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Jens-F. Dwars
Alle Rechte beim Autor. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors. Erstdruck in: Palmbaum 1/2025
Jens‑F. Dwars
Dreimal feine Gedichte
1957 in Suhl geboren, war Andreas Koziol Mitherausgeber der Untergrundzeitschrit Ariadnefabrik. Einer der leisen, doch um so präziser sprachmächtigen Lyriker des Prenzlauer Bergs. In Heft 1/23 brachten wir im Palmbaum einen Vorabdruck aus dem Gedichtband, der jetzt, ein Jahr nach seinem Tod bei Kookbooks erschienen ist.
„Menschenkunde: Mensch ist Kunde / Einsamkeit Gesellschaftsspiel“, heißt es in Eilmeldungen. Unbestechlichliche Lakonie kennzeichnet all diese Gedichte. Kein Zynismus, eine Traurigkeit, die mit Reimen und zuweilen auch derbem Witz das Grundverkehrte unserer Welt ins Bild setzt: „Der Schatten wird zum Licht / Die Pole kehrn sich um / Der Arsch wird zum Gesicht / Der Himmel weiß warum“.
Ein Unzeitgemäßer: „Wir waren zu lange die Antwort / auf Fragen die niemand mehr stellt“. Der wusste: „Es gibt keine Lösung – es gibt nur das Los.“ Lutz Seiler, einem Zeitgemäßen mit ganz anderer Ästhetik, ist dieser Band zu verdanken. Im Nachwort bekennt er sich als Bewunderer der Gedichte Koziols.
In einladendem Hellblau wie die Menschenkunde kommt auch der neue Band von Lutz Rathenow daher. Eine Art Autobiografie in Versen. Schon das erste Gedicht beginnt mit: „Kindheit, eine nie endende Höhle / unter dem Tisch“. Dichtung ist sein Spielplatz, der Schutzraum, in dem Rathenow die absurde Welt beschreibt, sie in groteske Bilder transformiert. Mit der anarchischen Lust eines ewig jungen Ich, das sich der Ordnung der Erwachsenen nicht fügen will, erschafft er eigene Welten grenzenloser Fantasie, zeigt uns als „ewige Kinder“, die „wie ein Grashüpfer … / Von Planet zu Planet“ springen.
Das ist keine hohe Poesie, aber eine lebendige, die aus dem Kindlichen ihre Kraft zur Weltbejahung zieht. Darin liegt Stärke und Schwäche, oder sagen wir: die Gefahr seiner Gedichte in eins: Lutz Rathenow sprudelt nur so vor Einfällen und er ist dabei versucht, einen jeden schnell aufzuschreiben, ohne lange daran zu feilen. Einer dieser zauberhaften Einfälle: wir beobachten die Sterne und „Träumen, sie träumten / von Wesen wie uns / beobachtet zu werden“. Und der kürzeste: „Glück 1989 / Ganz ohne Knall – / der Mauerfall.“
Natürlich kann man den Zusammenbruch und dessen Folgen auch anders sehen, aber Witz hat dieses comic-haft verkürzte Geschichtsbild in Dada-Manier. Zehn Originalholzschnitte von Katja Zwirnmann potenzieren die Lust am Blättern und Lesen in dem Buch.
Der schönste der drei Bände ist vielleicht der schmalste: Nur 32 Seiten umfassen die Orpheussplitter von Thomas Böhme, von Steffen Büchner mit drei Linolschnitten illustriert, darunter einem expressiven Porträt des Dichters.
Der wird in diesem Jahr 70 und zeigt sich in den wenigen Gedichten auf der Höhe seines Könnens. Weitblickend souverän schon der Beginn: Roms langes Sterben – heimlich unheimliche Vorschau auf den Untergang Europas: „So bringt Schönheit Verderben denen, die sie entweihten.“
Fein das Hadrian-Gedicht: „Seit ich ein Gott bin / flieht mich der Schlaf. // Und erst seit ich geliebt habe / weiß ich, was die Christen / mit ewiger Verdammnis meinen.“
Am stärksten die Orpheus-Splitter: „Als Orpheus nur mehr ein Name war, den die Zugvögel / in die fernsten Regionen der Erde trugen, nahmen / Glocken ihn auf und pflanzten ihn in die Köpfe der / Ketzer, damit ihre Seelen gefestigt dem Feuer ent- / stiegen. (…) Doch der / Wind trug das Stöhnen unterschiedslos von den / Schindackern in die Welt, daß es anschwoll zum Sturm, / der die Steine zum Singen brachte und die Flüsse aus / ihren Betten zerrte.“
Berührend zuletzt die Abbitte an die Mutter: „Wenn sie umwölkt von betörenden Düften / sich über mein Kinderbett neigte / war ich geblendet von ihrer Schönheit & Güte“ / (…) / Meine Bücher blieben ihr fremd / doch las sie jedes von Anfang bis Ende. / (…) / In der Nacht war sie einsam gestorben. / Einen nächtlichen Anruf hatte ich überhört.“
Andreas Koziol, Menschenkunde. Gedichte, Hrsg. v. Lutz Seiler, kookbooks Berlin 2024, 89 S., geb., 24 EUR
Lutz Rathenow, Früher ist morgen. 111 Gedichte mit 10 Holzschnitten von Katja Zwirnmann. Verlag Ralf Liebe, Weilerswist 2025, 152 S., 25 EUR
Thomas Böhme, Orpheussplitter. Gedichte, Lyrik-Edition Neun, Bd. 33, Verlag der 9 Reiche, Berlin 2024, 32 S., 9 EUR
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