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Holger Uske
Alle Rechte beim Autor. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors. Erstdruck in: Palmbaum, Heft 2/2024.
Holger Uske
Lyrische Landschaften
Harald Lindig ist seit Jahrzehnten eine markante Größe im literarischen Südthüringen. Mit seinen verspielten, phantasievollen und zumeist den gängigen Begriff gerade angesagter Literatur konterkarierenden Arbeiten stößt er immer wieder auf große Resonanz. So geschehen auch bei den Premieren seines neuen Gedichtbandes Am Rand entlang in Ilmenau und Suhl. Lindigs Vermögen, die Zuhörer auf seine poetischen Ausflüge mitzunehmen, ist beeindruckend und spiegelt sich in seinem 96-seitigen neuen Band.
Seine thematische Vielfalt reicht von den letzten Geheimnissen der ihn umgebenden Thüringer Landschaft – zuweilen gespickt mit Kindheitserinnerungen – über eingestandene Distanz zu kommunikativen Verzerrungen bis hin zu tief durchlittenen Erfahrungen. Wie sonst käme Wahrheit ins Gedicht? Mit diesem Buch setzt der Autor einen weiteren Meilenstein auf seinem literarischen Weg.
Herausgeber André Schinkel, der seit langem der Südthüringer Szene zur Seite steht, sagt zu der neuen Publikation in seinem Nachsatz: »Harald Lindig hat … über die Jahre eine ganz und gar eigene Stimme entwickelt und bewahrt – sein Gedicht ist scharf im Sinn und konkret wie poetisch in der Ansprache zugleich, changierend zwischen großer Sicherheit im Tritt und Aufbegehren für die Wahrheit in den Dingen.«
Dem studierten Physiker gelingt es in seinen Texten, seine überbordende Phantasie in ein Spannungsfeld zu setzen zur allzu oft scheinbar banalen Wirklichkeit. In Kopfbahnhof heißt es beispielsweise: »Treppen fluten Vorhallen, / Katzen jammern hinter den Türen / der Schließfächer, / in den Höhlen der Unterführungen / lauert das Vorübergehen.« In Wildnis ist zu lesen: »Berge ballen / Permafrost-Fäuste.«
Der Leser ahnt das Verhängnis, das hinter diesen Zeilen wohnt, das scheinbar einfach Gesagte birgt auch die Gefährdungen unserer Welt. Der Dichter Harald Lindig spielt subtil mit Wahrnehmungsmustern wie einst der »Kleinen Hufeisennase« (im Gedicht Bumerang), vermag aber ebenso die Schönheit des Augenblicks einzufangen wie in Nach Mitternacht, wo von einer weißen Katze »mit dem Halsband / aus Mondleuchten / unten am Gartentor« die Rede ist. Ebenso verfremdet er Erlebtes – und kehrt dabei zum Eigenen zurück, wie in Durchs Moor zu lesen: »hinter den Feldern / tröste ich die Roggenmuhmen / die ermattet an den Böschungen / der Wege liegen // sie aber helfen mir / aus meiner alten Haut«.
Lindigs lyrische Landschaften sind oft leicht im Ton, fast immer hintergründig, in jedem Falle aber überraschend in den poetischen Wendungen. Ihnen sind fünf Tuschzeichnungen und Kaltnadelradierungen des Zella-Mehliser Künstlers Frank Rothämel zugesellt, die den Blick auf die Wege am Rand entlang erweitern.
So zugewandt Lindig auch agieren mag, sein Vertrauen in das Funktionieren der Gesellschaft hat, auch aufgrund seiner 70-jährigen Lebenserfahrung, deutliche Risse erlitten. Im Titelgedicht Über den Rand heißt es zum Schluss: »im Sonnenwind / Glutnester treiben / sorgsam unbewacht / Farben wechseln // sich hüten / vor den Menschen«.
Diese lyrische Stimme aus dem Ilmenauer Ortsteil Manebach sollte als Bereicherung der mitteldeutschen Literaturlandschaft unbedingt Gehör finden.
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