck: Palmbaum 1-2017 / Thüringer Literaturrat e.V. / Die Reihe »Gelesen & Wiedergelesen« entstand mit freundlicher Unterstützung der Thüringer Staatskanzlei.
Gelesen von Martin Straub
Ein Lyriker mit Zivilcourage
Als der 1993 aus Rumänien eingewanderte OTZ Redakteur Marius Koity und ich vor Jahren das erste Mal auf Burg Ranis miteinander sprachen, war ich überrascht. Wir unterhielten uns über die Sprachkraft rumänien-deutscher Dichter und kamen auf Horst Samson zu sprechen. »Das war mein Mentor«. Fragendes Schweigen meinerseits. Und zögerlich sagte Koity: »Ich schreibe auch Gedichte«. Wenige Zeit später hatte ich einige Manuskriptblätter und Veröffentlichungen aus der in Bukarest erscheinenden Zeitschrift »Neue Literatur« in den Händen. Es folgte eine Lesung auf Burg Ranis. Der Raum war voll besetzt. Man war neugierig. Denn bis dahin wusste wohl so gut wie keiner, dass der 1966 in Großsanktnikolaus geborene Redakteur Gedichte schreibt. 2011 veröffentlichte er in dem Band »Mehrfachbelichtung. Rumänische Erkundungen« des Lese-Zeichen e.V. Tagebuchblätter und Gedichte. 2016 erschien unter der Herausgeberschaft von Horst Samson sein Debüt-Band beim POP Verlag Ludwigsburg, verbunden mit dem Lyrik-Debüt-Preis des Verlages. Übrigens erhielt Koity im vorigem Jahr auch den Journalisten-Preis des Landes Thüringen. Beides hat durchaus miteinander zu tun. Marius Koity ist ein Mann mit Zivilcourage. Als Journalist nimmt er sich kein Blatt vor den Mund, wenn er Fremdenfeindlichkeit und Borniertheit geißelt. Liest man seinen sprachkräftigen Lyrikband, der einen Querschnitt seines 30 jährigen Schaffens gibt, fällt eines ins Auge: er ist in der Ceausescu-Diktatur nicht zu Kreuze gekrochen. Seine Verse sind knapp, oft sind es gedrängte, stockende Einwortsätze, Zeilenbrüche markieren eine innere Erregung. Er liebt keine angestrengten Metaphern. Seine Sprache ist direkt. Charakteristisch dafür, das vor 30 Jahren erschienene Eingangsgedicht des Bandes: »verwurzelt / die qual / plötzlich im / herbst hält / der baum / seine blätter zurück / die geballte faust / die glocke schreit« . Der Alltag unter der Diktatur mit seinen existenziellen Bedrohungen ist ein wichtiges Thema des Bandes. Koity begegnet ihm oft mit bitterer Ironie. »Die üblichen Mailieder / aus dem Rundfunk, / das Blöken der Schafe, / das Gackern der Hühner ums Haus / ergänzen das Treiben / um den dampfenden Suppenkessel. / Einer schwingt den großen Kochlöffel«.
So bedrängend das Leben unter diesen Umständen auch war, spricht mancher Vers, der nach Koitys Übersiedlung entstanden ist ‚von der Sehnsucht nach der Lebenslandschaft, in der er seine Wurzeln hat. Das literarische Feld muss neu bestellt werden. Nun tun sich neue Reibungsflächen auf. «Meine Wahrheit / deine Wahrheit / alles eingeklemmt / in Glaubenssuche / Begriffe werden / fahnenflüchtig // Wann kommt /der nächste Bus?/ Die Hoffnung / wie ein Griff / Die Tür zur Straße / aber brennt«.
Aber da gibt es auch andere Töne. Die letzten Gedichte des Bandes, sie sind erst diesen Sommer entstanden, sprechen davon, Marius Koity ist auch als Lyriker in der neuen Wirklichkeit angekommen, wenngleich in ihm die Erinnerungen immer wieder Raum greifen.
Koity ist kein Mann von Sentimentalitäten. Der Querschnitt durch dreißig Schaffensjahre beherbergt Liebesgedichte , die von einer offenen Sinnlichkeit leben, wie in dem »Derben Liebesgedicht« oder in »Vorletzter Zungenkuss«. »Ungeschützt in dem / was nicht zu erzählen ist / stürzen wir vor die Elsbeere / Wie Raubtiere / erobern wir die Unschärfe / geben uns hin / der Erlösungsbedürftigkeit«, heißt es da. Aber dann wieder ganz verhalten und zart in dem »Liebes Gedicht. Für die Mutter«. »Furchen / streicheln / dein Gesicht / Lese /Zeichen«.
Wie in diesem Gedicht liegt Koitys Stärke, in einer äußersten Verknappung. Besonders reizvoll ist ein aus sechs Gedichten bestehender Zyklus »Tragik eines beliebigen Tages«, der durch die Sammlung gestreut ist. Es sind Drei- oder Vierzeiler, in denen Momentaufnahmen durch jähe Gedankensplitter ihre Vertiefung erfahren. Diese »Gunst des Augenblicks«, von dem der berühmte Altvordere Schiller spricht, geben den Versen die Würze. So heißt es in »Rendevous. Tragik eines beliebigen Tages IV«: »Versuch deine Blöße / auch ohne den Abend zu bedecken / Raub ihr das Schweigen / Hüll dich in es ein«.
Der Band wird mit Aufzeichnungen aus den alten Tagebüchern zwischen 1982 und 1992 abgeschlossen und mit dem Abdruck von jenen »verdächtigen Gedichten«, die Koity schließlich in die Verhörzimmer der Securitate gebracht haben. Es sind ehrliche Notizen, die von Mut, Angst und Verzweiflung sprechen und immer wieder von dem Willen, sich unter dem »gnadenlosen Psychodruck« treu zu bleiben. Es sind wohl vor allem auch jene bitteren Erfahrungen, die Koity heute zu dem gemacht haben, was an ihm so schätzenswert ist, einen Journalisten und Lyriker mit Zivilcourage.
Bebildert ist Koitys Debüt mit Arbeiten von Dieter Beck.
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