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Annette Seemann
Alle Rechte bei der Autorin. Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Autorin. Erstdruck (in gekürzter Fassung) in: Thüringische Landeszeitung, .12.2023.
Johannes Bäumert (Jg. 1981) aus Römhild
Von Annette Seemann
Wenn man mit dem Apotheker von Untermaßfeld, Johannes Bäumert, die von seiner Mutter geführte Mohrenapotheke von Römhild betritt, speziell deren Hinterzimmer und noch spezieller deren Gewölbekeller, begibt man sich auf eine Zeitreise, die einen etagenweise in weit entfernte Jahrhunderte entführt. In das Mittelalter oder die frühe Neuzeit …
In der abgeschiedenen Welt des Grabfeldes, der Herrschaft Römhild, ist Schloss Glücksburg in Römhild wohl die Chiffre und gleichzeitig das Gebäude von zugeordneter Bedeutung für die Apotheke, denn das heute fast ausgestorben wirkende Römhild war zwischen 1680 und 1710 einmal eine veritable Residenz, mit Namen Sachsen-Römhild. Somit war Johannes Bäumerts Heimatgebiet, das Grabfeld, eine eigenständige Herrschaft, bevor es nach vielen Erbstreitigkeiten, auf die zurückzukommen bleibt, im Herzogtum Sachsen-Meiningen aufging.
Das Grabfeld: Ein hügeliges Grenzgebiet zwischen Südthüringen und Nordbayern, man spricht dort eine ostfränkische Mundart, die auch Johannes Bäumert nicht verleugnet. Ja, er wuchs in der ehemaligen DDR auf, an der Grenze zu Bayern, die nur fünf Kilometer weiter verläuft … heute eine Landesgrenze im föderalen Staat, damals eine bewehrte Grenze. Kein Herüberkommen war denkbar. Die Westverwandten sandten Pakete. Die Bäumerts hatten alles … so seine Erinnerung. Er erinnert sich lediglich seltsamer Rituale bei der FDJ … doch Mangel und Unfreiheit waren ihm nicht bekannt, denn er ging auf in dem, was ihm vor Ort geboten wurde und empfand darin und bis heute einen Schatz, den er auch anderen sichtbar machen möchte. Johannes Bäumert brennt auf einer ruhigen Flamme für Römhild, sprich: Er versteht es, auch zu warten.
Als Glückskind konnte er schon seine Gymnasialzeit im wenige Kilometer entfernten bayrischen Gymnasium verbringen, mit aufgeklärten Lehrern, die nicht ausgetauscht werden mussten. Da ihn schon früh ein Interesse an der Geschichte beherrschte. »Woher, denken Sie, haben Sie dieses Interesse, Herr Bäumert?«….«Na, kommen Sie, dann wollen wir mal in den Apotheken-Keller hier gehen.« So begeben wir uns in kühle Räume mindestens zehn Meter tiefer, wo Bäumert demnächst ein Alchimisten-Museum einrichten möchte.
Demnächst ist nicht klar definiert. In fünf bis zehn Jahren? Wenn die anderen Projekte, die er in und um Römhild verwirklichen möchte, in Sack und Tüten sind … Nein, wegziehen kommt für ihn derzeit nicht in Frage. Das Töchterchen ist klein, er hat die Apotheke und seine vielen Interessen … wenn überhaupt, im Ruhestand, dann vielleicht nach Augsburg, dort hat man einen Feiertag mehr als sogar in Bayern, den des Augsburger Religionsfriedens.
Was ihn am Grabfeld, seiner Heimat (bitte: gebrauchen wir das Wort einfach ganz naiv, der Ort, woher ich komme, ohne irgendeine politische Konnotation) so reizt, ist die Tatsache, dass es hier immer wieder auch bedeutende Menschen gab, die den Reiz ebenfalls spürten, sich auf die Vorhergehenden bezogen und damit anfingen, das für Bäumert wohl einzigartige »Puzzle« zu gestalten, dem er auf der Spur ist. Und dieses Puzzle ist sowohl sein Lebenspuzzle als auch ein lyrisches, denn die Lyrik hat es ihm ebenso angetan wie die Geschichte: »Mein Leben ist wie ein Puzzle, es fügt sich ein Teil zum anderen.«
Nein, einen Roman, so sagt er vehement, den könne er gar nicht zu Ende lesen, er habe seit jeher Angst, alle Figuren miteinander zu verwechseln, und in Bayern am Gymnasium hätte man sich in der Oberstufe klar für einen Kurs, Roman oder Lyrik, entscheiden dürfen … Das leuchtet mir ein: Eine Stimme ist in der Lyrik obwaltend, jedenfalls zumeist. Im Roman: Viele Stimmen, viele Identitäten … eine unklare Gemengelage … und über das Grabfeld, warum er sich so wohl hier fühlt, hätten schließlich einige Lyriker die entscheidenden Sätze gesagt, dazu könne er gar nichts mehr hinzufügen. Aber es sind individuelle Stimmen. »Das kann gar nicht besser gesagt werden«. Und deshalb auch hier einmal Harald Gerlach zu Römhild:
»Abseits der Lößinseln, unter terrassierten
Muschelkalkhängen weinseligen Angedenkens
Kümmert, zwischen Fronhag und Merzelbach,
sein poetischer Rübenacker. Keuper
schrundiger Konsistenz. Der Dichter Uz
hat hier den kastalischen Quell gehört ….«[1]
Und warum Bäumert das alles wichtig findet?
Römhild soll wieder glänzen … die schon oft hervorgerufene Vision eines Arkadiens soll aufscheinen, denn warum sonst kamen immer wieder Ausnahmepersönlichkeiten hier an, blieben, besangen den Ort und vergaßen ihn auch nie mehr? Weil der Ort sowohl von seiner Topographie, seiner Geologie, seiner Geschichte her Anziehungskraft bietet. Die Gleichberge … der kleine und der große. Schon zu vorgeschichtlicher Zeit gab es eine Ansiedlung auf dem kleinen Gleichberg.
Daher noch zur Abrundung gleich noch einmal Harald Gerlach zu Johann Peter Uz in Rönhild (so der Titel des Gedichts, mit folgendem Motto von Uz:
»Ich fühle mich wie neugebohren,
Und fang erst nun zu leben an,
Seit fern vom Trotze reicher Thronen,
Ich hier in Freyheit athmen kann.«[2]
Dann fängt Bäumert an, von Carl Kade zu sprechen, der in aufsteigender Linie mit ihm verwandt ist … ein Vorfahr und auch einst Apotheker und Besitzer der Mohrenapotheke.
Deren Haus Bäumert besitzt und nach und nach restauriert. In dem er auch mit Frau und Tochter lebt. Eigentlich ein Lebenswerk …
Carl Kade ist ihm ein großes Vorbild als Interessierter und »Rattenfänger« und parallel zu denken zu den Lyrikern wie Johann Peter Uz und Harald Gerlach. Weshalb auch noch ein Gedicht Gerlachs zu Kade, denn das Wort Puzzle ist hier wirklich einzusetzen, eingesetzt werden muss – hier greift alles ineinander, jeder knüpft bei dem Vorigen an:
»Lebenslauf
für C. K.
Der goldne Mohr überm Laden
Und das blanke Porzellan
Von Arnika bis Zinnkraut.
Dazwischen ein Leben,
weiter gefasst als
Approbation und
pharmakopoesche Vorschrift:
Stammpflanzen sammeln,
Bronzefibeln und
Dörfische Verse, die Welt,
begreifen aus ihrer lokalen Benennung,
Vergangenheit neuwiegen,
mit der Handwaage,
granweise zusammentragen
die Wurzeln menschlicher Landschaft.«[3]
Damals war der Mohr, aus dem Schloss Glücksburg dem Apotheker übergeben, der einige seiner Dekorationsfiguren verdienten Bürgern der Stadt übergab, kein Problemfall. Und der Name auch nicht. So wie heute. Ich fürchte also um den althergebrachten Namen der Apotheke.
Sollte man nicht aus Geschichtsbewusstsein einfach mal hier Ruhe walten lassen, einen QR-Code anbringen, um für die Allerkritischsten noch etwas Sachliches zu bieten?
Kehren wir zurück zu dem Apotheker Kade: Er ist Bindeglied zwischen Bäumert und seiner Zeit und dem /den Alchimisten der frühesten Tage der Apotheke, und da stoßen wir auf den Namen May …
Man muss schon sehr aufpassen, um nicht ins Trudeln zu geraten bei dem ständigen Wechsel der Zeitebenen, die bei Bäumert offenbar in friedlichem Miteinander ein Bild ergeben, das Puzzle eben, von Römhild und dem Grabfeld.
Tja, der Alchimist. Wie kam er nun diesem auf die Schliche, wollte ich wissen? Bei einer archäologischen Grabung hinter seinem Haus, wo er eine Fläche erwarb, auf der früher noch eine Fortsetzung des Apothekenfachwerkhauses stand.
Aber warum und wieso gräbt ein Apotheker in Römhild hinter seinem Haus aus oder lässt dies tun (und sich dabei anleiten dazu)? Weil er nämlich von seinem Vorfahr, dem Apotheker Carl Kade gelernt hat, dass Römhild und seine Umgebung (Stichwort: Das Grabfeld, Die Steinsburg!) voll mit Funden ist, eine Fundgrube, die Grundfunde birgt, im Grabfundfeld … dass man also auch als Apotheker, was Carl Kade ja in erster Linie war, auch Hobbyarchäologe werden kann. Alles war also bereits für Bäumert schon einmal vorgebahnt gewesen. Durch Carl Kade.
Und daher: 2017 ging es los, erst auf Bäumerts eigene Kosten (für Interessierte: Das dauerte insgesamt sieben Monate lang, den ersten Monat hat er selbst finanziert), als es die Grabfeldfunde nur so regnete (über 1000 Fundstücke wurden geborgen und verzeichnet), ging es auf Kosten des Thüringer Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie. Mit sympathisch verdecktem Stolz weist Bäumert auf die Plakate des Landesamts hin, die er im Hinterzimmer der Mohrenapotheke aufgestellt hat, um die Grabung besser demonstrieren zu können, sowie den HAUPTFUND:
So gab es nicht nur 1000 einzelne Glas- und Keramikfunde, teils noch wohl erhalten, nein, es gab auch ein paar zunächst undefinierbare Tonscherben, gewölbt, die dann jedoch, und hier war der Archäologe auch der Interpret, zweifelsfrei die Scherbe, der noch einige andere im Zuge der Grabung (= Grabfeld) folgten, als Teil einer Alchimistendestille erklärten.
Der erste Apotheker der Mohrenapotheke, bevor sie diesen Namen trug, also ein Alchimist??
Ja, Bäumert geht soweit, ihn zu identifizieren als Dr. Johannes May (1592–1671), einem an den Universitäten Jena, Wittenberg, Marburg und Gießen studierten, in Basel promovierten Mann, der sowohl für den Hof in Coburg als auch in Römhild als Stadtphysikus tätig war. Ein kopiertes Portrait Mays ist in einem Seitenfenster des in Restaurierung begriffenen großen Fachwerkbau der Mohrenapotheke samt Wohnung der Familie Bäumert sichtbar.
Also ein Alchimist als Vorfahr der eigenen Existenz als Apotheker, Herr Bäumert? Bäumert hat keine Probleme, diesen kleinen Angriff zu kontern, versteht vielmehr die Alchimie als einen Weg von der puren Kräuter- und Erfahrungsmedizin hin zu einem wissenschaftlichen Verständnis derselben. Ob da auch nach Gold gesucht wurde, im Auftrag der Herzöge natürlich, in der Destille, mag dahingestellt sein …
Suchen wir nicht immer alle auch nach Gold im regelrechten oder übertragenen Sinne? Bäumert erkennt kein Problem, bald einmal in seinem wunderbaren Gewölbekeller, der das Lager der mütterlichen Apotheke und einen fast leeren Raum mit einigen Glasfundstücken aus der Grabung birgt, demnächst ein Alchimistenmuseum einzurichten.
Römhild kann glänzen, und Römhild hat einiges zu bieten, sagt er.
Und legt noch einen ganz speziellen Fund vor, gefunden im dreistöckigen Dachstuhl, den er sukzessive beräumt und sichtet … Unter einer Bodendiele fand er ein von einem Brand beschädigtes (da kenne ich mich nun seit dem Brand der Weimarer Bibliothek 2004 perfekt aus!!) Rezepturbuch des in der Apotheke praktizierenden Alchimisten (so vermutet er) … ein wahres Grabfeldgoldfundstück also, und er schlägt mir eine Seite des mit wirklichen Schmauchspuren versehrtes altes Buch aus dem 17. Jahrhundert auf, wo dreimal in großen deutlichen Lettern Abracadabra steht… so ist ganz deutlich, wie damals die Wissenschaft eines, aber der Glaube an auch heidnische Kräfte, mit der Natur verbunden, ebenfalls wirksam waren, und das alles in absoluter Nähe der Stiftskirche (St. Maria und Johannes) und der sie umgebenden 14 Häuser der Stiftsherren. Die Kirche zu besuchen mit ihrem Bronzesarkophag ist ein absolutes Muss, nur nebenbei …
Und sage mir einer etwas über Toleranz in der frühen Neuzeit. Die existierte in ganz klarem Austausch. Nur wo dieser fehlte, kam es zu Missverständnissen. Der Alchimist May offenbar (oder jemand anders, falls Bäumert hier falsch liegen sollte…) war ein Kommunikator.
Die Stunden verfliegen im wahrsten Sinne des Wortes. Bäumert wird, wenn ich es mir recht überlege, im Nachgang meines Besuchs eigentlich zu Carl Kade redivivus, er vereinigt auf sich so viele von dessen Interessen und hat auch noch – wie Kade – eine einzige Tochter. Heute noch ein kleines Kind.
Bäumert wurde vor etlichen Jahren Mitglied der Steinsburgfreunde, dem von Kade und seinem Mentor Alfred Götze aus Berlin, Archäologe seines Zeichens, inspirierten Verein der Steinsburgfreunde (gegründet 1925), auf dessen Areal Götze und Kade 16 Ausgrabungen durchführten … wen wundert es, dass quasi alle Apotheker aus dem Grabfeld, aus Hildburghausen und Meiningen … ebenfalls da teilnahmen? Wen kann das wundern, ist doch die Ausgrabung ein sehr kleinteiliges Geschäft, da will neben dem Graben auch gesiebt, gesichtet, geteilt werden … und ist nicht das des Apothekers Grundtugend? Die Scheidekunst? Die Alchimistenkunst …Bäumert ist seit einem Jahr Vorsitzender der Steinsburgfreunde, und er stellt sich damit in eine Reihe der archäologieinteressierten Apotheker seines Landstrichs. So mit dem Märchensammler Ludwig Bechstein, der ebenfalls archäologische Grabungen rund um Römhild unternahm. Aus diesem Interesse für die steinzeitlichen Ansiedlungen auf den Gleichbergen entwickelte sich Götzes Interesse und schließlich das Steinsburgmuseum und dessen Freundeskreis. Und heute sind das immerhin 80 aktive Mitglieder.
Aber damit ist keineswegs Schluss hinsichtlich Bäumerts Aktivitäten. Es wurde ja bereits deutlich, wie stark seine Lyrikbegeisterung geht. und da kann es natürlich nicht ausbleiben, dass er sich für einen Gedenkort für Harald Gerlach in Römhild einsetzt. Oder für Uz und Gerlach gemeinsam: Der Geselligkeit stiftende Brunnen muss wieder her, der ihn so lange schon umtreibt, ganz nah zu seinem Fachwerkhaus und vor der Stiftskirche. Den man auf alten Stadtansichten immer gesehen hat … zuletzt als Pumpenbrunnen. Bäumert wünscht sich den Uz und den Gerlach als das barocke Brunnenbecken säumende Brunnengestalten.
Und er wünscht sich darüber hinaus einen speziellen Raum für Harald Gerlach, denjenigen, der ernsthaft, aber als Dichter die Spuren Römhilds in Vorgeschichte, Geschichte und Literatur nachzeichnete.
Das ist ein ehrenwertes Anliegen.
Bäumert könnte zahlreiche ungenutzte öffentliche oder andere Räume in Römhild benennen, die für einen solchen Zweck zielführend wären.
Sinnstiftung durch Rekonstruktion und Belebung: das könnte man als Motto für Johannes Bäumerts vielfältige Aktivitäten einsetzen.
[1] Harald Gerlach: Grabfeld II, in: Hgg. Bettina Olbrich (Vorwort Ingo Schulze): So ist alles gesagt. Ausgewählte Texte aus den Jahren 1972–2000. Wann und wo??, S. 37.
[2] Zit. nach Bettina Olbrich, ebd., S. 77.
[3] Ebd. S. 59.
Foto privat. Abdruck der zitierten Gedichte mit freundlicher Genehmigung von Bettina Olbrich.
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