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Wolfram Huschke
Thüringer Literaturrat e.V. / Die Reihe »Gelesen & Wiedergelesen« entstand mit freundlicher Unterstützung der Thüringer Staatskanzlei.
Wiedergelesen von Wolfram Huschke
Jutta Hecker (1904–2002) erzählt in ihrem Buch von 1955 die Geschichte jenes Hauses in der Jenaer Straße gegenüber dem Goethe- und Schiller-Archiv, in dem sie jahrzehntelang gelebt hat. Sie konzentriert sich dabei auf seine berühmteste Phase, als es zwischen 1848 und 1861 quasi in der Nachfolge des Goethe-Hauses ein weit ausstrahlendes kulturelles Zentrum war. Selbstredend geht das für sie nicht ohne den Vorlauf, denn mit der Errichtung durch die Familie von Seebach sind Goethe und der Komet von 1811 symbolkräftig verbunden. Jener Komet überstrahlte ja im westungarischen Dorf Raiding auch die Geburt von Franz Liszt, deren Gleichzeitigkeit mit der Einweihung des Hauses schon ein seltsamer Zufall ist. Goethe tritt schon vorher auf, was mit dem Motto und mit dem Ausblick auf das Haus gegenüber, das als Goethe-Archiv seit Juni 1896 den Hang beherrscht, als Klammer wirkt. Führende Mitarbeiter des Archivs wohnten dann gegenüber in der Altenburg, so auch Max Hecker, ihr Vater, und seine Familie. Sie bis zur Sanierung des Hauses Mitte der 1990er Jahre. Ein paar Jahre um 1989 herum war ich da ihr Hausgenosse, mit meiner Frau in den Liszt-Zimmern des Seitengebäudes wohnend. Wir sprachen oft über das Haus, auch über ihr Buch. Sie erwähnte, sie arbeite an einer Fortsetzung bis in die 1950er Jahre. Leider ist es bei der Absicht und vielleicht Entwürfen geblieben. Ihr Nachlass liegt im edlen Haus gegenüber.
Über ihr »Altenburg«-Buch waren wir schon 1983 ins Gespräch gekommen. Ende 1982 war meine Dissertation von 1977 über die Weimarer Musikgeschichte zwischen 1756 und 1861, um die Daten-Anhänge weitgehend reduziert, im Druck erschienen. Sie fragte mich nun per Brief, warum ich, obwohl von der »Altenburg« vielfach die Rede war, ihr Buch offenbar nicht genutzt, jedenfalls aber nicht erwähnt habe. In der Tat hatte ich es zwar ansatzweise zur Kenntnis genommen, aber dann als belletristische Literatur zur Seite gelegt, entsprechend der herrschenden Maxime, die im Sinne der »wissenschaftlichen Weltanschauung« Belletristik als Basis für Graduierungsarbeiten radikal ausschloss. Dies habe ich ihr auch – ich denke freundlich – mitgeteilt. Ich hatte den Eindruck, dass sie dies vor dem Hintergrund der DDR-Verhältnisse zwar verstand, dass sie aber mit dem Schildchen Belletristik nicht einverstanden war. Sie verstand »Geschichte eines Hauses« ganz offenbar als ernsthafte, allgemeinverständlich gehaltene historische Arbeit weit über bürgerlich-blumiges Erinnern (so das verbreitete Vorurteil) hinaus.
Seither habe ich ihr Buch mehrfach gelesen, oft auch daraus vorgelesen, wenn ich, seit 2000 für die Beletage der »Altenburg« verantwortlich, über die Hausgeschichte zu reden hatte. Ich habe erkannt, wie intensiv sie die historischen Fakten recherchiert hat und wie sie erst auf solcher Basis mit hoher innerer Anteilnahme und Einfühlung sich reinen Geistes um eine lebendige Darstellung des Geschehens gemüht hat. Ihre Leser haben dies über die sechs Jahrzehnte hin sehr zu würdigen gewusst. Insofern hat sie das erreicht, was sie durch ihre Darstellung bewirken wollte: Das Haus geriet nicht ganz in Vergessenheit. Ähnlich wie das Haus Hohe Pappeln Henry van de Veldes blieb es untergründig bekannt und konnte seit Mitte der 1990er Jahre – auf das Kulturstadtjahr 1999 hin – eine allmähliche äußere und funktionale Renaissance erleben, die »Altenburg« dabei nach der Sanierung des Hauptgebäudes 1995–1997.
Viel ist hier noch zu tun. Die Geschichte des Hauses ist noch nicht angemessen vollständig eingelöst. Mir persönlich war es aber jedenfalls eine ganz besondere Freude, dass die Deutsche Liszt-Gesellschaft ihr für dieses ihr Buch und ihr Wirken für das Haus im Oktober 2001 die (seltene) Ehrenmitgliedschaft verlieh. Und dass die weit über neunzigjährige alte Dame die Ehrung in der Beletage der Altenburg noch miterleben konnte. Ihr Buch war 1991 in 4. Auflage im Verlag der Nation Berlin erneut erschienen. Wiederlesen nützt! Und erfreut hoffentlich auch.
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