Personen
Thema
Jens-F. Dwars
Alle Rechte liegen beim Autor. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors. Erstabdruck in: Palmbaum 1/2025
Jens‑F. Dwars
(Alp)Träume von Morgen
1983 erschien der Dialog mit meinem Urenkel von Jürgen Kuczynski im Aufbau-Verlag. Das Buch lag zuvor sechs Jahre auf Eis und wurde sodann ein Bestseller in zehn Auflagen. Beides aus dem gleichen Grund: Es stellte mit Blick auf die Zukunft die Gegenwart infrage.
Frank Quilitzsch folgt diesem Modell, obgleich er dessen Schwächen erkennt: Kuczynski missbrauche seine fiktive Urenkelin, indem sie ihm nur die Stichworte liefere, die den allwissenden Marxisten brillieren ließ. So entstehe kein echter Dialog.
Macht der Nachfolger es besser? Zumindest der Erzählplot ist ein anderer. Denn die Urenkelin eröffnet von sich aus den Dialog aus der Zukunft, indem sie ihrem Vorfahren durch ein Zeitfenster eine E‑Mail sendet: „Hallo, ich heiße Filipa und werde demnächst 14 Jahre alt …“ Das ist natürlich auch eine Konstruktion des Erzählers, aber sie hat Witz, sorgt für Spannung und könnte in einen Roman münden. Denkbar wäre, dass die Nachgeborene ihrem „Great-Granddaddy“ ein paar technologische Tipps verrät, um Katastrophen der Zukunft zu verhindern. Was freilich in SiFi-Thrillern zu anderen Katastrophen führt.
Der Autor verzichtet auf solche Spiele zugunsten eines einfachen Konstruktionsschemas: um die Zukunft zu erahnen, brauche man „nur die gegenwärtigen Prozesse in die Zukunft zu verlängern“. Darin gründen Größe und Grenze des Buches zugleich. Quilitzsch appelliert nicht moralisierend an seine Leser, sondern stärkt ihr Gewissen, indem seine Urenkelin uns mit den Folgen unseres heutigen Tuns konfrontiert: Die Erderwärmung lässt die Pole schmelzen, Küsten werden überflutet, Millionen fliehen in die gemäßigten Zonen. Filipas Klage wird im Mund ihres Bruders Pablo zur Anklage: Warum habt ihr, also die hier und heute Lebenden, das nicht verhindert?
Quilitzsch ist kein Schwarzmaler. Er räumt auch Fortschritte ein: die Schulmedizin heilt nahezu jede Krankheit und Frischzellenkuren sorgen dafür, dass die Leute weit über 100 werden. Sie erobern neue Lebensräume, wollen auch den Mars besiedeln. Doch ein Problem bleibt: Noch immer leben „Superreiche“ oder „Oligarchen“ auf paradiesischen Inseln, während die Mehrheit der anderen ums Überleben kämpft. Man könnte diese Verlängerung der heutigen Produktions- und Lebensverhältnisse für Realismus halten, mir scheint sie ein Mangel an Fantasie zu sein. Vielleicht hat der Autor seinen Marx doch zu früh in die Mottenkiste vergraben. Man muss ja nicht doktrinäre Zukunftsmodelle verordnen, man könnte aber seine Einsicht in alle bisherige Geschichte ernst nehmen, dass die Produktivkräfte hemmende Produktionsverhältnisse sprengen müssen, wenn sie überleben wollen. Das öffnet den Blick für das anders Mögliche. Für eine Zukunft, die nicht bloß Verlängerung der Gegenwart ist.
Frank Quilitzsch, Wovon träumst du, Filipa? Dialog mit meiner Urenkelin, Verlag Typen & Tasten, Bad Tabarz 2024, 218 S., br., 16,80 EUR
›Literaturland Thüringen‹ ist eine gemeinsame Initiative von
Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen · Thüringer Literaturrat e. V. · MDR-Figaro · MDR Thüringen – Das Radio
Gestaltung und Umsetzung XPDT : Marken & Kommunikation © 2011-2025 [XPDT.DE]
© Thüringer Literaturrat e.V. [http://www.thueringer-literaturrat.de]
URL dieser Seite: [https://www.literaturland-thueringen.de/artikel/frank-quilitzsch-wovon-traeumst-du-filipa/]