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Jens-F. Dwars
Erstdruck in: Palmbaum 2-2020. Alle Rechte beim Autor. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Jens‑F. Dwars
Anna Amalia & Goethe
Dieser Mann ist ein Phänomen: Während andere Dutzende von Büchern verfassen und sublime Essays über tausenderlei Gegenstände schreiben und doch kaum wahrgenommen werden, wiederholt der Deutsch-Italiener Ghibellino seit 19 Jahren immer wieder ein und dieselbe These und erregt damit Aufsehen im In- und Ausland.
Sein jüngstes Buch zitiert sie im Anhang genüsslich, die Pressestimmen von Stern, Spiegel und Zeit über Il Giornale und El Pais bis zur Prawda. Letztere schreibt zwar nur, dass Goethe in die Herzogin Anna Amalia verliebt gewesen sei, aber das ist ja auch der Kern der kühnen These, die auf den zweiten Blick weder kühn noch glaubwürdig erscheint. Es gibt auch genügend Gegenstimmen. Dass Ghibellino sie nicht in seine Presseschau aufnimmt, ist ein Zeichen mangelnder Souveränität.
Dabei besteht in dem Streit, den er losgetreten hat, sein unzweifelhaftes Verdienst. Allzu lange hielt die Goethe-Kirche an einem geglätteten Bild ihres Heiligen fest, vor allem dessen erstes Weimarer Jahrzehnt wurde kaum in Frage gestellt, sicher geglaubte und immer wieder abgeschriebene Legenden ersetzten das Quellenstudium. Als unbequeme Fragensteller haben Ghibellino und seine Mitstreiter einer »Anna Amalia und Goethe-Akademie«, die regelmäßig zu Tagungen einlädt, produktiv gewirkt. Studien etwa zu Graf und Gräfin Görtz haben neue Quellen erschlossen. Nur dort, wo das Material einzig und allein dazu herhalten muss, die vorab bereits vorausgesetzte These zu belegen, gehen die offenen Fragen verloren, werden sie von allzu fixen Antworten verschüttet.
So auch in dem neuen Buch. Ghibellino hat eine wirkliche Entdeckung gemacht: Er hat bemerkt, dass an Goethes Geburtstag die Morgensonne über dem Giebel des Römischen Hauses aufgeht, genauer gesagt, scheint sie aus dem Schornstein desselben emporzusteigen. Das ist im besten Wortsinn merkwürdig. Der Autor verweist auf die astronomische Verankerung von Bauwerken in der Antike. Offenbar steht das Römische Haus in deren Tradition.
Nun bemerkt Ghibellino zudem, dass bei den Sommer- und Wintersonnwenden die Lichtstrahlen auf die Westwand hinter dem unteren Durchgang des Hauses fallen. Man mag sie deshalb eine »monumentale Sonnenuhr« nennen, nur die Schlussfolgerung, die der Autor daraus zieht, ist abenteuerlich: Das Lichtspiel sei ein Zeichen dafür, dass sich hinter der Westwand die gemeinsame Grabkammer von Goethe und Anna Amalia befinden sollte. Dies sei das Bau gewordene Testament des Alten von Weimar.
Eine Goethe-Zeichnung zur Hexenküche im Faust und das Gedicht Geheimster Wohnsitz sollen das alles belegen. Wer’s nicht glaubt, kann auch nicht selig werden. Ein schöner Spaß mit vielen, vielen Bildern …
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