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Siegfried Nucke
Alle Rechte beim Autor. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors. Der Beitrag erscheint in Heft 1/2022 der Zeitschrift Palmbaum - literarisches Journal aus Thüringen.
Musenhof Thüringen
Von Siegfried Nucke
Wer sagt, er habe in einem Buch geblättert, läuft Gefahr, auf kultivierte Weise Desinteresse zu zeigen. Ich blättere seit Wochen immer wieder in dem vorliegenden Band – und das belegt höchstes Interesse: Fast 1.100 Seiten fassen Ignasiaks akribische Arbeit zusammen. Von den unausweichlichen Zettelkästen, Dateiordnern, Briefschaften, Auszügen, Kopien, handschriftlichen Notizen habe ich eine vage Vorstellung – Das literarische Thüringen ist ein Schwergewicht geworden, in jeder Hinsicht. Eine Wunderkammer der Literatur, Wandregale voller Schatzkästlein – manche mächtig und prächtig, andere nüchtern und kühl, faktenreich in jedem Fall. Sicher gibt es die großen Namen, sie wurden in Thüringen zu dem, wofür man sie verehrt. Dann wieder Zeugnisse jener, die man nur vage in Erinnerung hat, hier gibt es Entdeckungen! Und man stößt häufig auf die heute unbekannten Schreiber und Dichter, Poeten und Lyriker aller Geschlechter, die Ignasiak dem Namenlosen entreißt. Jeder, der in Archiven gesucht, in brüchigen Zeitschriften gelesen hat, weiß um die Zeit, die das braucht; den Zufall, den beiläufigen oder geflüsterten Rat der Hüter der Konvolute und das aufmerksame Arbeiten zwischen grauen Archivalien und aufgeschnürten Akten. Funde, die im Buch aufblitzen, denen der Verfasser nicht immer weiter folgen kann, bei deren Nennung er es belässt – seufzend oder knurrend. Jeder, der in einer versteckten Ecke auf Neues stößt, weiß um das Glück dieses Moments und die sich anschließende Qual des Verzichtens, weil … Wie bändigt man die Fülle, die Thüringen – literarisch – bietet? Ignasiak ist mutig, er ordnet ein. Die Krone: Orte mit herausragendem literarischem Rang. Die Medaille: Orte mit literarischem Rang – und die mit wichtigen Zeugnissen, welche man bislang übersehen hat. Von Altenburg über Artern – bis Waltershausen und Weimar. Und die Idee, von herausgehobenen Orten aus eine Rundreise in die nähere Umgebung anzutreten – das regt zu Ausflügen an, die wirklich Überraschungen zu bieten haben. Das Inhaltsverzeichnis braucht dreißig Seiten, was nicht an der Schriftgröße liegt. Schauen wir z.B. auf »Sondershausen“: Hier bildet sich etwas ab, was dem ganzen Buch zuzuschreiben wäre: Im Kleinen findet sich immer der Bezug zum Allgemeingültigen, Großen, Bedeutenden. Das ist nicht neu, aber trotzdem verblüffend im Konkreten: Friedrich von Sydow publizierte Die Jungfrau. Nach den Anforderungen des vernünftigen, gebildeten und gefühlvollen Mannes. Oder Winke zur Ausbildung des weib[1]lichen Geschlechts. Aus der Feder eines Mannes. Seine Frau Wilhelmine von Sydow gründete den Sondershäuser Frauenverein. Sohn Emil war u.a. »… ein bedeutender Kartograf, dem wir die heute noch übliche Farbgebung (Tiefland=grün, Gebirge= braun) der Landkarten verdanken.«(S. 784) Im kleinsten Dorfweiler finden sich die Verbindungslinien zur großen Welt: Nehmen wir Löbichau im tiefen Thüringer Osten: »Seine geistigen Impulse empfing dieser Musenhof nicht aus Weimar oder Jena, auch nicht aus Gotha oder Altenburg, …, sondern – was ihn in Thüringen heraushebt – aus den europäischen Metropolen, an denen seine Stifterin fast drei Jahrzehnte lang verkehrte, … von denen sie als eine Frau von außerordentlichem Format akzeptiert, ja hofiert wurde.«Die Rede ist von Anna Dorothea von Kurland. (S. 761) Natürlich stößt man allüberall auf Goethes Spuren. Wegweisend selbstverständlich. Aber man wird vielleicht überrascht, dass Goethes Vorfahren auch aus Berka an der Wipper oder Artern an der Unstrut stammten. In Großfurra heiratete August Hermann Francke seine Anne Magdalena. In Grüningen verliebte sich Novalis. In Schalkau in Südthüringen finden sich Reformator Maximilian Mörlin und Romanautor M.E. Franck sowie auch der Raketenpionier Fritz Müller. Literatur in Thüringen wird auch lebendig, wenn literarische Texte zum Ort eingestreut werden, so zum Beispiel Hanns Cibulkas Gedicht Dornburg oder Joachim Ringelnatz‘ Verse, die auf den Ort Kunitz Bezug nehmen. Dass er seine Frau »Muschelkalk« nannte, hat man schon irgendwo gelesen. (S. 573) Aber wer weiß, dass er mit zehn Jahren in Frauenprießnitz getauft wurde? Dass Ignasiak auch zum Schalk neigt, zeigen Andeutungen wie: »… die genealogischen Wurzeln der Feuerbachs [ragen] bis in die Weimarer Fürstenfamilie [hinein]«(S. 149). Und es berührt mich, wenn ich auf Menschen stoße, an die ich mich dankbar erinnere: Margarete Braungart (verst. 1998), die im Buch so zitiert wird: »Beim Kuchenbacken sollte man alle fünf Sinne beisammen haben. … Die Ohren nehmen das feine Wispern des gärenden Hefeteigs wahr und hören zugleich auf den neuesten Dorfklatsch.«Ein Wink aus Grimmelshausen, meine ich, der auch auf Literatur weisen könnte. Kurzum: ein wichtiges Buch, vielseitig, detailreich, farbenfroh – ein lebendiges Kompendium zu dem, was der Titel annonciert: Das literarische Thüringen.
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