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Annerose Kirchner
Thüringer Literaturrat e.V. / Die Reihe »Gelesen & Wiedergelesen« entstand mit freundlicher Unterstützung der Thüringer Staatskanzlei.
Gelesen von Annerose Kirchner
»Große Katastrophe« schreibt E. T. A. Hoffmann zum Beginn des Jahres 1808 in sein Tagebuch. Er hat dem preußischen Staat als Jurist gedient und nach Napoleons Sieg über die Preußen bei Jena dem Kaiser seine Loyalität verweigert. Seine Karriere als Beamter ist dahin. Vergeblich versucht er in Berlin als Künstler mit seinen Kompositionen Fuß zu fassen. Er lebt schließlich nur noch von trocken Brot. Der einzige Ausweg aus dieser Misere ist eine Anstellung als »Musikdirektor« am Theater in Bamberg. Hoffmann greift zu und kommt per Postkutsche am 1. September 1808 mit seiner Frau Marianna, genannt »Mischa«, in der fränkischen Bischofs- und Kaiserresidenz an. Hier wird er, ohne es zu ahnen, fast fünf Jahre bleiben. Er bezeichnet später diese Zeit als seine »Lehr- und Marterjahre«.
Wie lebte der 1776 in Königsberg Geborene in der idyllisch gelegenen Kleinstadt mit ihren prächtigen spätbarocken Bauten und Fachwerkhäusern, inmitten der feinen bürgerlichen Gesellschaft, den Handwerkern, Bierbrauern und Gemüsegärtnern? Jürgen K. Hultenreich, der 1948 in Erfurt geborene Autor, der heute in Berlin wohnt, hat sich auf eine eindrucksvolle Spurensuche in »Das Bamberg des E.T.A. Hoffmann« begeben. Diese ganz besondere Zeitreise in das 19. Jahrhundert fokussiert sich auf einen Künstler, der heute noch mit seinen zahlreichen Talenten überrascht und diese Talente in Bamberg leidenschaftlich auslebte: er komponierte, zeichnete, begann Musikkritiken zu schreiben und weiß schon, wie er im Tagebuch am 27. 1. 1809 schreibt, »Meine literarische Carriere scheint beginnen zu wollen.«
Kurios: E. T. A. Hoffmanns erster Verleger ist der Bamberger Weinhändler Kunz. Dessen Gewölbekeller am Grünen Markt lud zu manchem »Verzweiflungsbesäufnis«, mit dem Hoffmann seinen Frust und seine Enttäuschung wegspült. Zu hoch sind seine Erwartungen an das Theater, an das Publikum, das entsetzt ist, weil er vom Flügel aus »neumodisch« dirigiert. Er verliert seine sicher gedachte Stellung als »Musikdirektor«. Kommt aber nicht vom Theater los. Wie er dort weiter aktiv bleibt und als Klavier- und Gesangslehrer die Töchter der reichen Bamberger unterrichtet, lässt sich dank Hultenreich ausführlich nachlesen.
Der Autor taucht für seine Zeitreise tief in die reichlich vorhandenen Quellen und zitiert kenntnisreich. Wie in seinem ebenfalls in der Edition A.B.Fischer erschienenen Band »Venedig. Eine literarische Zeitreise« brilliert er als glänzender Essayist, der sich in frühere Epochen einzufühlen vermag. Gleichzeitig entsteht ein wundervolles Porträt der Stadt Bamberg, deren alte, enge Gassen heute noch (vor allem nachts mit spärlicher Beleuchtung) romantisch-geheimnisvolles Mittelalter-Flair verbreiten.
Dieses Flair strahlen besonders die Schwarz-Weiß-Fotos von Angelika Fischer aus. Die bekannte Fotografin und Verlegerin folgt Jürgen K. Hultenreich bis zu den wichtigsten Orten, an denen E.T.A. Hoffmann wirkte – angefangen vom »Poetenstübchen« im heutigen Hoffmann-Haus am Schiller-Platz, das der Künstler so liebte, über das Theater, die Eisgrube (hier wohnte der Weinhändler Kunz, der Hoffmann zum Freund wurde) bis zum Dörfchen Bug mit dem berühmten Denkmal für Hoffmann und den Hund Berganza.
Auf der Altenburg über der Stadt begegnete der Musikus Dr. Marcus, dem Begründer der modernen Therapie von Geisteskrankheiten. Zwischen beiden entspann sich mancher Diskurs über die »Nachtseiten des Seelenlebens«, über Mord und Totschlag bis hin zum damals aktuellen Phänomen der Hypnose.
Hultenreich beschreibt E. T. A. Hoffmann als geselligen, in Sachen Konversation gewandten Menschen, der mit seinem Typus – stechende Augen, lange Koteletten, mächtige Adlernase – nicht ohne Wirkung auf seine Umwelt blieb und sie mit beißendem Spott und Witz karikierte. Hier steht E. T. A. Hoffmann mitten in seiner Zeit, der sich in Bamberg, trotz aller Widrigkeiten (»Muß denn der Teufel auf alles seinen Schwanz legen!«) die Stadtlandschaft und ihre Umgebung genoss, der für Späße zu haben war, der ohne seine Frau »Mischa« sein Künstlerleben nicht leben konnte. Der um Verluste und Schmerzen wusste, hatte er doch kurz vor der Ankunft in Bamberg sein kleines Töchterchen verloren.
Der sich wie ein Wahnsinniger verlieben konnte – in seine Gesangsschülerin Julia Mark, Tochter eines US-Konsuls. Als sie sich begegnen ist das Mädchen 13, er ist 33, seit sieben Jahren im Ehestand. Hoffmann nennt sie »Käthchen«, verschlüsselt im Tagebuch als »Ktch«. Ein erotisches Abenteuer. Für den bis zum Wahnsinn eifersüchtigen Hoffmann, schreibt Hultenreich, ist »Die Affäre das wichtigste Erlebnis seiner Bamberger Jahre.« Eine unerfüllte Liebe, die immens sein dichterisches Werk (z. B. »Kater Murr«) beeinflussen wird. Die Reißleine zieht Julias Mutter. 1812 ist die Tochter 16 und heiratet einen reichen Kaufmann. Hultenreich, der auf dieses Ereignis ausführlich eingeht, summiert: »Poetische Menschen kennen die Schmerzen unglücklicher Liebe. Sie sterben meist nicht daran, sondern zehren von ihnen.«
Am Ende dieses Liebesabenteuers steht ein neuer Beginn: die »Wander- und Meisterjahre« – die Zukunft E. T. A. Hoffmanns als erfolgreicher Schriftsteller und als anerkannter Jurist wieder im preußischen Staatsdienst in Berlin: »Die Wochentage bin ich Jurist und höchstens etwas Musiker, sonntags, am Tage wird gezeichnet, und abends bin ich ein witziger Autor bis spät in die Nacht.«
Am 21. April 1813 verlässt E. T. A.Hoffmann das geliebte-gehasste Bamberg, das ihn geprägt hat und zum Schöpfer klassischer phantastischer Geschichten werden ließ.
Lektüreempfehlung:
Edition A. B. Fischer, Berlin 2016.
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