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Ulrich Kaufmann
Alle Rechte beim Autor. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Ulrich Kaufmann
Stilist von Rang
Der Thüringer H.-D. Schütt, studierter Theaterwissenschaftler, Kritiker und Autor von Büchern über Regine Hildebrandt, Schorlemmer, Dresen, Gundermann, Peymann und andere, hat einen Band über Stephan Hermlin (1915–1997) vorgelegt: Einen Autor mit einem beachtlichen, aber schmalen Werk, der besonders im Osten Deutschlands eine herausgehobene Rolle spielte.
Wer eine chronologisch entwickelte, durch Kapitel gegliederte, mit Bildern bereicherte und mit einem Namensregister versehene »klassische« Biographie erwartet, könnte hier enttäuscht werden. Schütt ist vor allem Essayist, ein Stilist von Rang. Dem Leser wird einiges abverlangt. Auf den hohen, mitunter poetischen Ton gilt es sich einzustellen. Der Autor nutzt die offene Form, die ihre Reize und Tücken hat. Das Buch lebt von Gedankensprüngen, von Textpartikeln. Wichtige Quellen des Essays, der bewusst Vieles vom privaten Hermlin ausspart, sind Auskünfte des Sohnes, des Musikers Andrej Hermlin, und immer wieder Notate Volker Brauns, der fast zum »Hermlin-Versteher« mutiert.
Schütts Buch besitzt auch sachlich-berichtende Passagen, in denen Ereignisse präzise festgehalten werden, die für die Kultur- und Literaturpolitik des Ostens von enormer Bedeutung waren: Zu Beginn der sechziger Jahre verhalf Hermlin der jungen DDR-Lyrik zum Durchbruch. Plötzlich redete man über Braun, Biermann, Sarah und Reiner Kirsch, Mickel und andere. Hermlin hatte deren Gedichte am 11. Dezember 1962 auf einem Akademieabend vorgetragen. Der Förderer – dem es materiell nicht allzu gut ging – verlor nach dieser Lesung seine Stelle in der Akademie der Künste.
Ausgelöst durch den Mut des jüdischen Antifaschisten Hermlin kam es zu Zeiten der Biermann-Krise, im November 1976, zu einem politischen Erdbeben: Die DDR hatte es – hier in trauriger deutscher Tradition stehend, – gewagt, einem unbequemen Staatsbürger das Recht auf Wiedereinreise zu verweigern. Die Kurz- und Langzeitfolgen der Petition, die zunächst zwölf Schriftsteller unterschrieben hatten, sind bekannt. Hermlin hatte aus den Jahren vor 1945 einen kurzen Draht zu Honecker. So konnte er mitunter Schlimmeres verhindern und Kollegen helfen.
Des Dichters lyrische Stimme erlosch nach dem XX. Parteitag. Ein glänzender Essayist war Hermlin, ein Übersetzer, Nachdichter, Erzähler und Herausgeber von Rang. Sein Deutsches Lesebuch. Von Luther bis Liebknecht (1976) hat bleibenden Wert, sein Hölderlin-Hörspiel Scardanelli (1970) stieß auf Interesse. Die enorme Bildung dieses Kenners der Weltliteratur war Garant dafür, dass er für plumpe Debatten nicht zu haben war. Hermlin, seit 1984 Ehrendoktor der Jenaer Universität, verstand sich als deutscher Dichter, nicht als DDR-Schriftsteller. Unergiebige Veranstaltungen verließ er.
Großes Aufsehen erregte Hermlin 1978 auf dem VIII. Schriftsteller-Kongress: Er sei ein »spätbürgerlicher Schriftsteller«, der sich seit Jahrzehnten als Kommunist verstehe. Diese Äußerung wird im Kontext der Arbeit an seiner berühmten Prosa Abendlicht (1979) plausibel. Auf den unsäglichen Streit, den Karl Corino mit seinem Buch Außen Marmor, innen Gips. Die Legenden des Stephan Hermlin (1996) kurz vor Hermlins Tod losgetreten hatte, geht Schütt nur knapp ein. Den hohen Stellenwert des Abendlichts hat er mehrfach überzeugend herausgestellt. Es erscheint ihm zu Recht unangemessen, diese Kunstprosa auf einen Bericht, ein Dokument zu stutzen.
Hermlin spielte eine Sonderrolle unter den Schriftstellern seines Landes. Manchem galt er nicht nur seines ansehnlichen Haarschopfs wegen als »graue Eminenz«. Der Dichter sah dies anders: »Ich war nicht besser und nicht schlechter als die Bewegung, der ich angehörte …«
Im letzten Drittel seines Buches reflektiert und zitiert Schütt, der für die Junge Welt schon vor dem Umbruch ein Interview mit seinem Protagonisten führen konnte, seine früheren Positionen – die die des FDJ-Zentralrates waren – mit Scham.
Schütt verweist am Ende seines Essays auf die schwer auffindbare letzte Erzählung Stephan Hermlins: Der Baum von 1994. »Es ist die Mosbacher Linde in Thüringen, in der Nähe der Wartburg, ein Ort des Träumens vor der Wand des Gewitters. Blick in eine Landschaft, als säße da noch immer Tannhäuser, lauschend dem Hirten, der die Flöte bläst, ehe er zurückkehrt in die Hofgesellschaft der Wartburg.«
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