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Wikipedia-Eintrag zur Mühlburg
Jens-Fietje Dwars
Die Exkursion entstand im Rahmen eines Projekts des Thüringer Literaturrates e.V.
Durch eine Unterführung unter die A4 gelangt man durch die den Ort Mühlberg in steilem Aufstieg zur Mühlburg. Auf 377 m gelegen, ist sie die älteste Burg Thüringens. 704 erstmals urkundlich erwähnt, verfiel die kleine, aber wehrhafte Anlage im 17. Jahrhundert. Noch heute führt eine Holzbrücke über den Burggraben ins Innere, das von einem 22 Meter hohen Bergfried beherrscht wird. Ein 56 m tiefer Brunnen stammt aus dem 13. Jahrhundert, ein kleines Museum erzählt die Geschichte der Burg und ein Imbiss lädt zur Rast ein.
Der Romancier hat versucht, die Burg in seinem Zyklus »Die Ahnen« zum Sprechen zu bringen.
1816 als Sohn eines Arztes und Bürgermeisters im schlesischen Kreuzburg geboren, hat Freytag in Breslau und Berlin Germanistik studiert, über die »Anfänge deutscher Dramen« promoviert (1838) und war kurze Zeit Privatdozent in Breslau, bevor er 1848–1870 die Zeitschrift »Die Grenzboten« herausgab. 1867–70 war er Abgeordneter der Nationalliberalen im Reichstag, 1870/71 Kriegsberichterstatter auf Wunsch des preußischen Kronprinzen. Als Dramatiker (Die Journalisten/1853), Romancier (Soll und Haben/1855, 3 Bde, Die Ahnen/1872–80, 6 Bde) und Kulturhistoriker (Bilder aus der deutschen Vergangenheit, 1859–67, 4 Bde) schrieb er Bestseller, die ihn als ersten deutschen Schriftsteller zum Millionär machten. Seit 1851 verbrachte Freytag die Sommermonate in Siebleben bei Gotha, wo er 1895 auch beerdigt wurde. Heute erinnert im Garten seines einstigen Wohnhauses eine kleine Gedenkstätte an ihn.
So erfolgreich Freytag bis in die 1920er Jahre war, so wenig wird er heute noch gelesen. Das deutschnationale Pathos des Kaiserreichs ist für uns schwer erträglich. Nur sein – vermeintlicher – Antisemitismus ist heute noch berühmt-berüchtigt. Als Rainer Werner Fassbinder 1977 Freytags Roman »Soll und Haben« für den WDR verfilmen sollte, führten Vorabverurteilungen in der Presse – ohne Kenntnis des Drehbuchs – zum Scheitern des Projektes. Tatsächlich weist der Roman in Gestalt des jüdischen Kaufmanns Veitel Itzig alle antisemitischen Klischees seiner Zeit auf und setzt dagegen den edlen deutschen Kaufmann Anton Wohlfart. Doch lernt Itzig seine vermeintlich jüdischen Tricks gerade von einem gescheiterten deutschen Anwalt und wollte das Drehbuch die Klischees auf ihre sozialökonomischen Hintergründe hin durchsichtig machen. Erstmals zu lesen sind Auszüge des Drehbuchs neben einer Darstellung der gesamten Debatte in Heft 2/2016 des Palmbaums, das Gustav Freytag gewidmet ist.
Immerhin war es Freytag, der 1893 mit seiner Schrift »Über den Antisemitismus« entschieden gegen Richard Wagners Pamphlet »Judentum in der Musik« Partei ergriff. 1890 heiratet er die Jüdin Anna Strakosch. Deren Tochter Mika-Maria wurde 1943 nach Theresienstadt deportiert.
Produktiver als der Streit um Freytags Antisemitismus könnte ein genauerer Blick auf seine Kulturgeschichte und den Zyklus »Die Ahnen« sein. Mit den »Bildern aus der deutschen Vergangenheit« hat er mit dem bis dahin gültigen Geschichtsverständnis gebrochen: statt Haupt- und Staatsaktionen von oben festzuhalten, beschreibt er Geschichte von unten, vom Alltag aus. Das war seine Korrektur der Reichsgründung: Auch er warb als Journalist seit 1848 für eine nationalstaatliche Vereinigung der Deutschen, doch nicht von oben, wie durch Bismarck erzwungen, sondern in freier Selbstbestimmung und im Eingedenken der eigenen Geschichte. Das entsprach seinem Selbstverständnis als Liberaler, der es ablehnte, vom Gothaer Herzog geadelt zu werden. Und dem entsprach auch sein Zyklus »Die Ahnen«: Band I reicht mit »Ingo und Ingraban« bis ins mythische Königreich »der Thüringe« zurück. Ingo, Königssohn der Vandalen, genießt 357 Gastrecht bei freien Waldstämmen, wird aber dann zwischen Königshof, römischer Besatzungsmacht und dem Eigennutz der Vasallen zerrieben. Sein Nachfahre Ingraban wird 400 Jahre später ein Gefährte des Heiligen Bonifatius und als dessen Begleiter von Heiden erschlagen. Band II kreist um »Das Nest der Zaunkönige«, das ist die Mühlburg 1003 als Sitz der Nachkommen Ingrabans: Immo, der Erstgeborene, ist der Kirche geweiht, entläuft aber dem Kloster und dient als »Krieger« dem König, ohne als Vasall in dessen Dienst zu treten, und wird von ihm selbst als kleiner, als »Zaunkönig« der freien Waldbauern geehrt. In Band III (»Die Brüder vom deutschen Hause«) folgt Ivo von seinem Freihof in Ingersleben aus 1226 den Kreuzrittern nach Jerusalem, erlebt als Gesandter des Kaisers Verrat und Hinterhalt unter Christen und flieht vor dem Ketzerjäger Konrad von Marburg zu den Deutschordensbrüdern nach (Ost-)Preußen.
Die letzten drei Bände (»Marcus König«, »Die Geschwister« und »Aus ein kleinen Stadt«) spielen dann vom 16. Jh. bis 1848 in Ostpreußen und Schlesien. Doch die Thüringen-Trilogie der drei ersten legt die Grundlage des Ganzen. Immer geht es um freie Selbstbestimmung, die Nachteile und selbst den Tod um der eignen Ehre willen tapfer erträgt, statt klug mit Hinterlist auf den eignen Vorteil zu berechnen. Ehre, Treue, Offenheit werden auch den Fremden, gar Feinden, Heiden und »Ungläubigen« zugemutet, während sich kirchliche und weltliche Amtsträger bis hin zum Kaiser in ihrem Machtkalkül verstricken. So erscheinen die frühesten Ahnen, die »Helden« aus dem Thüringer Wald, als edle Wilde – wie die Indianer bei Karl May, bis hin zu einer blumigen Bildsprache voll eigener Poesie.
Anders gesagt: die bürgerlichen Werte, die Freytag seiner Klasse ins Stammbuch dichtet, sind aristokratisch und aller Ehren wert. Dabei spannend verpackt mit quasi filmischer Erzähltechnik, die Hollywood vorwegnimmt – inklusive Pathos und Melodramatik. Im besten Sinne zu denken gibt das Leitbild vom ritterlich treuen Deutschen, das auf seine Art auch Nietzsche träumte, und auf fatale Weise mit in den Alptraum des Dritten Reichs führte.
Einfach bin ch in Sinn und Sitte. Wie eng und klein das Leben ist, in dem ich aufwuchs, habe ich in der Fremde völlig erkannt. Doch will ich die heimische Art nicht von mir abthun; redlich will ich bleiben in Liebe und Hass, die gewundenen Gedanken und die kalte List des Kaisers Friedrich kann ich nicht loben … Dort an der Seite siehst du den alten Thurm, die einzige Erinnerung an meine Vorfahren, er ist zerrissen und geflickt … Aber so lange sein Haupt gegen die Berge ragt, bewahre ich mir den Stolz, ein kleiner Herr zu sein und nicht ein mächtiger Diener.
Die letzte Thüringer Königstochter Radegunde (518 – 587) wurde 531 nach der Schlacht an der Unstrut vom Frankenkönig Chlothar I. verschleppt, musste ihn heiraten, verweigerte sich ihm aber und gründete 558 ein Frauenkloster in Potier, wo v.a. Notleidende und Kranke Hilfe fanden. Nach ihrem Tod wurde sie zur Heiligen erklärt und bis heute v.a. in Frankreich verehrt. Die Kapelle taucht erstmals 1333 in Urkunden auf, ihre Grundmauern wurden in den 1930er Jahren freigelegt. Mit der Lebensbeschreibung Radegundes durch ihren Beichtvater Venantius Fortunatus (um 540–600/610) beginnt in gewissem Sinne die Thüringer Literaturgeschichte oder zumindest die literarische Verarbeitung Thüringer Geschichte.
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