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Christian Hofmann
Alle Rechte beim Autor. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors. Erstdruck (in gekürzter Fassung) in: Thüringische Landeszeitung, .12.2023.
Die »charmanteste Nervensäge Thüringens«
Rosemarie Fickel – Bürgermeisterin aus Leidenschaft
Von Christian Hofmann
Der Aufenthalt in Bauerbach blieb für Friedrich Schiller zeitlebens prägend: Menschlich erfuhr er Zuwendung und selbstlose Hilfe. Für Schiller war Bauerbach so etwas wie der Beginn seiner Sesshaftwerdung oder anders ausgedrückt der Ursprung einer neuen Heimatverbundenheit.
Für Rosemarie Fickel ist Bauerbach schon immer Heimat gewesen, die untrennbar mit dem schwäbischen Dichter, der 1782 im bauerbachschen Anwesen der Henriette von Wolzogen Zuflucht fand, verbunden ist. Hier, im einstigen Ort des Exils von Friedrich Schiller, fühlt sie sich heimisch und emotional mit Schiller verbunden.
Seit 1984 arbeitet sie als Kommunalpolitikerin und noch viel länger hat sie ihr Handeln dem Andenken Schillers gewidmet. Schon als junges Mädchen stand Rosemarie Fickel auf der Naturbühne des Ortes und debütierte als Laienschauspielerin in Schillers »Wilhelm Tell«. Das ganze Dorf übte und probte damals, 1959, das Schillerstück. Deutschlandweit wurde der 200. Schillergeburtstag gefeiert. In Bauerbach sollte der »Tell« aber besonders gut werden, denn zum Schillerjubiläum firmierte die kleine Freilichtbühne zum offiziellen Arbeiter- und Bauerntheater »Friedrich Schiller«.
Die Theaterarbeit bestimmte für die nächsten Jahrzehnte das gesamte Dorfleben und Rosemarie Fickel war immer mittendrin. Sie sorgte für den Aus- und Umbau der Freilichtbühne, stieß kommunale Infrastrukturprojekte an und trommelte für die überregionale Strahlkraft des 260 Seelen Ortes. Wenn sie von den alten Zeiten auf der Freilichtbühne berichtet, funkeln ihre Augen und ein Lächeln zieht über ihr Gesicht. Mit Stolz erzählt sie, wie sich zu DDR-Zeiten sogar Besucher aus dem angrenzenden Bayern hier einfanden, um die Aufführungen im Arbeiter- und Bauerntheater zu erleben. Für dieses Spektakel wurden extra die Grenzen des damaligen Sperrgebietes von 10:00–19:00 Uhr für die Gäste aus dem kapitalistischen Ausland geöffnet und auf einmal standen BMW- und Mercedeskarossen zwischen Trabi und Wartburg. Die Trabis sind inzwischen weitestgehend verschwunden, aber dass bis heute Aufführungen auf der Bauerbacher Naturbühne zu erleben sind, ist auch dem Einsatz Rosemarie Fickels zu verdanken. Kurz nach der Wende war es, als sie beherzt zu Stift und Briefpapier griff und dem ersten Thüringer Kultusminister und stellvertretenden Ministerpräsidenten Ulrich Fickel vom Naturtheater und von Bauerbach schrieb. Die Namensvetternschaft hat aber keine wirklichen verwandtschaftlichen Bande, wie sie betont. Ob sie beim Minister dennoch Wohlwollen auslöste, darüber kann nur spekuliert werden. Gesichert ist, dass der Brief, anlässlich des 30jährigen Jubiläums der Spielstätte, keine Gelegenheit ließ, das Theater und Schillers Zufluchtsort in der vielschichtigen Thüringer Kulturlandschaft zu vergessen. So kamen die ersten bundesdeutschen Fördermittel. Inzwischen spielt und engagiert sich schon die vierte Generation auf den Naturbrettern Bauerbachs.
Für Rosemarie Fickel ist es das sichtbare Zeichen, dass sich Einsatzkraft und Wille lohnen. Auch dem Rat des Kreises Meinigen fiel dies damals, vor mehr als 40 Jahren, auf. Deshalb fragten die Ratsmitglieder kurzerhand bei der engagierten jungen Frau an, ob sie nicht Bürgermeisterin werden wolle. Man kannte sich ja schon aus einer Dekade der gemeinsamen Arbeit im örtlichen Gemeinderat. So kam es, dass sie, damals 28jährig, das Amt übernahm und nun seit mehr als 35 Jahren, seit 1988, die Geschicke von Bauerbach leitet.
Zunächst war sie hauptberuflich als Bürgermeisterin bis 1994 tätig. Danach sah die erste Gebietsreform in kleinen Gemeinden keine hauptamtlichen Bürgermeister:innen mehr vor. Seitdem führt sie das Amt als ehrenamtliche Bürgermeisterin aus. 2012 erfolgte die Eingemeindung in die Gemeinde Grabfeld. Seit dieser Zeit übt sie das Ehrenamt als Ortsteilbürgermeisterin von Bauerbach und Mitglied des Gemeinderates der Gemeinde Grabfeld aus. Zudem ist sie noch Vorsitzende des Schillervereins Bauerbach.
Rosemarie Fickel studierte von 1984 ‑1989 Staatenrecht im Fernstudium und erwarb den Abschluss als Diplom-Verwaltungswirt. Mit diesem Rüstzeug wurde sie Büroleiterin im Thüringer Landesamt für Familie und Soziales, denn Ehrenamt allein macht nicht satt. Dennoch setzte sie sich unverändert für Bauerbach ein und legte sogar noch ein Verwaltungsstudium drauf. Dabei sieht sie das Verwalten im klassischen Sinne gar nicht als ihre Hauptaufgabe an. Viel wichtiger ist ihr das »Gestalten und Entwickeln«, die Dorfgemeinschaft zu aktivieren und den Zusammenhalt zu pflegen.
Fragt man nach Rosemarie Fickels Selbstbild, versteht sie sich als Macherin und Impulsgeberin. Dafür ist es natürlich wichtig, gute Kontakte zu haben, sich mit den Gesetzen auszukennen und die bürokratischen Maschinerien zu nutzen, damit die Traditionen weiter bestehen können. Noch heute holt sie sich Rat und Austausch bei alten Kolleginnen und Kollegen von früher aus den Ministerien. Der kurze Dienstweg öffnet manche Tür ein bisschen schneller und weiter. Schon damals waren sie und die anderen angetrieben vom Geist etwas zu schaffen, etwas zu verändern oder die Dinge voranzubringen. Das dies geht, zeigt die Bürgermeisterin und will für alle ein Vorbild sein. Sie packt immer selbst mit an und ist präsent.
Für die Besucherinnen und Besucher von Bauerbach wird dies spürbar, wenn sie auf den neuen Bürgersteigen durchs Örtchen wandeln, vorbei an gepflegten Gärten und am Gedenkstein für Friedrich Schiller. Rosemarie Fickels offener Blick findet immer noch Dinge, die optimiert werden können. So kündet die ein oder andere Baustelle von stetiger Erneuerung und Verbesserung. Viele kleine Ideen sind inzwischen verwirklicht. Das sei ihr wichtig, denn die realisierten Projekte seien Zeichen nicht nur des Vorankommens, sondern auch ein Zeichen, dass das Wir die Veränderung bringt. Und wo ein Wir funktioniert, gibt es Mut Neues anzugehen und sich von scheinbar verrückten Ideen treiben zu lassen. Mit Inbrunst und ständigem Nachhaken erreicht die Bürgermeisterin ihre Ziele. Sie sei die »charmanteste Nervensäge Thüringens«, meinte 1999 der Thüringer Minister für Soziales, Familie und Gesundheit Dr. Frank Pietzsch zum 40jährigen Jubiläum des Naturtheaters und zur Eröffnung des neuen Funktionsgebäudes für die Spielstätte. Die schillernde Theatertradition kann also weitergehen.
Für Rosemarie Fickel ist es ein Glück, dass Schiller hier war, dass Henriette von Wolzogen vor 240 Jahren mutig genug war, einen Fahnenflüchtigen aufzunehmen, der mit seinen Ideen und seinen »Räubern« die damalige Welt in Aufregung versetzte. Ein Träumer sei er, ein Visionär, ein Weltveränderer, so sieht Rosemarie Fickel ihren Schiller. Das sei genau der Geist, den man heute brauche: »Gedankenfreiheit«, wie es im hier entstandenen Don Carlos von Schiller heißt. Das ist also ihr oberstes Gebot. Aus der Gedankenfreiheit erwachsen Träume, die werden zu Zielen und die motivieren zur Tat. Tätig ist die Dorfgemeinschaft immer, aber besonders gefragt war das Engagement 2012, als das Anwesen der Henriette von Wolzogen, wo der Dichter 1782/83 unterkam und acht Monate lebte, geschlossen werden sollte. Viele Freiwillige fanden sich. Sie belebten kurzerhand den alten Schillerverein Bauerbach neu (seit 1837 pflegt man das Schillerandenken) und überzeugten die Klassik Stiftung Weimar, in deren Besitz das Gebäude inzwischen war, das Museum offenzuhalten. Fernab vom kulturellen Leuchtturm der Klassik betreut und empfängt der Verein seitdem all jene, die auf Schillers Spuren wandeln und auch jene, die es ganz zufällig nach Bauerbach verschlägt.
Die Bauerbacher hatten erkannt, welche Bedeutung diese Gedenkstätte für den Ort und das gemeinsame Leben hat, dass so viel aus dem Narrativ Schiller bzw. Dr. Ritter, wie er sich damals inkognito nannte, hervorging und ‑geht.
Gerade belebt man den Schillerwanderweg zwischen Bauerbach und Meiningen neu. Der Dichter nutzte die Pfade nach Meiningen oft, um Bücher vom dortigen herzoglichen Bibliothekar und Hofrat Wilhelm Reinwald zu holen, zukünftiger Gatte von Schillers Schwester Christophine. Diese zehn Kilometer Wanderweg werden neugestaltet. Rosemarie Fickel ist immer mit dabei, koordiniert und bündelt die Ideen, bringt verschiedene Menschen mit Expertise zusammen und kümmert sich um Förderanträge. Aber eine Entscheidung allein durchdrücken liegt ihr nicht. Sie lädt zu Kaffee und Kuchen. Das ist der kleine demokratische Raum, wo man abwägt, argumentiert und Entscheidungen trifft. Einmal im Quartal kommen alle zusammen: Kulturverantwortliche, Vereinsmitglieder sowie Bürger:innen – ein Forum der Offenheit und des Verhandelns, alte Pläne werden evaluiert und neue geschmiedet. Rosemarie Fickel ist es dabei wichtig, dass alle zu Wort kommen, dass man alle Bedenken berücksichtigt und echte Kompromisse findet und vermittelt. Alleingänge sind nicht das Ihrige, ebenso wenig wie Wanderwege nur für Erwachsene sind. Ein Räuberweg wird zum Schillerwanderweg auch gleich mit geplant und konzipiert. So wachsen die jungen Bauerbacher:innen ganz spielerisch in die Schillertradition hinein und finden ihren Platz im hiesigen ‚Schillerleben‘, wie einst Rosemarie Fickel als junges Mädchen im Gefolge des »Tells«. Zentral dafür ist auch die wiedereröffnete Schiller-Begegnungsstätte mit Gasthaus »Zum braunen Ross«, ein Veranstaltungs- und Begegnungsort in der Dorfmitte. Wie zu Schillers Zeiten ist der Gasthof das Zentrum des Ortes und der Gemütlichkeit. Die Analen berichten, dass Schiller sich hier wohlfühlte, mindestens 145 Maß Bier leerte; 14 Mal dinierte und soupierte und sich Öl für seine Lampen holte, wie seine Schuldenrechnung von 1783 offenlegt. Wie so oft, bürgte auch hier Frau von Wolzogen für seine Kosten. Im Grunde kann man ihr und dem Zechpreller nur dankbar sein. Sie liefern Ideen zu neuen Projekten, in denen sich die bauerbachsche Bevölkerung verwirklichen kann. Derzeit gibt es den Wunsch, einen Film über Schiller und die Bauerbacher Schillertradition zu drehen. Ein Regisseur ist bereits gefunden, ein Drehort und Menschen mit Schauspielerfahrung müssen nicht gesucht werden, nur ein paar Sponsoren. Aber auch hier ist Rosemarie Fickel optimistisch. Ihre Offenheit und Herzlichkeit werden potenzielle Geldgeber überzeugen und ihr schauspielerisches Talent den Regisseur.
Alle Ministerpräsident:innen genossen, wie einst Schiller, die Gastfreundschaft in Bauerbach. Dieter Althaus blieb sogar drei Tage. Diese Anerkennung von oberster Stelle freut Bürgermeisterin Fickel ganz besonders, man fühle sich wahrgenommen und viele kleine Momente werden so zu einem Großen und Ganzen. Nicht nur für Rosemarie Fickel, sondern für alle im Ort, auch für die Gäste. Selbst in Japan erzählt man sich noch immer vom erlebnisreichen Aufenthalt in Bauerbach. Die Theaterleidenschaft brachte die Nationen zusammen. Eine Gruppe aus Asahi-mura gastierte mit dem traditionellen japanischen Osuto-Noh Theater auf der Naturbühne und spielte für die Thüringer. Da auch eine Kulturfreundschaft nicht einseitig sein darf, gab es einen Gegenbesuch der bauerbachschen Schauspieltruppe in Japan. Die Thüringer gastierten auf der fernöstlichen Bühne mit einem Schillerstück. Die Beziehungen bestehen bis heute. Kultur verbindet also wirklich und ist weit mehr als eine freiwillige kommunale Zusatzleistung, wie es oft im Verwaltungsbereich heißt. In Bauerbach ist Schiller das kulturelle Fundament.
Wer heute den kleinen Thüringer Ort besucht, spürt, warum Schiller hier so begeistert war. Seinem Fluchtgefährten Andreas Streicher schrieb der Dichter am 08.Dezember 1782 nach seiner Ankunft: »Das Haus meiner Wolzogen ist ein recht hübsches und artiges Gebäude, wo ich die Stadt gar nicht vermisse. Ich habe alle Bequemlichkeit, Kost, Bedienung, Wäsche, Feuerung und alle diese Sachen werden von den Leuten des Dorfes auf das Vollkommenste und Willigste besorgt.« Diese kleine Vollkommenheit ist es, was Bauerbach ausmacht und Rosemarie Fickel sorgt dafür, dass es so bleibt.
Das Ende ihrer hauptberuflichen Tätigkeit im Thüringer Landesverwaltungsamt rückt für Rosemarie Fickel in greifbare Nähe. Ab 01. Januar 2024 wird sie im Ruhestand sein und mehr Zeit mit ihrer Familie verbringen. Dankbar ist sie für die Unterstützung und Anerkennung von vielen Seiten die sie bekam, sogar in Form des Thüringer Verdienstordens 2003. Aber den besten Beistand erhält sie von ihren Liebsten. Ohne die Unterstützung ihrer Familie wäre es sicher anstrengender gewesen, sich für Bauerbach und Schiller mit Leib und Seele so einzusetzen und manch Gegenwind standzuhalten. Ob sie nach fast vier Jahrzehnten trotzdem ein bisschen weitermachen wird, sich weiter für Schiller und die Region einsetzt, oder ob ihre neun Gänse ihre alleinige Aufmerksamkeit bekommen, hält sie sich mit einem charmanten Lächeln noch offen.
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