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Jan Volker Röhnert
Alle Rechte beim Autor. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Jan Volker Röhnert
Kairo, Winter;
die Brotlaibe auf eine Stiege hochgehievt
zwischen zwei Motorradsitzen
in runden Mützen aufgegangnen Teigs
das erste Sonnenlicht verweilt,
Wärme, die sich wie das Nilwasser
umsonst verteilt. Hände strecken sich
am Imbissstand mit Wechselgeld nach
Brotmützen voll Humus, Bohnenmus, Ganoush,
als würde Manna ausgeschenkt, doch vorerst
schwebt nur die bittre Würze des Benzins
über dem wüstengelben Mützensaum
die Wolke der Betriebsamkeit,
an der sich die Geister scheiden
von den Lebenden, die so lange
Brot brechen, neben den Pyramiden Stein
auf Stein hochziehen, bis
der Fluss vertrocknet ist –
bis dahin kannst du die Brote zählen,
die ganz Kairo an einem Tag verspeist,
die Brote, die auf der grauen Teerteigschneise
der Ringstraße ausgefahren werden,
die Münzen, das Papier und Cellophan, die
durch Hände gingen, die am Steuer saßen,
auf einer Bank mit Rücken zum Park,
in dem die Katzen das letzte Grün behaupten,
ihr Tempel in der Gegenwart des Staubs.
Kein Mumienschrein winkt dem überfahrnen Hund,
Anubis, der vom Totenreich am Bordstein grüßt
beim Tee in der kühlen Frühe
hinter dicken Brillengläsern
sieht ein alter Mensch der Straße zu –
ungerührt, als wäre keine Süße
mehr in den Dingen oder der Beton
noch nicht von Farben überzuckert,
der zerbrochene Sonnenstab im Fluss,
der Kairo teilt. Zum Backen
braucht es Wasser, Hefe,
Mehl und Salz. Solange sie die Stiegen
mit den Fladen auf zwei
Motorradsitze hieven, lebt die Stadt.
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