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Ort
Thema
Wolfgang Haak
»Dichters Wort an Dichters Ort« / Thüringer Literaturrat e.V.
Aussicht
Die Saaleplatte unter einem leergefegten Himmel schwankt unter meinen Schritten. Nie weggegangen, nie angekommen. Nur eine Baumzeile am Horizont setzt den Maßstab für Ort und Zeit. Aber die Schlösser und Gärten säumen noch den Abgrund. Kein Verweilen. Ich suche Scherben in der Schrunde, wo sich ein Rinnsal geduldig in den Felsen gräbt. Laubengang, Taxus und Lorbeer, Spiralen aus bunten Kelchen, so schlängeln sich Wege, die kein Schicksal berühren. Im Weinberg das Haus, das mein Heimweh hütet, als könnte ich noch einmal vor die Tür hinaus ins Leben treten. An den Aussichtspunkten ordnen sich die Sehnsüchte neu. Das Licht verschwindet. Berg und Tal werden eins. Das Fernweh aus Kinderzeit beginnt im Kopf zu schmerzen. Ein leichtes Beben erschüttert den letzten Standort, Fluchtpunkt heimwärts im Schatten der Schlösser. Im Saaletal rauschen die Züge vorüber, als wäre nichts geschehen.
Funkturm
Die geschliffenen Alleen im Rauschen der Windparks, fern von Steudnitz her das Gellen der Signalhörner, ehe der Berg in die Luft fliegt. Tal, Gebirge und Garten verhüllt, Fetzen aus Staub, die über das Land schleifen. Kein Funksignal auf dem Hügel, auch nicht im Schäfergrund hinab zur Saale, nur ein Knistern im wolkentragenden Äther. Keine Sonne, die rötlich scheidend, rings den Horizont vergolden könnte. Zu Fuß von Hirschroda nach Dornburg unter einem Sternenhimmel, der nur zu ahnen ist.
Voigtstein
Nicht mehr zurück, nicht mehr hinan! Nur fünf Fuß breit Erde, Abgrund, ein Mann, der den eigenen Schatten grüßt. Noch segelt überm Tautenburger Forst ein Bussard durch die Oktoberröte eines späten Tages. In die Farben des Feldahorns möchte man gehüllt sein, gewappnet für die frostige Stille, die kommen wird. Noch thronen die Schlösser über jeden Steinschlag erhaben am Weinberg und die Quitten am Fünfeck duften aus ihren samtenen Augen. Dämmerung verstellt den Heimweg. Immer früher zünden im Tal die Lichter.
Dornburger Abend
Die Zeit umkreist den Wanderer als Schattenzeiger. Das Rathaus, die Kirche, zwei Häuserzeilen im Zwielicht. Fenster und Türen geschlossen, hier und da noch Erinnerungen an Krämerläden. Leere Wäscheleinen über leergefegte Höfe gespannt, auf denen Spatzen hocken. Katzen gähnen auf staubigen Schwellen. Der Wanderer rettet sich zum Ausblick, wo er in ein seliges Schauen versinkt und auf des Lebens Urgrund von blumenbegrenzten Wegen hinabschaut. Ein Lied in der Gurgel vom Knaben, der das Röslein brach. Stille. Die Zeit trödelt zwischen den Schlägen der Turmuhr herum. Der Schattenzeiger bleibt stehen. Und während das Echo des Glockenschlags zurückkehrt, füllt der Mond Busch und Tal und breitet lindernd seinen Blick über den Wanderer, der die Blütenblätter einer gebrochenen Rose abzählt: Sie liebt mich, liebt mich nicht, liebt mich, liebt mich nicht…
Von Golmsdorf nach Dornburg
Nur ich kann sie sehen, Tänzer im Reigen am Serastein. Ihre weißen Gewänder wehen im Mittagsdunst des frühen Herbsttages, der rauchlos verbrennt. Die Saale schlängelt sich glitzernd durch Wiesen und Felder von Erlen und Weiden bewacht. Ballast wirft der Sommer ab. Blumen, die verblühen müssen, Vögel, die nicht bleiben können. Am Horizont die Schlösser. Über allem die Prozession der Wolken, die schneeweiß leuchten wie die Tänzer in ihren Gewändern, die sich im Reigen drehend, vor meinen Augen in Luft auflösen.
Dornburg fern
Im Augenwinkel ein Rest blauer Farbe überm Horizont. Wolken segeln dahin wie flüchtende Sehnsüchte. Rechterhand die Obstgärten, über der Hangkante ein roter Milan im Aufwind, Beute im Visier. Plötzlich die Schlösser am Abgrund über dem Saaletal, Grenze der Welt für mich, das Kind. Dahinter liegen nicht die Dörfer Eckolstädt, Hirschroda und Wilsdorf, nein, das Fernweh und die Angst vor der Ferne. Muschel, Schnecke und Scherbe in der Faust, als fester Halt in der ummauerten Provinz meiner Kindheit. Im anderen Augenwinkel wahrnehmbar ein Lichtreflex, aus dem ein Reiter samt Pferd ausbricht, mit wehendem Umhang die Klippen hinabstürzt, kurz vor dem Aufprall militärisch grüßend. Im Alten Schloss sitzt die Mutter, Königin der Nacht, mit einem Strickstrumpf für den barfüßigen Taugenichts. Als der Grind auf dem Knie des Kindes reißt und das Blut hervorquillt, verschwimmen Garten, Tal und Gebirge vor den Augen und die Saale strömt rötlich schimmernd zwischen den Feldern. Die Schlösser entzünden sich vor der scheidenden Sonne, ehe sie, begleitet vom Geläut der Kirchenglocken ringsum, in der Nacht verglühen.
Über den Alten Gleisberg hinweg
Hinter uns Taupadel, vor uns der Alte Gleisberg. Über den Südhang getupft purpurne Bluttropfen. Die Blüten der Pfingstrosen. Mit dem Wurzelstock in der Hand beginnen wir die Flur neu zu vermessen und verschieben die Grenzsteine unserer Erinnerungen. Auf der Höhe stehen wir an den Brandnarben der Wiese. Die laute Welt murrt fern. Nur eine Goldammer singt das Lied von der Einsamkeit. Da capo, da capo, al fine. Abstieg durch die Buchenhallen des Nordhangs. Ratlos halten wir Rast am verlassenen Dachsbau und sehen überwinterte Blätter wie Träume zu Tal wirbeln. Wir treffen uns mitten in jener Zeile wieder: Auch das Vergangene ändert sich täglich. Also lassen wir die Flasche kreisen und trinken mit den Schatten der Wandergenossen von einst. Hinter Löberschütz geraten wir am Rand einer stillgelegten Strecke auf das Abstellgleis. Ein Geisterzug fährt lautlos vorüber. Unser Tagwerk beschließen wir Wort für Wort als zwei Streckenläufer auf abschüssiger Lebensbahn. Vor uns Taupadel, hinter uns der Alte Gleisberg. Rüttelnd steht der Bussard im letzten Blau.
Rückblick
Irrlichter über dem Wasser, Spiegelungen aus einer Welt umschlossen vom großen Saalebogen. Die Felder geflutet, Pflug und Egge am Grund. Im Bodenlosen aufgewühlt, was verborgen ruht. Nur die Stille des Schwemmlands lastet auf den Wasserspiegeln der Tümpel und Lachen, in denen die unscharfen Bilder der Luftschlösser im Trüben schweben. Ich bin angekommen ohne Ende, ohne Anfang, unaufhaltsam mit den Jahreszeiten im Kreis gegangen. Was für ein Lebensweg. Stimmen im Schilf: Willst alter Knabe du mit uns gehen. Wohin, wohin.
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