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Harald Heydrich
Erstdruck in: Palmbaum 2-2022. Alle Rechte beim Autor. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Harald Heydrich
Hanns Cibulkas Landschaften unter neuen Horizonten
In den vergangenen Jahrzehnten war es um das Werk Hanns Cibulkas ruhig geworden. Es erging ihm nicht anders als zahlreichen anderen Autoren der DDR-Literatur. Mit dem Untergang der DDR war Vielen nicht nur der kulturelle Boden, aus dem sie ihre Nährstoffe bezogen, sondern auch ihre bisherige Leserschaft verlorengegangen.
Die utopischen Potentiale einer neuen »subjektiven Authentizität« (Christa Wolf) fanden in der von konkurrierenden Literaturkonzepten geprägten Kulturlandschaft der »alten« Bundesrepublik wenig Resonanz, wohl auch deshalb, weil im deutsch-deutschen Literaturstreit der Neunziger Jahre zahlreiche vernarbte Wunden aufgerissen und neue geschlagen wurden. In der Regel wurden die Treffer bei ostdeutschen Autoren gelandet. Die Aufdeckung der Stasi-Verstrickungen einiger Ostliteraten trug dazu bei, eine unter solchen Bedingungen geschriebene Literatur unter Generalverdacht zu stellen. Gleichzeitig fremdelte man mit Autoren, die einem bislang überwiegend unbekannt geblieben waren: Das wird beispielsweise aus den Texten Cibulkas ersichtlich, die Aufnahme in die gewaltigste Lyrik-Sammlung deutscher Zunge, den Neuen Conrady (Ausgabe 2000) gefunden haben: Unter den vier aufgenommenen Gedichten kreisen drei um das Thema Vergangenheitsbewältigung, während eines als Versuch einer Gedankenlyrik zu betrachten ist. Der poetische »Landschafter«, der Cibulka ja zuvörderst war, ist auf der Strecke geblieben.
Immerhin wussten Andere Anderes zu schätzen: Die von Wulf Kirsten erstellte Thüringer Lyrik-Anthologie Eintragung ins Grundbuch (1996) wird von Cibulkas Dornburg-Gedicht eröffnet, das der Herausgeber sicher nicht ausgewählt hatte, um dem Senior der Thüringer Poesie seine Reverenz zu erweisen, sondern weil es ihm tauglich erschien, die Programmatik des Bandes wie kein anderes sinnfällig zu verkörpern: Eine alte Kulturlandschaft öffnet sich kraft der lyrischen Vergegenwärtigung dem Subjekt.
Es ist sehr zu begrüßen, dass im Jahr 2020 zum 100. Geburtstag Hanns Cibulkas nicht nur zwei Bände mit seiner Tagebuchprosa (Sanddornzeit in der Reihe Naturkunden, hgg. von Sebastian Kleinschmidt / Späte Jahre, neu hgg. von Heinz Puknus) erschienen sind, sondern auch ihm und seinem Werk an seinem früheren Wohn- und Arbeitsort Gotha eine Tagung gewidmet wurde. Der nun vorliegende Band bündelt die dort gehaltenen Beiträge. Titelgebend sind die Verszeilen »In der Landschaft, mit anderen Augen«. Sie können ohne Weiteres auch auf die Sichtweisen der Verfasser der einzelnen Beiträge bezogen werden. So wendet sich Peter Neumann der Tagebuchpoetik Cibulkas anhand des Kriegstagebuchs Nachtwachen (1989) zu, um die besondere Montagetechnik seiner diaristischen Prosa zu entschlüsseln. Er stellt die Relation von arkadischer Verklärung der Landschaft und jäher Unterbrechung durch die Gegenwart des Krieges heraus, wobei gleichzeitig zu bedenken ist, dass auf einer dritten Ebene das Autor-Ich als reflektierender Arrangeur aktiv ist. Durchaus kritische Akzente setzt Neumann bezüglich der die Konflikte befriedenden Altersweisheit, die das Autor-Ich geltend macht. Die Zeitschichten, die der Autor eher zueinander stellt als ineinander setzt, ergeben eine »geistige Geographie«, wie es bei Cibulka heißt, sie führten zwar zu einem Mosaik, blieben aber laut Neumann doch Bruchstücke.
Jan Urbich widmet sich in seinem Beitrag, dem einzigen im Band, der Cibulkas Lyrik gilt, gleichfalls der Poetik, diesmal der post-romantischen der Reduktion. Diese stehe in der Nachfolge des Romantischen und lasse es zugleich hinter sich. Interessant ist sein Hinweis auf eine – bei Cibulka übrigens allenthalben zu findende – Befreiung der ‚Idee’ eines Landschaftsbildes aus dem Schutt seiner Gegenwärtigkeit, die an die Verwesentlichungstechnik Eichendorffs erinnere.
Johanna Bohley untersucht Cibulkas poetologische Entwicklung anhand der drei Hiddensee-Tagebücher. Ob sich hier tatsächlich, wie der Plural im Titel suggeriert, jeweils grundlegende Neuansätze von Text zu Text ergeben oder nicht doch eher Akzentverschiebungen innerhalb einer/seiner Poetik stattfinden? Gemeinsam ist diesen Tagebüchern, dass in ihnen erfahrungsgesättigt Welt reflektiert und zunehmend kritisiert wird, wobei – wie Martin Straub in seinem Beitrag zu Swantow eindrucksvoll nachweist, der keineswegs als Kämpfernatur agierende Cibulka, kraft seiner – mit Max Weber zu sprechen – Verantwortungsethik in einen latenten Gegensatz zur offiziellen Politik der DDR in Sachen Ökologie und atomare Bedrohung gerät, was zu allerlei argumentativen Verrenkungen von Verlagslektoren und Kulturpolitikern führt.
Francesca Bravi zeichnet Cibulkas italienische Landschaften nicht nur nach, sondern verweist auf die vielfältigen kulturellen und literarischen Bezüge, die Cibulka mit Italien verbinden.
Überhaupt zeigt der in seiner thüringischen Nische als Bibliothekar verharrende Cibulka frühzeitig erheblichen Eigensinn. Das wird durch seine eigen-willige Rezeption von Werken Ernst Jüngers, Poeta non grata in der DDR-Kulturpolitik, und des gewiss politisch höchst problematischen, gleichzeitig poetisch höchst interessanten Dichters Ezra Pound bezeugt, wie Jan Röhnert überzeugend darlegt. Und Stephan Pabst ist in die Abgründe der Verlagsgutachten hinabgestiegen, wobei er Strategie und Taktik der Lektoren und Gutachter gegenüber den Zensurbehörden, die sich ja meist als Geburtshelfer der Werke verstanden, nicht ohne ironische Lichter darstellt. Heiter scheide der Mensch von seiner Vergangenheit (Marx) …
Ein kurzweilig Lesen, wobei es mir als in die DDR Hineingeborenem immer mal kalt den Rücken hinunterläuft. Bleibt die Frage, ob sich Cibulkas Bücher in den neuen Kontext der 2020er Jahre einfügen lassen. Ein Beispiel gibt Peter Braun , indem er das Werk der amerikanisch-angelsächsischen Tradition des Nature Writing aussetzt, die in Zeiten des Klimawandels mehr als fröhliche Urständ feiert. Vielleicht kommt Cibulkas Werk das zugute, was immer wieder, besonders prononciert durch Bernd Leistner, eingewendet wurde: Das Insistieren auf einem an Goethes organischem Naturverständnis geschulten Blicks auf die Naturphänomene en detail und en gros, gepaart mit einem Streben nach anthropologischer Wesenhaftigkeit. Jan Röhnert, der sich der Deutung der dem Band beigegebenen Fotos aus des Autors Archiv widmet, sieht das »Bild Cibulkas als eines anachronistischen Zeitgenossen aus freien Stücken« auch in den Fotos bestätigt. Diese besondere Form des Eskapismus, die ihm in der DDR ein über weite Strecken ungestörtes Arbeiten ermöglichte, könnte seinen Werken nun, da die Lösung von Menschheitsfragen in der Ökologie dringlicher denn je ist, kraft der Zeitlosigkeit seiner Naturbezüge, zu einer neuen Gültigkeit verhelfen.
Wenn man bereit ist zu akzeptieren, dass die Lektüre der als Essays deklarierten Aufsätze zuweilen mit umfänglichen theoretischen Vorspännen belastet ist, kann man dem Titel der Vorbemerkung getrost ein appellatives Zeichen anfügen: Cibulka entdecken!
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