Heidemarie Förster-Stahl – Refugium auf Zeit – Die Arbeitsund Erholungsstätte für Schriftsteller und Künstler Schloss Kochberg 1977- 1990

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Autor

Ulrich Kaufmann

Alle Rechte beim Autor. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors. Erstdruck in: Palmbaum, Heft 2/2024.

Ulrich Kauf­mann

Das Wun­der von Kochberg

 

 

Im Was­ser­schloss herrscht win­ter­li­che Ruhe: Die Fens­ter sind fins­ter, der Park ver­schlos­sen, das Lieb­ha­ber­thea­ter steht auf unsi­che­rem Fun­da­ment – bis­lang ist nur das Jahr 2024 abgesichert …

Wie mag da einer Frau zumute sein, die ein Vier­tel­jahr­hun­dert im Schloss gelebt hat und nun­mehr in einem Neben­ge­bäude wohnt und arbei­tet? Fünfzehn Jahre lang war sie Direk­to­rin des Koch­ber­ger Künstlerheims sowie des Lieb­ha­ber­thea­ters. Man­fred Wekwerth nannte sie sie lie­be­voll-iro­nisch die »Haus­her­rin«.

An vie­len Thea­tern hat Hei­de­ma­rie Förs­ter gear­bei­tet – meist als Musik­dra­ma­tur­gin. Bis zur Jahr­tau­send­wende war sie an der Rudol­städ­ter Bühne. Auch Libretti und Über­set­zun­gen brachte sie zu Papier. Seit 1989 ist Hei­de­ma­rie Förs­ter vor­nehm­lich publi­zis­tisch tätig. Nun­mehr liegt ihre Tri­lo­gie zum Kul­tur­raum Rudol­stadt-Koch­berg vor. Auf die lie­be­voll gestal­tete Bro­schur Geschichte des Lieb­ha­ber­thea­ters von Schloss Koch­berg (1994) folg­ten in den »Rudol­städ­ter Schrif­ten« das umfang­rei­che Buch Thea­ter in Rudol­stadt sowie jüngst das vor­lie­gende Buch über Schloss Koch­berg als Künstlerdomizil. Zu den Anre­gern die­ser gedie­ge­nen Publi­ka­tion gehört erneut der Buchkünstler Jens Hen­kel, der für das gestal­te­ri­sche Gesamt­kon­zept der Buch­reihe ver­ant­wort­lich zeich­net. Sechs Kapi­tel, von der »Geschichte« bis hin zu dem poe­ti­schen Aus­blick »Was bleibt« umfasst das anek­do­ten­rei­che Buch. Förs­ter bevor­zugt einen unauf­ge­reg­ten, oft unter­halt­sa­men Erzähl­ton. Nam­hafte Gäste wer­den vor­ge­stellt: Dich­ter, Musi­ker, Schau­spie­ler, Regis­seure, Publi­zis­ten … Die Autorin erfasst indes­sen die Atmo­sphäre des Hau­ses im Gan­zen und so spricht sie glei­cher­ma­ßen von ihrem Per­so­nal im Büro, in der Küche, vom Haus­meis­ter und dem Fah­rer. Auch Letz­te­rer sorgte für gutes Essen und kümmerte sich um gedie­gene Weinsorten.

Das eigent­li­che »Wun­der von Koch­berg« geschah jedoch im Vor­feld der Arbeits- und Erho­lungs­stätte. In der Ägide Hel­mut Holtz­hau­ers, der ein schwie­ri­ger Chef, aber ein groß­ar­ti­ger Orga­ni­sa­tor und Visio­när war, gelang es, allen Wid­rig­kei­ten zum Trotz, gemein­sam mit den Men­schen vor Ort und den Betrie­ben der Umge­bung, einen her­aus­ra­gen­den Gedenk­ort der klas­si­schen deut­schen Lite­ra­tur zu gestal­ten. Zuvor war der Schloss­bau in einem erbärm­li­chen Zustand und in dem run­ter­ge­wirt­schaf­te­ten Park befand sich ein Kin­der­fe­ri­en­la­ger. Immer wie­der erin­nert Förs­ter daran, dass Koch­berg ein Arbeitsund Erho­lungs­ort war. Die Autoren such­ten vor allem Ruhe, die Musi­ker indes­sen benö­tig­ten Pro­be­räume. Im letz­ten Buch­teil kom­men Schrift­stel­ler zu Wort, die in beson­de­rer Weise und nach­hal­tig mit Koch­berg ver­bun­den waren – Sig­rid Damm etwa und Wulf Kirs­ten. Den Essay­is­ten Fried­rich Dieck­mann lernt der Lite­ra­tur­freund hier als Lyri­ker ken­nen. Auch der weni­ger bekannte Leip­zi­ger Autor Horst Dre­scher, der Erfin­der der Koch­ber­ger »Klin­ken­post«, wird nicht ver­ges­sen. Einer sei­ner Freundesgrü.e kann auf Seite 92 bewun­dert werden.

Dem Leser dürfte es nicht schwer­fal­len, auf Musik­schaf­fende und Autoren zu ver­wei­sen, die im Buch feh­len. So bleibt lei­der die 2010 ver­stor­bene Pia­nis­tin Elfrun Gabriel, deren Koch­ber­ger Som­mer­kon­zerte aus­ser­or­dent­lich beliebt waren, uner­wähnt. Auch den Jenaer Ger­ma­nis­ten Hans Rich­ter sucht man im Namens­re­gis­ter ver­geb­lich. Wäh­rend der Wen­de­un­ru­hen hat er im Schloss an sei­nem wich­tigs­ten Buch geschrie­ben, einer umfang­rei­chen Bio­gra­phie über den böh­mi­schen Lands­mann Franz Fühmann. Ein Blick auf Förs­ters Dar­stel­lung zeigt: Das Glas ist hier nicht halb­leer, son­dern reich­lich gefüllt.

Ein Koch­ber­ger Stamm­gast war bis 1990 Vol­ker Braun. Immer wie­der wohnte er im Zim­mer 307. Einige sei­ner Haupt­werke hat er hier geschrie­ben. Für das »Wendestück« Die Über­gangs­ge­sell­schaft, lesen wir bei Förs­ter, fand Braun hier Anre­gun­gen: Ein­zelne Koch­ber­ger Bürger waren den Figu­ren des Dra­mas nicht unähn­lich. Der Aus­sage, Braun hätte man in der DDR nicht zen­siert, ist hin­ge­gen ent­schie­den zu wider­spre­chen. (Vgl. Palm­baum, 1/2021)

Hier gilt es nicht nur, von nam­haf­ten Gäs­ten zu reden. Spre­chen sollte man ebenso von dem Buch­ge­stal­ter Alex­an­der Bern­hardt. Die­ser beschei­dene Mann steu­erte einen Bild-Block bei, der den Wert des Buches noch erheb­lich stei­gert. Das letzte Wort überlassen wir der vor­ma­li­gen »Schloss­her­rin«:

»Als nach 1990 wütende Gerech­tig­keits­fa­na­ti­ker von aus­ser­halb die Räume von Kel­ler bis Dach­bo­den inspi­zier­ten, zogen sie ent­täuscht wie­der ab – nir­gends eine Spur von Orgien und Skan­da­len. Die zweck­mä­ßige Ein­rich­tung wirkte ernüchternd und bot kei­nen Anlass für Enthüllungsstories.«

 

Hei­de­ma­rie Förs­ter-Stahl: Refu­gium auf Zeit – Die Arbeitsund Erho­lungs­stätte für Schrift­stel­ler und Künstler Schloss Koch­berg 1977- 1990, Rudol­städ­ter Schrif­ten, Bd. 7, 140 Sei­ten, 18 EUR

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