Hanns Cibulka – »Am Brückenwehr. Zwischen Kindheit und Wende«

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Autor

Jo Fried

Alle Rechte beim Autor. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors. Erstdruck in: Palmbaum, Heft 2/2024.

Jo Fried

Iro­nie der Wende

 

Vor 20 Jah­ren starb Hanns Cibulka, Biblio­the­kar in Gotha und einer der feins­ten Natur-Betrach­ter. Ein Mann der stil­len, lei­sen Töne, der gerade des­halb von vie­len mit Dank­bar­keit in der DDR gele­sen wurde. Eigent­lich sollte bei Mat­thes & Seitz eine Art Werk­aus­gabe erschei­nen, doch nach dem Hid­den­see-Tage­buch Sand­dorn­zeit, 2020 zum hun­derts­ten Geburts­tag ediert, kam kein Fol­ge­band mehr. Stille, leise Töne haben es offen­bar heute noch schwe­rer, erhört zu werden.

Umso mehr sind die Anstren­gun­gen des klei­nen Not­schrif­ten-Ver­lags in Rade­beul zu schät­zen, der mit vier Bän­den seit 2005 den Autor vorm Ver­ges­sen bewahrt. Nun­mehr hat der Gothaer Heinz Puknus zwie­lich­tige Erin­ne­run­gen neu her­aus­ge­ge­ben. Am Brü­cken­wehr erschien erst­mals 1994. Cibulka berich­tet von einer Reise nach Jägern­dorf, heute Krnov an der Opava, frü­her Oppa, wo er 1920 gebo­ren wurde.Auf Schritt und Tritt erin­nert ihn alles an seine Kind­heit, mehr und mehr jedoch steigt in ihm die Erin­ne­rung an Eva auf, seine Jugend­liebe, die bei einem Hoch­was­ser in der Oppa ertrinkt. Das ist nicht zwie­lich­tig im schlech­ten Sinne von frag­wür­dig, wird aber vom Licht einer ande­ren Erin­ne­rung gebro­chen: vom Nach­den­ken über die erst fünf Jahre zurück­lie­gende „Wende“, die für den Erzäh­ler ebenso gra­vie­rend war, wie der Ver­lust der Geliebten.

Mit der glei­chen Inten­si­tät und Fein­heit, mit der Cibulka die Kind­heit wie­der­auf­er­ste­hen lässt, erin­nert er sich an die Frie­dens­ge­bete im Herbst 89 in der Leip­zi­ger Niko­lai­kir­che, an das Lächeln der Men­schen, die mit bren­nen­den Ker­zen auf die Straße gin­gen, Gesich­ter, in denen er „das Ant­litz der deut­schen Roman­tik auf­leuch­ten“ sah. Umso grö­ßer die Ent-Täu­schung über das Geschäft der Ein­heit, die ver­einte Geschäf­tig­keit. „Die Iro­nie der Wende: Die Ost­deut­schen haben sich einer Gesell­schaft ange­schlos­sen, die selbst einer Wende bedarf.“

Die Ver­ach­tung wachse täg­lich gegen­über der Erde, dem Tier, der Pflanze. Und was bedeute schon die Ein­heit Deutsch­lands im Ange­sicht kom­men­der Apo­ka­lyp­sen: „Wir wer­den zu einem ein­fa­chen, beschei­de­nen Leben zurück­keh­ren müs­sen, es wird das Kenn­zei­chen einer neuen Aris­to­kra­tie sein. Die Zukunft liegt im Ver­zicht, nicht in der Fülle.“

Wer will eine sol­che Zumu­tung hören, so leise, so eindringlich?

 

  • Hanns Cibulka: Am Brü­cken­wehr. Zwi­schen Kind­heit und Wende. Neu hrsg. v. Heinz Puknus, NOT­schrif­ten Ver­lag, Rade­beul 2024. 133 S., br., 12,90 EUR
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