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Hansjörg Rothe
Hansjörg Rothe / Thüringer Literaturrat e.V.
Zwölf Jahre nachdem ihm der Nobelpreis für Literatur verliehen worden war, trat Günter Grass mit einem Text an die Öffentlichkeit, in dem er vor einem Krieg der Atommacht Israel gegen den Iran warnte. Den Prosatext »Was gesagt werden muss« bezeichnete er als Gedicht und reklamierte die künstlerische Freiheit für seinen Inhalt. Obwohl er sich nicht auf Schiller berief, hätte dessen Gedicht »Die Künstler« von 1789 geradezu als Kommentar für diese Strategie gelesen werden können, in dem es heißt:
Von ihrer Zeit verstoßen flüchte
Die ernste Wahrheit zum Gedichte,
Und finde Schutz in der Kamönen Chor.
Das Beispiel machte Schule. Die »ernste Wahrheit« des Günter Grass sollte schon bald Gesellschaft bekommen unter den Fittichen der italischen Quellnymphen. Prosatexte mit entsprechendem Zeilenumbruch waren immerhin schon seit Jahrzehnten als Gedichte akzeptiert worden, man denke nur an Erich Fried, doch der Anspruch künstlerischer Freiheit zog in nur wenigen Jahren immer weitere Kreise. Schillers erstaunliche Weitsicht macht »Die Künstler« heute zu einem hochaktuellen Text, wie die Ereignisse der letzten Tage eindrucksvoll belegen. Das »Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus« verlautbarte, man habe die Unterschrift unter eine Unterlassungserklärung von einem Berliner Kollektiv namens »Zentrum für politische Schönheit« erwirkt – damit wurde die öffentliche Aufmerksamkeit auf eine Gruppe von Leuten gelenkt, die sich selbst als »Künstler« bezeichnen, den gleichnamigen Text von 1789 aber in ganz neuem Licht erscheinen lassen.
Dabei hat es Schillers Gedicht natürlich nie an Bezugnahmen gefehlt. Helmut Qualtinger, der große Wiener Schauspieler, Autor und Kabarettist wählte 1965 »Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben« als Titel eines Soloprogramms in dem er zwei alte Mimen über ihre Jugendjahre an diversen Provinzbühnen schwärmen lässt. Das völlige Aufgehen in der eigenen Wahrheit und Ignorieren des großen Weltganzen (»Ich habe alle meine Premieren im Kopf – als Ollendorf im Bettelstudent, 20. Juli 1944 in Teplitz-Schönau!«) wird ungeschminkt dargestellt, ohne die Charaktere bloßzustellen. Einige Jahre zuvor hatte sein »Herr Karl«, ein wienerisch-charmanter Mitläufer der Nazizeit, ihm noch Morddrohungen eingebracht. In Chemnitz habe er einmal den siebenten Zwerg in »Schneewittchen« gespielt, lässt Qualtinger den einen Mimen berichten (»Wie hast du ihn angelegt?« »Hintergründig …!«), das Publikum kann mit den Alten lachen, nicht über sie.
Inzwischen haben sich die Zeiten geändert. Die Fortsetzung des Zitats lautet wie folgt:
Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben.
Bewahret sie! Sie sinkt mit euch, mit euch wird sie sich heben.
Die hauptstädtischen Aktivisten des »Zentrums für politische Schönheit« sehen die Provinz-Akteure nicht mehr als Adressaten ihrer »Kunst«, sondern als deren Objekte. Da schließt sich der Kreis von Schiller zum Grundgesetz – die Würde des Menschen ist unantastbar, auch in Chemnitz darf man kein »Recherchebüro Ost« eröffnen und Photos von Mitbürgern aushängen unter der Überschrift »Gesucht: Wo arbeiten diese Idioten?« um 100-Euro-Scheine für Denunziationen auszuloben.
Die gerechte Empörung sollte uns jedoch nicht dazu verleiten, wie Qualtingers Mimen den eigenen Lebenskreis mental abzuschotten und nicht wahrhaben zu wollen, dass am 20. Juli 1944 vielleicht noch anderes bemerkenswert war als die Operettenpremiere in Teplice-Šanov. Und damit zurück zu Schillers Gedicht, das die Künstlergenerationen zur Renaissance-Zeit mit den Zeilen preist:
Vertrieben von Barbarenheeren,
Entrisset ihr den letzten Opferbrand
Des Orients entheiligten Altären
Und brachtet ihn dem Abendland.
Da stieg der schöne Flüchtling aus dem Osten,
Der junge Tag, im Westen neu empor,
Und auf Hesperiens Gefilden sproßten
Verjüngte Blüthen Ioniens hervor.
Die schönere Natur warf in die Seelen
Sanft spiegelnd einen schönen Wiederschein,
Und prangend zog in die geschmückten Seelen
Des Lichtes große Göttin ein.
Da sah man Millionen Ketten fallen,
Und über Sklaven sprach jetzt Menschenrecht;
Wie Brüder friedlich mit einander wallen,
Wo mild erwuchs das jüngere Geschlecht.
Mit innrer hoher Freudenfülle
Genießt ihr das gegebne Glück
Und tretet in der Demuth Hülle
Mit schweigendem Verdienst zurück.
Heute sind es die orientalischen Christen selbst, die, vertrieben von Barbarenheeren, als Flüchtlinge zu uns kommen. Wenn zu Beginn des 21. Jahrhunderts in Libyen und dem Irak wieder Sklavenmärkte abgehalten werden darf uns das nicht kalt lassen. Der Menschheit Würde in und für uns selbst zu verteidigen, ist die eine Sache, über der wir aber das große Ganze nicht aus den Augen verlieren dürfen.
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