Lutz Rathenow – »Trotzig lächeln und das Weltall streicheln«

Personen

Lutz Rathenow

Jens-Fietje Dwars

Ort

Jena

Thema

Gelesen & Wiedergelesen

Autor

Jens-F. Dwars

Alle Rechte beim Autor. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors. Erstdruck in: Palmbaum 1/2023.

Jens‑F. Dwars

Skur­rile Bilanz

 

Lutz Rathe­now wurde im ver­gan­ge­nen Herbst 70 und hat sich selbst mit einem Buch beschenkt, das laut Unter­ti­tel sein Leben in Geschich­ten erzählt. Wäh­rend Mat­thias Bis­ku­pek in sei­nem Rent­ner­lehr­ling tat­säch­lich jedes sei­ner Lebens­jahre in eine mehr oder min­der gleich­nis­hafte Story ver­packt hat, wird hier eine Aus­wahl der Rathe­now-Prosa aus 50 Jah­ren geboten.

Aus­ge­wählt hat sie Marko Mar­tin, ein Publi­zist, den man nicht ken­nen muss. Lesen Sie sein Nach­wort nicht. Er macht aus Rathe­now einen Super­man der DDR-Oppo­si­tion, der sich als »Sie­ger der Geschichte« fühlen dürfe, weil er der Stasi immer ein paar Schritte vor­aus war, die (des­halb?) 15.000 Sei­ten über ihn schrieb, der „so viel Scha­den wie mög­lich anrich­ten“ wollte und sich weder in der »Attitüde des ›auf­rech­ten Gangs‹« gefiel, noch in »Hei­ner Müllerschen Geschichtsprojektionen«.

Der Gott der Schreib­fe­dern bewahre jeden ernst­zu­neh­men­den Autor vor sol­chen Lod­red­nern, die gar nicht auf die Idee kom­men, nach der lite­ra­ri­schen Qua­li­tät ihres Hel­den zu fra­gen und sie an lite­ra­ri­sche Kri­te­rien zu binden.

Rathe­nows Texte sind bes­ser als diese Ver­ein­nah­mung für poli­ti­schen Dünnschiss. Sie zei­gen ihn als gebo­re­nen Anar­chis­ten, des­sen beste Texte anti-poli­tisch sind. Poli­tik ver­langt immer Unter­ord­nung des Den­kens unter eherne Grund­sätze. Der Anar­chist aber liebt den Wider­spruch, auch und vor allem sich selbst gegenüber. Er will nicht recht haben, son­dern »dem Gefäng­nis des Gewohn­ten« ent­kom­men. Er liebt den Ärger mehr als das Ein­ver­stän­nis, Neu­gier und Phan­ta­sie mehr als Ver­nunft. Er glaubt »an die Rea­li­tät der Absurdität«.

Er steckt vol­ler Ein­fälle, je absur­der, desto bes­ser. Aber er folgt auch jedem Ein­fall. Das strenge Durch­ar­bei­ten eines Tex­tes ist seine Sache nicht. Die bes­ten Texte des vor­lie­gen­den Buches sind daher seine kürzesten: Etwa die vom Herr­scher (S. 55), der Per­so­nen­kult hasst, aber sei­nen Hund anbe­ten lässt. Am Fei­er­tag (S. 77) nimmt das Volk die Parade der Regie­ren­den ab, es nickt wohl­wol­lend, auch zur Gedan­ken­po­li­zei. Der Eis­bär von Apolda (S. 120) freut sich, dort zu lan­den, wo er schon immer lebt. Und Num­mer 3048 (S. 198) lau­tet ein Ange­bot für eine Robin­son-Insel, inklu­sive Über­fall. Lako­nisch zuge­spitzte Gleich­nisse, schöne Para­beln des absur­den Hier und Heute.

 

  • Lutz Rathe­now: Trot­zig lächeln und das Welt­all strei­cheln. Mein Leben in Geschich­ten, 272 Sei­ten, geb., kanon Ver­lag, Ber­lin 2022, 24,00 €.
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