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Ulrike Brune
Thüringer Literaturrat e.V. / Die Reihe »Gelesen & Wiedergelesen« entstand mit freundlicher Unterstützung der Thüringer Staatskanzlei.
Wiedergelesen von Ulrike Brune
Nicht von ungefähr heißt der Held in Franz Hodjaks Roman »Der Sängerstreit« Klingsor:
Ein gewisser »Klingesôr von Ungerlant« tauchte bereits im 13. Jahrhundert in der Manesseschen Liederhandschrift auf, zunächst nur als Name einer Strophe, die Wolfram von Eschenbach verfasst hat, der mit Klingsor einen Wettstreit in künstlichen mystischen Rätseln auf der Wartburg ausficht. Später verfestigte sich das Missverständnis, dieser Klingsor habe nicht nur die Strophe, sondern die gesamte Liederhandschrift verfasst und sei gar selbst einer der Meistersänger gewesen, die 1206 oder 1207 am sagenhaften Sängerkrieg auf der Wartburg teilgenommen haben. In Herders Konversationslexikon von 1867 heißt es zu ihm recht schnöde:
»Sind die wenigen Ueberbleibsel von Dichtungen, die dem K. zugeschrieben wurden, ächt, dann war K. kein großer Dichter«.
In Franz Hodjaks »Sängerstreit« erscheint der alte Klingsor, ein ehemaliger Pferdedieb, eines Tages auf der Wartburg, um beim Sängerstreit mitzumachen. Der hatte allerdings schon im Jahr zuvor stattgefunden, und den nächsten soll es erst wieder in fünfzehn Jahren geben. Klingsor trifft auf den misstrauischen Burgherrn und Despoten Hermann I. Landgraf von Thüringen, der seine Untertanen abwechselnd in den Kerker wirft, zum Tode verurteilt, kreuzigt, über die Burgmauern werfen oder begnadigen und zu Ehrenrittern befördern lässt; die, wenn sie nicht verhungert sind, lieber vorher erschlagen werden möchten oder mitten in der Zeremonie vor Überanstrengung sterben. Darüber sind der Burgherr und die Wartburg, wo mittlerweile Tanzbären als oberste Ritter fungieren, vor die Hunde gekommen: Die Burg ist fast komplett entvölkert, es mangelt an Ehrenleuten und Bediensteten, und zu essen gibt es auch nichts mehr. Hermann I. ist einsam und das hasst er.
Zu Klingsor, der wie sein fabelhafter Namensvetter in der Liederhandschrift aus dem fernen Siebenbürgen stammt, fasst Hermann Vertrauen, obwohl er der Auffassung ist: »Als Gott die Welt erschuf, hatte er Siebenbürgen nicht auf seiner Karte«. Klingsor soll ihn mit Geschichten ablenken. Und da auch der 1944 geborene und vielfach preisgekrönte Autor Franz Hodjak aus Hermannstadt in Siebenbürgen stammt, weiß er genau, wovon er spricht, wenn er seinen Klingsor dem Burgherrn erzählen lässt: »Es war eine laute Gegend. Sogar der Schnee fiel polternd vom Himmel.« Hermann schläft bei Klingsors Geschichten allerdings ständig ein. Und wenn er wieder aufwacht, fängt er, gerade so als wären die beiden Duettpartner in einer Oper, sofort seinerseits an weitschweifige Reden zu führen. Manchmal schläft er auch dabei ein und redet dann im Traum weiter. Und manchmal denkt Klingsor zwischendurch an Siebenbürgen und erinnert sich,
»… , wie glücklich er war, wenn er im Winter durch die Karpaten wanderte und tags schlief, um in der Nacht, bei Vollmond, die Wölfe zu beobachten, die auf den Hinterbeinen saßen, sich auf die Vorderbeine stützten und Hals und Kopf dem Mond entgegenstreckten und heulten und heulten, wer kann das wissen, vor Glück oder aus Verzweiflung oder vor Langeweile oder aus Spiellust, aber es waren immer schöne Konzerte, die schönsten, die ich jemals gehört habe, und diese Konzerte haben meine Lieder inspiriert …«.
Die Offenbarungen der beiden bewegen sich scheinbar immer irgendwo zwischen Tiefsinn und Blödsinn, aber sie bergen unglaublich viele überraschend brandaktuelle Gedanken. Der Burgherr meint z. B.:
»Wenn man schon kein Verbrechen begangen hat und trotzdem in den Kerker geworfen wird, dann ist man selber schuld.«,
und lässt Klingsor an anderer Stelle wissen:
»Ich hasse … die Feiglinge nicht, nur, sie tun mir leid. Aber Feiglinge, keine Frage, braucht die Welt, so viele wie nur möglich, sonst könnte sie gar nicht funktionieren. Stell dir vor, Klingsor, die Welt wäre nicht voll von Feiglingen, dann gäbe es nur Rebellionen. Die Welt, die aus dem Chaos geboren wurde, würde wieder in das Chaos zurückfallen. Wer die Welt noch retten kann, sind die Feiglinge.«
Überhaupt ist der Burgherr ein Freund alles Negativen, erst wenn man gelernt habe zu morden, zu stehlen, zu vergewaltigen, dann werde man erkennen, dass man wirklich frei ist. Vor Klugheit hat er Angst. Gefangenschaft, Hass, Mord und Krieg preist er dagegen unverhohlen als Tugenden:
»…der Frieden ist die größte Katastrophe, im Frieden richtet man sich ruhig ein, man wird schlapp und schlapper und stumpft ab, die Aggressionslust geht verloren, die wichtigste Eigenschaft der Tapferkeit, nein, am Frieden geht die Welt kaputt, an Kriegen nur Menschen.«
Einmal meldet sich ein Gefangener bei ihm und sagt:
»… mein Gewissen plagt mich, ich habe sieben Morde begangen, ich kann das nicht mehr aushalten, Burgherr, lass mich an einen Baum knüpfen, dann ist die Qual zu Ende.
Es gibt hier keinen Baum.
Und was soll jetzt geschehen?
Du sollst alle abführen, die nicht gemordet haben.
Wieso ich?
Die Sünde kann ich verzeihn, doch die Dummheit nicht.«
Auch Klingsor kommt zwischendurch mal in den Kerker, und dort findet ein wirklicher »Sängerstreit« zwischen den todgeweihten Gefangenen statt, die vor dem Sterben noch ihre irrwitzigen Geschichte loswerden wollen, z. B. diese:
»Ein Gefangener sagte, in meinem Kopf bin ich eine Poststation, die alle Briefe liest und zensiert und, gesondert, an verschiedenen Instanzen weiterleitet, nur an den Empfänger nicht.
Und weshalb sitzt du jetzt hier, im Kerker, fragte ein anderer Gefangener.
Weil ich irgendwann verrückt wurde und sowohl die Briefe als auch die Instanzen nicht mehr auseinanderhalten konnte.
Siehst du, wenn man zuviel liest, fällt einem zuviel ein, das ist das Übel.«
Oder diese:
»Ein Gefangener erwachte und sagte, ich wollte meine Tochter Fötzl taufen, weil mein Weib so eine enge Scheide hatte, aber die Kirche wollte diesen Namen nicht akzeptieren. Der Gefangene, nachdem er gebeichtet hatte, starb.«
Vom Burgherrn wieder aus dem Kerker befreit, »pißte Klingsor auf seine eitrigen Füße« – dies zieht sich sozusagen als running joke durch den ganzen Roman – , und so wird auch das »Pissen« selbst einmal thematisiert:
»Klingsor sagte, ich piß jetzt über die Grenzen deiner Vorstellungen weit hinaus. Das ist wunderbar, sagte der Burgherr, nur piß nicht in meine Vorstellungen. Ich weiß nicht, ob es dir gelingt, über meine Vorstelllungen hinaus zu pissen, und wenn es dir nicht gelingt, piß, bitte, daneben. Wenn es kein Ideal mehr gäbe, worauf sollten wir dann pissen. Auch unsere Philosophen halten sich da heraus sie denken nicht darüber nach, wann und worauf sie pissen. Das finde ich unklug.«
Am Ende kommt es tatsächlich noch zu einem »Sängerstreit« zwischen Klingsor und dem – inzwischen fettleibig gewordenen – Walther von der Vogelweide, der plötzlich auf der Wartburg aufkreuzt. Es findet zunächst ein Geschichten-Wettstreit statt, den Walter mühelos gewinnt, indem er einfach sagt:
»Ich bin der Größte.«
Es folgt ein Wettlauf den Burgberg hinauf, zu dessen Sieger der Burgherr ebenfalls den Walther erklärt, weil der – im Gegensatz zu dem viel früher eingetroffenen Klingsor – durch das Burgtor gelaufen und nicht nur gegangen ist. Die letzte Prüfung besteht dann tatsächlich in einem zur Laute vorgetragenen Lied, wobei es plötzlich der Burgherr selbst ist, der, von Walther mehr schlecht als recht auf einer einsaitigen Laute begleitet, dreimal hintereinander ohrenbetäubend laut dasselbe Lied singt, was selbstverständlich dazu führt, das Walther auch diesen Wettstreit gewinnt. Ein Sieg Klingsors wäre eine Niederlage für den Burgherrn gewesen.
Dennoch werden Hermann und Klingsor am Ende sogar noch Freunde. Weil Klingsor sich trotz Drängens des Burgherrn weigert, die Wartburg zu übernehmen, behält der die Macht. Klingsor dagegen verabschiedet sich, er möchte zurück in seine Heimat, den »Ekel, das einzige Land, in dem es keine Gefangenen gibt, keine Morde, keine Rache.«
»Der Burgherr umarmte Klingsor noch inniger. Klingsor, sagte er, du wirst mir fehlen, es wird wieder eine schreckliche Einsamkeit in mein Herz einkehren, die ich schon kenne aus der Zeit, bevor du auf der Burg erschienen bist.
Klingsor löste sich aus der Umarmung des Burgherrn und ging langsam den Burgberg hinunter.
…
Was Klingsor nicht für möglich gehalten hätte, geschah. Er drehte sich um und winkte dem Burgherrn zurück, bis er hinter der nächsten Wegbiegung die Burg aus den Augen verlor.«
Wer Lust hat, einmal tief in das Gefühlsleben eines Despoten einzutauchen und zu erleben, was ihn eigentlich bewegt und umtreibt, dem sei dieses Buch wärmstens ans Herz gelegt. Es ist überraschend, wie viele Parallelen man zwischen Hermann I. von Thüringen und seinen aktuell an der Macht befindlichen, über den ganzen Erdball verstreuten Nachfahren im Amt des Diktators entdeckt. Dass sie am Ende ziemlich allein dastehen, weil ihnen das Volk einfach ausgeht, bemerken sie leider meistens erst viel zu spät.
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