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Ulrich Kaufmann
Die Rechte liegen beim Autor. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors
Ulrich Kaufmann
Zwischen Geborgenheit und Mief
In dem Titel seines Beitrages zu dem hier vorgestellten Thüringen-Lesebuch bringt der in Sachsen gebürtige Satiriker Mathias Biskupek – der im Oktober seinen 70. Geburtstag begeht – sein ambivalentes Verhältnis zu Thüringen auf den Punkt: Geborgenheit nimmt er war und Mief. Das neue Buch steht wie ein Zwillingsbruder neben der »Thüringer Anthologie« von 2018. Der erste Band ist jedoch viel sauberer, fester, gebunden…
100 Jahre Thüringer Verfassung boten den Herausgebern Anlass, knapp achtzig Stimmen zu verschiedenen Etappen der jüngeren thüringischen Geschichte zu versammeln. Am Beginn steht ein tagebuchartiger Text der »Muse« Anna Mahler-Werfel. Sie berichtet vom Kapp-Putsch in Weimar. Bei Walter Gropius wohnend, ist sie in Gedanken meist in Wien, bei Franz Werfel, ihrem nächsten Ehemann. Der Band endet mit einem Bekenntnis des »zugereisten« Juristen und Schriftstellers Christoph Schmitz-Scholemann: »Ich bleibe in Weimar«. Es verwundert nicht, dass die Kulturstädte Erfurt, Gotha, Jena und selbstredend Weimar hier mit etlichen Beiträgen bedacht werden. Armin Müller und Jan Volker Röhnert begeben sich hingegen in die Provinz, beschreiben ihre Heimatdörfer. Letzterer kritisiert in seiner Betrachtung »Mein Schwarzstorchdorf« scharf Pläne der Grünen, auch Wälder mit gewaltigen Windkraftanlagen zu verspargeln. Ein Glanzstück kurzer Prosa liefert der literarische Wanderer Wulf Kirsten, der die Dörfer um Vollradisroda erkundet. Mehrfach zog sich der Nestor der Thüringer Dichter in Vollradisroda zur Schreibklausur zurück. Auch das idyllische Tautenburg, das in der Einleitung mit Tautenhain verwechselt wird, kommt in den Erinnerugen von James Krüss zu Ehren.
Die Herausgeber Jens Kirsten und Christoph Schmitz-Scholemann beschränkten sich bei ihrer Auswahl nicht allein auf »schöngeistige«, literarische Texte.
Auch ein Brief an Heinrich Himmler – das Konzentrationslager betreffend – sowie das von Ewald Hebestreit erstellte Dokument »Sechs Jahre Totenchronik von Sowjetopfern in Weimar« sind zur Kenntnis zu nehmen. Insgesamt dominieren den Band erzählende und essayistische Texte. Nur Jürgen Fuchs kommt mit dem Gedicht »Freistunde« zu Wort, in dem er seine Erlebnisse im Stasiknast festhält.
Auch wenn man auf »Klassiker« wie Walter Benjamins Beschreibung von Goethes Arbeitszimmer (1928), Thomas Manns »Meine Goethereise«, Tucholskys »Hitler und Goethe. Ein Schulaufsatz« und einen Auszug aus dem berühmten Roman von Bruno Apitz nur verweist, ist der Reichtum des Lesebuches nur ungenügend angedeutet.
Wer auf knappem Raum eine umfangreiche Sammlung bespricht, hat all jene gegen sich, die er nicht erwähnt. Lesenswert sind buchstäblich alle Beiträge. Eingeprägt hat sich unter anderem Dieter Borkowskis »Besuch bei Thomas Mann«. Der Nobelpreisträger wohnte 1955, anlässlich seiner Schiller-Rede und seiner 22. Ehrenpromotion, im Hotel am Weimarer Bahnhof. Kulturminister Becher und die Präsidentin des Schriftstellerverbandes Anns Seghers logierten hingegen im Hotel »Elefant«, in jenem Hause, das Thomas Mann in dem Roman »Lotte in Weimar« weltberühmt gemacht hatte.
In dem Essay »Wolfserwartungsland« schildert die in Jena geborene Antje Babendererde die Entstehung ihres Romans »Isegrim«. Diesen schrieb sie, als Thüringen zwar einen Wolfsbeauftragten, aber noch keinen Wolf hatte. Holm Kirsten steuerte die Schilderung einer »Deutsch-Deutsche Begegnung« bei. Diese, 2011 erstmals gedruckte Erinnerung hält sehr genau und unterhaltsam fest, wie sich Jugendliche vor 1989 im – intern so genannten –Weimarer Café »KoKa« annäherten.
Ein Schmankerl ist der Text »Leere Fülle«. In ihm schildert Ingeborg Stein, wie sie Professor Kurt Hager durch die neue, von ihr kuratierte Heinrich-Schütz-Ausstellung in Bad Köstritz geführt hat. Das Problem war, dass der Chefideologe zu früh kam und die Museumsleiterin den Gast durch ein akribisch vorbereitetes, aber noch leeres Haus führen musste. Leider erfährt der Leser nicht, wie das Politbüromitglied auf diese Besonderheit reagiert hat…
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