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Jens Kirsten
Thüringer Literaturrat e.V.
Draußen hämmern unablässig Bohrmaschinen, drinnen im Spiegelsaal der Forschungsbibliothek Gotha ein Kolloquium zum 100. Geburtstag des Dichters und Schriftstellers Hanns Cibulka, der am 20. September vor 100 Jahren in Jägerndorf (heute Krnov, Tschechien) geboren wurde. Professor Jan Röhnert von der TU Braunschweig hat das Kolloquium gemeinsam mit dem Germanisten Dr. Stephan Pabst, der an der Martin-Luther-Universität Halle lehrt, organisiert und Wissenschaftler aus Berlin, Oldenburg, Kiel, Jena und Gotha eingeladen.
Unter dem Titel »Landschaften dies- und jenseits der Zeit« stellten sie ihre Forschungen vor, die sich mit Cibulkas Tagebuchprosa, insbesondere seinen Beziehungen zu Italien beschäftigen, seine Bezüge zur Tradition des Nature Writing (Dr. Peter Braun, Jena) beleuchten und wie die Dichterin Nancy Hünger vor allem der Frage nachgehen, wie es um die Rezeption von Cibulkas Werk heute steht.
»Swantow«, mit dem sich Dr. Martin Straub auseinandersetzte, war in der DDR Hanns Cibulkas bekanntestes Buch, das für Aufsehen sorgte, weil er die Problematik der Kernenergiegewinnung thematisierte, ausgehend von dem Ort Swantow auf Rügen, von wo er einen direkten Blick auf das KKW Nord in Lubmin hatte, dass kurz nach dem Zusammenbruch der DDR stillgelegt wurde. Ebenso begehrt zu DDR-Zeiten Cibulkas Hiddensee-Buch »Sanddornzeit«, deren literarischen Kontext Dr. Johanna Bohley analysierte.
Für alle, die sich mit Fragen der Umweltzerstörung, dem Schutz von Landschaften und naturnahen Lebensräumen interessierten, war und ist Cibulka ein Autor, der weit vorausschauend die Folgen der Umweltzerstörung und der damit einhergehenden Klimaveränderung beschrieb. Cibulka lesen, heißt, einen Gegenwartsautor zur Kenntnis nehmen, den der öffentliche Diskurs über derartige Fragen weitgehend ausblendet.
Das Kolloquium ging dabei jedoch nicht nur dieser Frage nach, sondern zeigte, dass Cibulka als Tagebuchautor eine hohe künstlerische Form der Tagebuchprosa schuf, die in einer fortgesetzten Auseinandersetzung mit der eigenen Erinnerung konstatiert, dass ein kontinuierlicher Schreibprozess – will man sich dieser Herausforderung ernsthaft stellen – überhaupt nicht mehr möglich ist. Cibulka setzte oft auf disruptive Einschübe, die er nicht immer narrativ auflöst und so Spannungen schafft, die seine Tagebuchprosa unverwechselbar und bis heute sehr lesenswert machen.
Dr. Peter Neumann von der Universität Oldenburg zeigte in seinem Beitrag über Cibulkas Tagebuchpoetik, wie Cibulka sich bereits Anfang der 1960er Jahre mit der Frage geschichtlicher Transformationen auseinandersetzte und sich der Frage stellte, ob eine kontinuierliche Narration überhaupt noch möglich ist. Prof. Jan Röhnert analysierte Cibulkas Bezüge zu Ernst Jünger als Tagebuchschreiber und Ezra Pound als italienischem Dichter; Francesca Bravi aus Kiel referierte über die italienischen Bezüge in Cibulkas Werk, von dem (vor 1989) eine ganze Reihe Gedichtbände und Tagebücher auf in italienischer Übersetzung erschienen.
Im gegenwärtigen Literaturbetrieb werden Dichter, nur wenige Jahre nach ihrem Tod nur allzu schnell vergessen. Eine Neuauflage von Cibulkas »Swantow« im Verlag Mattes & Seitz in diesem Jahr gibt indes Hoffnung auf die Wiederentdeckung des sprachmächtigen Dichters und Tagebuchpoeten Hanns Cibulka.
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