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Paul Klee
Briefe an die Familie, Bd. 2, Köln 1979.
Weimar, Fremdenheim »Haus zur Sonne« am Horn, Sonntag, 16.1.1921
Meine geliebte Lily!
Ansichtskarten schreibe ich gar nicht gern, es geht dann doch etwas zu wenig drauf. Aber nun habe ich eine kleine Sammlung solcher Karten als Drucksache zusammengebunden. Wenn ich dann noch ein Postamt irgendwo näher als das Hauptpostamt, welches ich schon sah, ausfindig gemacht habe, dann geht sie vielleicht gleichzeitig mit diesem Brief ab.
Gestern habe ich mich ganz dem Bauhaus gewidmet und mir den Betrieb erstmals zeigen lassen. Vormittags arbeitete Itten mit der Vorunterrichtsklasse. Als ich um 10 Uhr eintrat, war gerade Pause. Der Meister stand in weinrotem Anzug bei einer Gruppe Mädchen und Jungens und ließ sich Arbeiten zeigen. Einer Gruppe gab er eine Schriftaufgabe über den Text »Mariechen saß auf einem Stein«. Sie sollten erst schreiben, wenn ihnen der Geist des Liedes gefühlsmäßig klar sei. Das waren indessen noch nicht die eigentlichen Vorunterrichtler, sondern Fortgeschrittene.
Dann war die Pause aus. Man ging ins Nebenatelier, einen Riesensaal. An der einen Wand stehn Gestelle mit Materialversuchsarbeiten. Die sehn aus wie Bastarde von Wildenkunst und Kinderspielzeug. An den andern drei Wänden sitzen die Versuchslehrlinge an Tischen auf dreibeinigen Klavierstühlen. Die Sitze, sind aus Holz und rot, die Füße aus Eisen. Jeder hat eine Riesenkohle in der Hand und einige Lagen Schmierpapier vor sich auf dem Reißbrett. Der Meister geht auf und ab, weinrot, mit oben ganz weiten Hosen. Der Rock ist geschlossen und wird von einem Gurt aus demselben Stoff mit großer Bauchschnalle zusammengehalten. Der Kopf ist halb Schulmeister, halb Pfarrer. Hie und da macht er nach der Seite hin eine Miene, die man fälschlich als leicht-verächtlich deuten könnte. Die Brille darf nicht unerwähnt bleiben.
Nachdem er einige Gänge gemacht hat, steuert er auf eine Staffelei zu, auf der ein Reißbrett mit einer Lage Schmierpapier steht. Er ergreift eine Kohle, sein Körper sammelt sich, als ob er sich mit Energien ladete, und geht dann plötzlich zweimal nacheinander los. Man sieht die Form zweier energischer Striche, senkrecht und parallel auf dem obersten Schmierbogen, die Schüler werden aufgefordert, das nachzumachen. Der Meister kontrolliert die Arbeiten, läßt es sich von einzelnen Schülern extra vormachen, kontrolliert die Haltung. Dann kommandiert er’s im Takt, dann läßt er dasselbe Exercitium stehend ausüben. Es scheint eine Art Körpermassage damit gemeint zu sein, um die Maschine auf das gefühlsmäßige Funktionieren hin zu schulen. Ähnlich werden neue elementare Formen, wie [Skizze Klees] und andere mehr vor- und nachgemacht. Zum Beispiel [Skizzen Klees] mit mehrfachen Erläuterungen über warum und über Ausdrucksart.
Dann erzählt er etwas vom Wind, läßt einige aufstehn und den Ausdruck ihrer Empfindung bei Wind und Sturm annehmen. Nachher gibt er die Aufgabe: die Darstellung des Sturmes. Dazu läßt er etwa 10 Minuten Zeit, und kontrolliert hierauf die Erzeugnisse. Worauf er die Kritik abhält. Nach dieser Kritik wird weiter gearbeitet. Ein Blatt nach dem andern fällt abgerissen zur Erde. Manch einer arbeitet mit großer Wucht, daß gleich mehrere Blätter auf einmal verwirtschaftet werden. Nachdem sie zuletzt alle etwas müde geworden sind, läßt er die Vorunterrichtler diese Aufgabe zu weiterer Übung mit sich nach Hause tragen.
Nachmittags 5 Uhr ist »Analyse« in einem großen amphitheatralisch gebauten Raum. Eine Art Hörsaal ist das eher, nur daß man nicht auf Bänken, sondern auf den Stufen hockt. Unten steht eine Tafel mit einer Lage Schmierpapier, welches »Richard« aufgeheftet hat. Ganz oben steht ein Projektionsapparat. Der Meister wandelt wieder vorbereitend und ladend auf und ab. Dann gibt er Formelemente zur Schau, welche auf das später projizierte Bild, »Der Tanz« von Matisse hinauswollen. Nach diesem Bild läßt er dann das Kompositionsschema zeichnen, einmal sogar im Dunkeln. Dann läßt er das gewonnene Schema nach dem Vorbild weiter ausgestalten, manchmal auch eine einzelne Figur für sich schematisch nachzeichnen. Immer ab und zu Stufen steigend, nachsehend, kritisieren.
In der ersten Reihe sitzt zu des Meisters Füßen auch Frau Itten, weiter oben Herr Watenphul. Zuoberst sitze ich im Eck auf Stuhl und rauche Pfeife. Dann ist nach 6 Uhr auch diese Sache wieder aus.
Das war gestern; heute Sonntag war ich auf meinem Atelier, um nachzuholen, was ich gestern für’s Bauhaus an Zeit verwendet hatte. Hier, in der gräflichen Pension fühle ich mich schon ganz heimisch. Er ist ein sehr drolliger Mann, nach meinem Eindruck gutartig und vertrauensselig. Sie eine sehr tüchtige und strebsame Dame. Altere Leute mit einem zarten Bübchen von elf Jahren, Hugo genannt. Sie bewirtschafteten seiner Zeit ein Gut in Kur- oder Lettland. Man würde ihn für’s erste für einen Russen nehmen. Sie sind alle durchaus nicht beschränkt, sondern offen für das Neue. Dabei fußen sie auf einer feinen alten Kultur. Ich glaube, sie werden angenehme Hauseigentümer für uns sein. Vom 1. April an wohne ich, wenn alles jetzt dann gut klappt, in meiner Wohnung, von der sie mir wohl ein oder zwei Zimmer möblieren können. Ich werde dann wohl auch wieder ihr Pensionär sein, bis daß unser Umzug erfolgt sein wird (verdammtes Papier, ist stellenweise fett). Über uns wird Fräulein Grunow wohnen, der Schutzengel Ittens, und ein sympathisches Fräulein, die Assistentin des Schutzengels.
Letzten Montag war ich abends bei Itten zu Tisch. Seine Frau war diesmal dabei und empfing mich liebenswürdig. Daß sie etwas verschlossener Natur ist, hat mich nicht weiter gestört. Man saß ganz einfach beisammen, aß eine große Anzahl von Gemüsen, welche die Schwester des Herrn Muche sehr schön und schmackhaft gekocht hatte. Meine Eindrücke habe ich Dir jetzt mit ungewohnter Ausführlichkeit beschrieben.
Leider ist es gestern kalt geworden. Aber die Heizung im Bauhaus funktioniert bis jetzt ordentlich. Sollte es noch kälter werden, muß ich Holz kaufen, oder vielleicht noch besser den alten Schurken von Kastellan bestechen, daß er mir welches hinaufschafft. Der Gehalt wird erst im Februar bezahlt. Also schaffe ich mir vorderhand nichts an, sondern erkundige mich nur vor der Hand nach Quellen und Preisen etwas.
Unser künftiges Villenviertel ist so wenig Geschäftsgegend als etwa Bogenhausen. Man geht zehn bis fünfzehn Minuten in die Stadt, die reich ist an sehr schönen Lebensmittelgeschäften, welche die Waren auch ins Haus schicken sollen. Jedenfalls hast Du an der Gräfin Keyserlingk die beste Beraterin. Denn eine Frau, die zu so mäßigen Preisen eine Pension führen kann, kennt sich sicher sehr gut aus.
Ich danke für den heute früh erhaltenen Brief mit Einlage Goltz und Frau Doktor
Mayer etc. In einer Woche bin ich wieder bei Euch. Es soll ein Zug jetzt 1 Uhr mittag weggehen, der schon um 11 Uhr nachts in München ist. Also auf alle Fälle die Kette am Samstag Abend nicht vorlegen!
Nun lebt alle wohl samt Fritzentier, herzlichst küßt Dich und Felix, Dein Paul.
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