Karl S. Guthke – »Goethes Reise nach Spanisch-Amerika. Weltbewohnen in Weimar«

Person

Johann Wolfgang von Goethe

Ort

Weimar

Thema

Gelesen & Wiedergelesen

Autor

Sylk Schneider

Thüringer Literaturrat e.V. / Die Reihe »Gelesen & Wiedergelesen« entstand mit freundlicher Unterstützung der Thüringer Staatskanzlei.

Gele­sen von Sylk Schneider 

 

Karl S. Guthke 2001 ver­öf­fent­lich­tes Buch »Goe­thes Wei­mar und ›Die große Öff­nung in die weite Welt‹« gehört zu mei­nen Lieb­lings­bü­chern. Denn es über­raschte und begeis­terte nicht nur mich. Und so möchte gleich zu Anfang Peter J. Bren­ners Rezen­sion zu die­sem Buch zitieren:

Es war kaum zu erwar­ten, daß durch die Aus­wer­tung his­to­ri­scher Quel­len aus­ge­rech­net der Rei­sende Goe­the noch ein­mal in einem neuen Licht erschei­nen konnte. Denn durch seine Ita­lie­ni­sche Reise hat er sich als deut­scher Rei­sen­der par excel­lence im natio­na­len Gedächt­nis eta­bliert, und durch diese Reise selbst wie durch den Rei­se­be­richt hat sich die enge Ver­bin­dung von Rei­sen, Bil­dung und Huma­ni­tät in Deutsch­land über Genera­tio­nen hin­weg als unver­brüch­li­che Selbst­ver­ständ­lich­keit gefes­tigt. Karl S. Guth­kes Buch, eine locker gefügte Ansamm­lung von Kapi­teln, die sich Goe­thes Ver­ständ­nis der außer­eu­ro­päi­schen ›wei­ten Welt‹ wid­men, gewinnt dem Ver­hält­nis von Rei­sen und Huma­ni­tät bei Goe­the eine neue Facette ab. Der Titel des Buches kün­digt die Absicht an: Guthke will zei­gen, daß sich Goe­thes Inter­esse durch­aus nicht auf die in Ita­lien mehr oder weni­ger deut­lich erfahr­bare antike und abend­län­di­sche Welt kon­zen­triert hat, son­dern daß er in sei­nen spä­te­ren Wei­ma­rer Jah­ren auch die außer­eu­ro­päi­sche Welt leb­haft wahr­ge­nom­men hat.

Karl S. Guthke, Kuno Francke Pro­fes­sor of Ger­ma­nic Art and Cul­ture, eme­ri­tus an Uni­ver­si­tät Har­vard, beschäf­tigt sich nun seit Jahr­zehn­ten, man möchte sagen »in sei­nen spä­te­ren Har­vard Jah­ren« mit die­sem so über­ra­schen­den Rei­sen­den Goe­the. Ihm ist es gelun­gen, um es mit Peter J. Bren­ners Wor­ten zu sagen, ein ›neues Licht auf den Rei­sen­den Goe­the‹ zu wer­fen. Die wich­tigste Quelle für die­ses ›neue Licht‹ sind die Berichte des ver­trag­lich gebun­den ›Cor­re­spon­dent‹ J.C. Hütt­ner, der von Sep­tem­ber 1814 bis Mai 1829 regel­mä­ßig über Neu­erschei­nun­gen aus Lon­don nach Wei­mar berich­tete. Die in zwölf Quart­bän­den gebun­den Berichte Hütt­ners befin­den sich im Thü­rin­gi­schen Haupt­ar­chiv Wei­mar unter der Signa­tur »Groß­her­zog­li­ches Haus­ar­chiv A XIX Nr.149, 1«.

Her­zog Carl August und ins­be­son­dere Goe­the als dem für die Biblio­thek in Wei­mar Ver­ant­wort­li­chen wähl­ten auf­grund die­ser Berichte zu bestel­lende Bücher aus. Wie Karl S. Guthke nach­weist, waren dies oft Rei­se­be­richte. Pro­fes­sor Guthke beschäf­tigte sich mit Huett­ner, dem »Welt­mann aus Deutschland«(so der Titel eines Essays über ihn in Guth­kes Buch »Die Reise ans Ende der Welt«) und mit dem Thema der im 18. Jahr­hun­dert im Zusam­men­hang der »gros­sen Öff­nung« auf­kom­men­den »glo­ba­len Bil­dung«. Damit setzte er sich ins­be­son­dere in einem buch­lan­gen Essay in sei­nem Buch »Die Erfin­dung der Welt« aus­ein­an­der. Und nach­dem Pro­fes­sor Guthke in frü­he­ren Jah­ren Goe­thes durch Huett­ner ver­mit­tel­tes Wis­sen über Aus­tra­lien und Neu­see­land und über Afrika vor­ge­stellt hatte (in »Die Reise…« bzw. »Geis­ti­ger Han­dels­ver­kehr«, 2016), scheint nur logisch, dass er nun auch nach Goe­thes Inter­esse am spa­ni­schen Mit­tel- und Süd­ame­rika Aus­schau hält.

So wäre nun viel­leicht Goe­thes Sicht auf fast die ganze ›weite Welt‹ dar­ge­stellt. Ich denke jetzt nur noch an eine Par­al­lel­stu­die zu der durch Huett­ner ver­mit­tel­ten Kennt­nis Nord­ame­ri­kas. Asien fehlt da noch, und viel­leicht komme ich, im 85. Lebens­jahr auch noch dazu. Die ›Reise nach Spa­nisch-Ame­rika‹ bleibt für mich so oder so ein Höhe­punkt, da man eigent­lich gemeint hat, dafür inter­es­siere Goe­the sich kaum, trotz Wade­puhls Buch, das ja der Natur der Sache nach skiz­zen­haft bleibt. schrieb Prof. Guthke mir freundlicherweise.

Nun aber zu »Goe­thes Reise nach Spa­nisch-Ame­rika«: Der kleine acht­zigsei­tige Band legt, wie zu erwar­ten, den Schwer­punkt auf Hütt­ners Berichte. Dies ist einer­seits seine Stärke, da hierzu bis auf Guthke selbst, noch nichts geschrie­ben wurde. Ander­seits ist es seine Schwä­che, da natür­lich Alex­an­der von Hum­boldt bei der Beschäf­ti­gung Goe­thes mit Spa­nisch-Ame­rika nicht auf weni­ger als 10 Sei­ten abge­han­delt wer­den kann. Ins­be­son­dere der Brief­wech­sel Goe­thes mit Alex­an­der von Hum­boldt bezüg­lich der Bücher Hum­boldts in Goe­thes Biblio­thek hätte mehr ver­tieft wer­den können.

Bei­spiel­haft hebe ich hier nach Tho­mas Schmuck Hum­boldt in Goe­thes Biblio­thek das Werk: IDEEN ZU EINER GEOGRAPHIE DER PFLANZEN NEBST EINEM NATURGEMÄLDE DER TROPENLÄNDER, […], VON AL. VON HUMBOLDT UND A. BONPLAND. BEARBEITET UND HERAUSGEGEBEN VON DEM ERSTERN. MIT EINER KUPFERTAFEL. TÜBINGEN, BEY F. G. COTTA. PARIS, BEY F. SCHOELL (RUE DES MAÇONS-SORBONNE, N.o 19). 1807. hervor.

Der erste Band des gro­ßen Ame­rika-Rei­se­wer­kes ist mit der von Bert­hel Thor­vald­sen ent­wor­fe­nen Vignette – Apollo lüf­tet den Schleier von der Sta­tue der Arte­mis – und dar­un­ter mit der gedruck­ten Wid­mung ›An Göthe.‹ ver­se­hen. Zu Füs­sen der Sta­tue lehnt eine Platte mit der Inschrift ›Meta­mor. der Pflan­zen.‹, eine Wür­di­gung von Goe­thes gleich­na­mi­ger Arbeit. Die fran­zö­si­sche Aus­gabe, der »Essai sur la géo­gra­phie des plan­tes« (Paris, Tübin­gen 1807), ist den Bota­ni­kern Antoine Lau­rent de Jus­sieu und René L. Des­fon­tai­nes gewid­met. Die Wid­mung der deut­schen Aus­gabe an Goe­the hat Hum­boldt im Brief vom 6. Februar 1806 mit einer Erzäh­lung ver­se­hen, die den Wert die­ser Wid­mung noch stei­gern soll:

Ich wollte nach so viel­jäh­ri­ger Abwe­sen­heit nicht anders vor Ihnen erschei­nen, als mit dem klei­nen Denk­mal, das meine tiefe Ver­eh­rung und innige Dank­bar­keit Ihnen gestif­tet hat. In den ein­sa­men Wäl­dern am Ama­zo­nen­flusse erfreute mich oft der Gedanke, Ihnen die Erst­linge die­ser Rei­sen wid­men zu dür­fen. Ich habe die­sen fünf­jäh­ri­gen Ent­schluß aus­zu­füh­ren gewagt. Der erste Teil mei­ner Rei­se­be­schrei­bung, das Natur­ge­mälde der Tro­pen­welt, ist Ihnen zugeeignet.

Eine inten­si­vere Dar­stel­lung von Alex­an­der von Hum­boldts Süd­ame­ri­ka­wer­ken in Goe­thes Rezep­tion durch Prof. Guthke hätte viel­leicht auch eine Ein­ord­nung von Buch­be­stel­lun­gen süd­ame­ri­ka­ni­scher Rei­se­be­schrei­bun­gen nach Hütt­ners Emp­feh­lun­gen zuge­las­sen. Es wäre viel­leicht auf­ge­fal­len, dass ein Schwer­punkt der Bestel­lun­gen auf Wer­ken zu Regio­nen Süd­ame­ri­kas liegt, die Alex­an­der von Hum­boldt nicht bereist hat. Wobei diese These wei­te­rer For­schung bedarf.

Es fällt den­noch auf, dass viele der 21 Werke, die Guthke vor­bild­lich dar­stellt, wie Peter Schmid­mey­ers »Tra­vels into Chile« (1824) oder John Miers »Tra­vels in Chile and La Plata« (1826) eben die von Hum­boldt nicht bereis­ten Regio­nen behan­delt. Noch heute kann man die Werke in Wei­mar in der Her­zo­gin Anna Ama­lia Biblio­thek bestau­nen. Die Schön­heit der teil­weise hand­co­lou­rier­ten Kup­fer­ta­feln ist atem­be­rau­bend. Natur­ge­mälde ganz im Hum­boldt­schen Sinne.

Guthke schreibt dazu: Die Durch­sicht von Hütt­ners Berich­ten über His­pano­ame­rika-Bücher ca. 150 Sei­ten) för­dert dazu aller­lei Stich­worte zutage. Über­dies ist deren apar­ter Reiz, dass sie immer noch nur als Manu­skript exis­tie­ren (eine in den 1930er Jah­ren von Wal­ter Wade­puhl geplante Edi­tion kam nicht über nicht erhal­tene Vorar­bi­ten hin­aus). So kann der heu­tige Leser von Hütt­ners säu­ber­lich in deut­scher Schrift beschrie­be­nen Quart­blät­tern sich den aka­de­mi­schen Fris­son leis­ten, Goe­the ein biss­chen voy­eur­haft über die Schul­ter zu schauen (etwa auf die Anstri­che, die nur von ihm sein kön­nen) und mit­zu­den­ken, was dem Geheim­rat bei der Lek­türe durch den Kopf gegan­gen sein dürfte.

Ich möchte hin­zu­fü­gen: In der heu­ti­gen Zeit wäre es durch­aus wün­schens­wert, diese wich­tige Quelle in ihrer Gesamt­heit zu digi­ta­li­sie­ren und so einer brei­ten Öffent­lich­keit zur Ver­fü­gung zu stel­len. Viele der Bücher, die Goe­the ein­ge­se­hen hat, ste­hen schon heute auf dem Ser­ver der Her­zo­gin Anna Ama­lia Biblio­thek zur Ver­fü­gung. Mit Hütt­ners Quelle könnte man so an kal­ten Win­ter­aben­den auf Goe­thes Spu­ren durch die Welt streifen.

Karl S. Guth­kes Buch »Goe­thes Reise nach Spa­nisch-Ame­rika. Welt­be­woh­nen in Wei­mar« ist hier­bei der ideale Weg­wei­ser wenn man nicht nur nach Latein­ame­rika rei­sen, son­dern auch zum Phi­lo­so­phie­ren und zum kri­ti­schen Nach­den­ken ange­regt wer­den möchte.

  • Karl S. Guthke: Goe­thes Reise nach Spa­nisch-Ame­rika. Welt­be­woh­nen in Wei­mar, Kleine Schrif­ten zur Auf­klä­rung (hg. von der Les­sing-Aka­de­mie Wol­fen­büt­tel); Bd. 18, Wall­stein Ver­lag, Göt­tin­gen 2017.
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