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Ulrich Kaufmann
Erstdruck in Palmbaum 2/2020. Alle Rechte beim Autor. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Ulrich Kaufmann
Ein spätes, erstaunliches Debüt
Durch eine Ricarda-Huch-Biografie (2014) sowie ein sich anschließendes Huch-Lesebuch ist die Autorin in die literarische Öffentlichkeit getreten. In den letzten Jahren war sie auf den Spuren des Jenaer Verlegers Eugen Diederichs unterwegs und untersuchte gleichermaßen sein fa- miliäres Umfeld. »Nebenbei«, in aller Stille, entstanden vier Geschichten, mit denen sich die Publizistin auf das Neuland des fiktionalen Erzählens wagt.
Hinter dem ruhig wirkenden Titel Flusskiesel und dem viele Möglichkeiten einschließenden Untertitel Geschichten von Aufbruch und Weitergehen verbirgt sich ein Quartett spannender, ergreifender Prosatexte. Diese bewusst karg dargebotenen Erzählungen sind meist wenig verortet – lokal und zeitlich. Gewöhnliche Menschen werden geschildert, die mit außerordentlichen Situationen fertig werden müssen: Mit einem Autounfall, einem Erdbeben, den verheerenden Folgen des letzten Krieges und mit einem Schiffbruch.
Die Autorin, vierfache Mutter und mehrfache Großmutter, stellt nicht zuletzt Kinder und Jugendliche in schwersten Situationen dar. Dass ihr dies psychologisch überzeugend gelingt, mag auch mit ihrer langjährigen Arbeit als Lehrerin zusammenhängen.
Debütierende Autoren kommen nicht selten zum Schreiben, indem sie Grunderlebnisse aufarbeiten. Lemkes Erzählband ist weniger durch Selbsterlebtes geprägt. Die letzte und längste Erzählung Der Schiffbruch ist in Nordeuropa, in Norwegen angesiedelt. Landschaft, Kultur und Sprache dieses Landes kennt und liebt die Erzählerin. Dies spürt der Leser in jeder Zeile. Wie ein Märchen setzt die Geschichte ein: »Vor langer Zeit …«. In wenigen Sätzen schildert Katrin Lemke eingangs den Untergang eines Handelsschiffes. Im Zentrum der Erzählung stehen die Folgen. Am Ufer werden ein Mädchen und ein Mönch ohnmächtig aufgefunden – beider Hände an einer rettenden Bootsplanke. Aus Solidarität und Nähe wird eine zarte Liebe. Durch den Weggang Carolus‹, des Geist- lichen, bleibt die Geschichte ohne happy end. Eine tragisch ausgehende Liebe – mit Krankheit und Fehlgeburt – überwindet Benedikte. Sie versucht ein Weitergehen, einen Neubeginn. Die Erzählung Der Schiffbruch enthält eine Geschichte in der Geschichte, einen nordischen
Mythos (»Sunnivas Höhle«). Die Sage, vom Priester Magnus dargeboten, findet – im Kontrast zu Benediktes Schicksal – einen tragischen Ausgang in weitaus größeren Dimensionen.
Reizvoll an diesem Debütband ist, dass die Erzählungen nicht isoliert bleiben, sondern hier und da miteinnander korrespondieren: In Tiefer Grund wird von einem Jungen erzählt, der in der Tragödie großartig und selbstbewusst reagiert. Hingegen zeigt die Geschichte Kind mit Vater, wie ein traumatisierter Vater seinen Sohn zerstört, indem er ihm jedwedes Selbstbewusstsein nimmt.
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