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Klaus Jäger
Alle Rechte beim Autor. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors. Erstdruck: Palmbaum 2-2021.
Klaus Jäger
Von der Lust an der Lust. Goethes frivole Heimlichkeiten im »Kleinen Schwarzen«
Es ist eine erstaunliche Wandlung, die Johann Wolfgang Goethe genommen hat. Einst der Nationalheilige des geschriebenen Wortes, hat ihn der Zeitgeist längst als sexistischen Chauvinisten ausgemacht. Ein alter, weißer Mann, der spätestens seit der Affäre Levetzow (Marienbad 1821) im Verdacht der Pädophilie stehen muss, die ja seinem Faust (Gretchen »ist über vierzehn Jahr doch alt«) längst nachgewiesen wurde. Ganz zu schweigen von der blutigen Vergewaltigungsphantasie, die sich leicht ins »Heidenröslein« hineininterpretieren lässt.
Und in diese explosive Gemengelage hinein erschien in diesem Jahr ein neues, fein ausgestattetes Buch, das unter dem Titel »Erotica« ausgerechnet die Texte Goethes versammelt, die mitten im Fadenkreuz feministischer Kritik stehen. Das »Heidenröslein« gleich an dritter Stelle! Doch des Philisters gefurchte Stirn glättet sich sogleich beim Umblättern, wo mit »Willkommen und Abschied« wohl eines der populärsten und schönsten deutschen Liebesgedichte zu finden ist. Ein Gedicht übrigens, dessen später hinzugefügter Titel auf eine ausgangs des 18. Jahrhunderts beliebte Strafe hinweist, wie man in den Anmerkungen erfährt – dem Auspeitschen des Gefangenen bei Ankunft und Entlassung im Zuchthaus.
Und damit sind wir schon mittendrin in einem Buch, das mehr will und kann, als Texte des Meisters aneinanderreihen, die zwischen derben Schweinereien, vor allem im Frühwerk, und raffinierter Sinnlichkeit oszillieren. Freilich, inwieweit man die Besetzungsliste des Fragments »Hanswursts Hochzeit« unter die Erotik rechnen muss, sei dahingestellt. Rollennamen wie »Reck-Ärschgen« und »Schnuck-Fötzgen« als Nichten, »Peter Sauschwanz«, »Joseph Blackscheißer« oder »Dreckfink« lesen sich eher wie eine Sammlung postpubertärer Obszönitäten. Geschmackvoll oder geschmacklos, es liegt im Auge des Betrachters. Obwohl alles Goethe, langweilte der »Hanswurst« den Rezensenten schon nach der ersten Seite. Spannend wird das Ganze erst im »Make-off« des Stückes, vom Meister selbst erzählt in »Dichtung und Wahrheit«. Dort räumt Goethe auch offen ein: »der gründliche Scherz ward bis zur Tollheit gesteigert«.
Größtes Vergnügen hingegen bereitete dem Rezensenten einer von (Werther in den Mund gelegten) Goethes Briefen aus der Schweiz, der den Untertitel »Was sehen wir an den Weibern?« trägt, und in dem der Besuch bei einer Prostituierten in Genf geschildert wird.
Natürlich nehmen die »Römischen Elegien« einen zentralen Platz ein, lautete deren ursprünglicher Titel doch »Erotica Romana«. Selbstverständlich sind auch die von Goethe einst zurückbehaltenen vier Elegien enthalten. Interessant: In den akribisch recherchierten Anmerkungen erfährt der Leser, dass die Zensur von Goethes erotischen Äußerungen nicht erst bei Großherzogin Sophie von Sachsen begann, sondern bereits in des Meisters Kopf als Schere der Selbstzensur. Lustvoll zu lesen auch das.
Dabei, dieses Buch ist in jeder Hinsicht ein höchst sinnliches Vergnügen. Dazu tragen vor allem die Zeichnungen von Gerd Mackensen bei. Der Nordhäuser Maler, Fotograf und Bildhauer schuf dafür eine Reihe von expressiven Werken, in denen er mit oft grobem Strich oder scheinbar flüchtigem Skizzen-Gekritzel echte Erotik darstellt, vor allem die Lust der Frauen in den Mittelpunkt rückt. Für haptischen Genuss sorgt die opulente Ausstattung des Bandes: Er ist in feines schwarzes Leinen gewandet, trägt eine geprägte Schrift und ein handverleimtes Deckelschild, kontrastiert mit kirschrotem Vorsatzpapier und die Vorzugsausgabe wird in einem stabilen, ebenfalls schwarz-roten Schuber geliefert – eine schöne Verpackung für einen schönen Inhalt. Wer etwas mehr Geld in seiner Bücherkasse hat, kann sich auch für eine der beiden streng limitierten Vorzugsausgaben entscheiden, sie enthalten eine signierte Lithografie von Mackensen bzw. zusätzlich eine Originalzeichnung in Grafikmappe.
Kann man ein solches Buch besprechen, ohne seinen Herausgeber und Editor zu benennen? Jens-Fietje Dwars verantwortet die Auswahl und Zusammenstellung der Texte. Durch seine Entscheidung, die Texte eben nicht chronologisch zu ordnen, und durch seinen angehängten Aufsatz »Die Lust an der Lust – Versuch, dem Erotiker Goethe auf die Spur zu kommen«, gerät das Buch selbst eher zu einem Stück der Aufklärung denn zu einem Objekt voyeuristischer Schaulust. Und das Fazit des Rezensenten liefert Dwars gleich mit: »Wer […] den antiquierten, den unzeitgemäßen Goethe liebt, der wird an dem vorliegenden Band seine Freude haben.«
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